Die Legende von Bergund

23 2 0
                                    


Die Sonne gleitet über die letzten Sträucher, der Pfad durch die Berge ist verlassen. Der Wirtsherr treibt seine Kühe in den Pferch, seine Mädchen bringen auf dem Ochsenkarren ein Fass Wasser von der Bergquelle. Das Dorf meiden sie, Bergund ist gefallen. An der Weggabelung schauen die Mädchen nochