Im Sommer, heiss er sich nun zeigt, sitzt Er da. Die Bank ist gewärmt, das Holz lädt ein. Er schaut auf, wie Sie an ihm vorbei geht. Noch bevor Sie ihn erreicht, senkt Er den Kopf, schaut auf die Steinplatten am Boden. Sie hält vor ihm inne, dreht sich und schaut ihn an. Er blickt auf, ihre Augen strahlen, reissen ihn aus der Nacht. E bleibt sitzen, R steht auf. R steht vor ihr, nimmt ihre Hand, E sitz und schaut sich zu. E kriegt Herzrasen, Angst füllt ihn. E zittert, R kann nicht ruhig stehen. Sie nimmt Rs Hand, küsst ihn keck auf die Wange und zieht ihn mit sich. E springt auf, er kann sich nicht gehen lassen - und doch muss er sich folgen.
Sie zerrt R den Steg entlang, ein Weg am Ufer des Kanals. E rennt ihnen nach, erreicht die Beiden nicht. Ihre Absätze knallen, E zuckt unter diesen Schlägen. R zieht Sie näher an sich heran. E rennt, sprintet, seine Füsse verlieren sich im Echo ihrer selbst. Sie dreht sich um, schaut E an. Ihre Augen leuchten grün. Sie zwinkert E zu, packt R an der Hüfte und zieht die Fernbedienung. Mit einem Knopfdruck verschwinden Sie vom Kanal, E bleibt alleine zurück.
Wolken ziehen vor den Mond, E schaut auf, er hält sich zurück, noch ist nicht Vollmond. Fern sieht er einen Baum, einen, der über den Baum hinaus ragt, an dem der Mond hängt. E geht los, läuft, rennt, springt, taucht in den Kanal ein. Die Strömung der Zeit reisst ihn mit, E lässt sich treiben. Paddelnd kommt er beim Baum an, zieht sich am Ufer hoch, betritt die Struktur des Baumes.
E will zum anderen Kanal, in der Verästelung des Baumes sucht er den Weg. Ein, nein, zwei Schilder weisen ihm den Weg zu anderen Kanälen. Hoch oder Runter. Er betrachtet die Pfeile, hält sich ungewiss an der Leiter fest bevor er daran herunter gleitet.
Mit einem Rumpeln landet E im neuen Kanal, auf dem Ufer gleich daneben. E späht durch die Büsche, sieht ein Paar auf der Sitzbank am Wasser. Leise pirscht er an die Beiden heran, Hoffnung benebelt ihn. Blind vor Wut ist E Kurzsichtig geworden, erkennt die Beiden erst im letzten Moment. Erkennt, dass es nicht R und Sie sind. E betrachtet das Paar, ihre Vertrautheit, wie sie schuldlos hier sitzen. Ihr Kleid jungfräulich weiss, sein Jackett unberührbar schwarz.
E harrt hinter dem Stein, dem Mond dieses Kanals. Weit in der fern schlägt eine Uhr fünf vor zwölf, E erschrickt, rutscht aus und gleitet in die Windungen des Steines.
Das Paar sieht fern, die Frau zeigt plötzlich auf den Mond und wispert ihrem Getreuen zu: »Siehst du den Mann im Mond?« Der Getreue nickt und küsst sie. E kann sich nicht mehr halten, er lässt sich fallen, fällt und fällt durch den Kanal hindurch, das Wasser zerrt kurz an seinem Shirt bevor er ins Schneetreiben stürzt.
E steht auf, der Schnee schmilzt auf seiner Haut, er zittert und friert. Gefangen im Schneetreiben. Am rechten Rand sieht er eine Signatur, E stapft los bis er sie lesen kann: »Kein Kanal gefunden«. Frustriert haut E auf den Schnee ein. Er muss sich vorantasten wenn er sich wieder finden will. Das Rauschen umhüllt ihn, deckt ihn ein, drückt ihn Tiefer. Mit einem knacken gibt der Boden nach, E fällt durch die Decke.
Über den Wolken sieht er weit, friedlich reissen die Winde an seinen Kleidern, feste Kräfte ziehen ihn hinunter, der Realität entgegen.
Mit einem Blitzschlag landet E auf dem neuen Kanal. Das Donnergrollen wirbelt den Staub auf. Kleine Menschen rennen vor der Bodenwelle davor. E lächelt, E ist - ist sich bewusst dass er E ist. Das neue Bewusstsein schlägt ihn gleich nieder, E hat R verloren, E muss sich beeilen, will sich wieder vereinen. Die kleinen Menschen blicken hoch, beten E's Füsse an. E würdigt ihnen keinen Blick, E sucht R, sieht ihn jedoch nicht. In welchen Kanal hat Sie R wohl gebracht?
E rennt wieder los, stolpert über eine Burg der Kleinen, fliegt über das Ende des Kanals hinaus, stürzt mit dem Wasserfall hinunter. Luftblasen umschliessen E, er treibt in einer. Silberne Gestalten machen es ihm gleich, ihre Augen leuchten freundlich blau. Die Lichter der Stadt schimmern in die Nacht hinaus, E versucht seine Blase in ihre Richtung zu lenken. Mitten in all den blau leuchtenden Augen und dem warmen Schimmer der Stadt entdeckt E einen grünen Punkt. Nach mehreren Schlägen ploppt die Blase, lässt E in die Zukunft. E läuft los, der grüne Punkt - bald hat er Sie, und mit ihr auch wieder sich selbst.
Sie scheint ihn nicht bemerkt zu haben, auch wenn das grün ab und an aufblitzt. E kommt immer näher an Sie heran, erkennt die Beiden, Sie und R, wie sie auf einem Metallbügel sitzen. E schleicht sich von hinten an sie heran.
»Meister E, sie Wünschen?« fragt ein aus dem Schatten tretender Roboter. »Schhhht« zischt E den Roboter an, zu spät, Sie hat ihn entdeckt. Sie hebt die Hand, E sieht die Fernbedienung in ihrer Hand. Ein roter Strahl schiesst Sie ab, E duckt sich, die Explosion hinter ihm wird immer lauter. Schwere Balken knallen aus ihren Versenkungen hoch, einer höher als der Andere. E schrickt zusammen, seine Muskeln verspannen sich, er spürt wie sie Schmerzen. Aus der Starre befreiend springt er auf. Sie nimmt R an der Hand, küsst ihn und drückt erneut auf die Bedienung. Ein Feld weiter, ihre Konturen verschwinden, E hat sie wieder verloren.
»Meister E?« fragt der Roboter erneut. Der Infrarotstrahl hat seine Hülle zum glühen gebracht. Rauch steigt über den blauen Augen auf. »Meister E, ich erwarte ihren Befehl.« »Verdammter Roboter« flucht E los, schaut in die unschuldigen Augen, überlegt. »Finde R!« Der Roboter surrt, eine Suchmaske schiebt sich über sein starres Gesicht. »Suche R« Die Augen blitzen auf. »Suche R« wiederholt der Roboter, wie ein Chor stimmen weitere Roboter auf diesen monotonen Text ein. Ein kleiner Roboter mit Lupen vor den Augen erscheint, nuckelt an seiner Pfeife, räuspert sich und fragt: »Wer ist R?« E studiert einen Moment an der Beschreibung, antwortet dann: »R ist mein anderes Ich.« Die Augen des kleinen Roboter drehen sich, dann kommt er zur Feststellung: »R ist ein Duplikat von E?« E will widersprechen, nickt dann aber. Der Kleine wendet sich an seine Genossen: »Meister E sucht sein Duplikat R, findet ihn!«
Zischend und surrend schieben sich die Suchmasken vor die starren Gesichter. Aus den hinteren Reihen meldet sich eine tiefe Stimme: »Sherry, R ist nicht auf unserem Kanal. Vielleicht ist er ja über die Spalte der Herzen gefallen.« »Schalt mal eine Frequenz runter« meint da eine weitere Stimme. Ein Streit bricht los, der kleine Sherry nimmt E an der Hand und führt ihn zurück zum Hauptkanal. E erzählt ihm alles von seiner bisherigen Reise, begonnen mit dem Zerreissen durch Sie. Sherry nickt verständnisvoll.
Am Kanal angekommen sehen sie einen Dreimaster, die Piratenflagge weht im Wind. Die silbernen Gestalten sind verschwunden. Ein dreiäugiger Mann ruft von der Reling her etwas in die Kabine, wendet sich dann den Beiden am Ufer zu. »Ist das Aug Dreizehn?« »Aber nein!« antwortet ihm Sherry, »Das ist Silberl.« Das Mittlere Auge zuckt bei der Antwort, der Pirat scheint nicht zufrieden zu sein, Sherry bemerkt es und fügt nach: »Aber ich könnte euch den Weg weisen.« E zieht an Sherry, dreht ihn um und schaut ihm in die unergründlichen Augen: »Wir wollten doch R suchen!« Sherry blinzelt, das Licht verstärkt sich: »Wir sind hier gefangen im Kanal - wenn du hier raus willst um R zu suchen, dann brauchst du ein Boot!«
Widerwillig steigt E zusammen mit Sherry auf das Piratenschiff. Die Segel werden eingezogen, tief aus dem Bug dröhnen die Dampfmaschinen los, das Boot gewinnt an fahrt. E lehnt an die Reling und übergibt sich. Der Pirat tritt zu ihm, klopft ihm auf die Schulter und gibt E ein stück Kautabak.
Ein Geistesblitz schlägt vor E in das Wasser, das Knistern stellt seine Haare auf. »Gib mir dein Messer!« befiehlt E dem Piraten, dieser schaut ihn erschrocken an. »Nur das Messer oder auch die Raketen?« »Gib mir alles!« »Willst du Krieg führen?« »Ich will Sie vernichten und R zurückholen« »Sie?« Die Augen des Piraten weiten sich, das mittlere Platzt. Genervt wischt E das Blut von seinen Kleidern. Jetzt hat er Kopfschmerzen. Ärger überrollt ihn, E fühlt sich für einen Augenblick schwach, verletzt. Sherry bricht sein schweigen, eine weibliche Stimme dringt aus seinem inneren: »Nächste Abzweigung links.«
Das Schiff folgt Sherrys Anweisungen. Sherry klettert den Masten hoch, vom Korb zeigt er mit seinen Fingern zu den Satelliten. Am Horizont taucht die Einmündung ins Meer auf. Der Pirat lehnt sich an die Reling, zeigt aufs Meer und meint: »Alle Kanäle fliessen ins Meer. All der Mist sammelt sich dort an. Die Magnete ziehen es an, die Scheiben rotieren weiter. Paket für Paket landet all der Mist auf den Scheiben des Meeres.«Im Meer kollidieren sie fast mit dem Überseebus, E sieht durch die beschlagenen Fenster Sie und R in der letzten Reihe sitzen. »Enter!« schreit E, klackern fällt die Taste »Enter!«
Eine neue Zeile beginnt, der Bus wird fest am Schiff vertäut. Sie wird geknebelt, der Pirat packt sie und sperrt sie in seine Truhe. »Mein Schatz« flüstert er leise. E und R stehen sich endlich wieder gegenüber, sie haben sich nichts zu sagen. Sherry navigiert das Schiff auf eine Insel zu. R wartet, E wartet, der Pirat liebkost seinen Schatz.
Endlich wendet sich E R zu: »Wir müssen uns wieder vereinen - wir können nicht immer E und R bleiben - wir müssen Ich werden!« R schaut traurig auf: »Wie wollen wir das machen?« »Es gibt da eine Bank« mischt sich da Sherry ein: »Eine Bank auf Aug dreizehn, die Wir Bank.« »Und was müssen wir da machen?« »Ihr müsst da sitzen, bis die Sonne untergeht, bis ihr das Licht am Ende des Horizont seht, bis ihr im Zwielicht wieder verschmelzt.« Das Schiff schlägt heftig am Riff der Aug dreizehn auf, die Truhe schwimmt mit dem Piraten davon. E und R gehen zur Wir Bank.
Sie sitzen darauf.
R schaut E an.
E schaut R an.
Sie schauen sich an.
Sie sehen die grosse Welle nicht, hören nicht Sherrys Alarm.
Wasser schlägt ihnen ins Gesicht, Er schlägt die Augen auf. Sie steht vor ihm, Michelle, ein Becher in der Hand. Das Wasser tropft ihm aus dem Haar. Michelle schaltet den Fernseher aus, schaut ihn Vorwurfsvoll an.
»Du Trottel« beginnt sie, »du sollst nicht in der prallen Sonne einschlafen!« Er schaut sie an. Im Sommer, heiss er sich nun zeigt, sitzt Er da. Die Bank ist gewärmt, das Holz lädt ein. Er schaut auf, wie Sie vor ihm steht. Noch bevor Sie ihn erreicht, senkt Er den Kopf, schaut auf die Steinplatten am Boden. Sie hält vor ihm inne, dreht sich und schaut ihn an. Er blickt auf, ihre Augen strahlen, reissen ihn aus der Nacht.
YOU ARE READING
A wie Zerreissend
RandomKurzgeschichten? Von A wie Zerreissend bis Z wie Abenteuerlich. Oder ganz anders? Eine Sammlung von Kurzen Verworrenheiten. Kühlen Kopf bewahren, weiter lesen. Die Rechtschreibung nimmt sich hier die Freiheit zu sein wie sie will. Mal gross, mal...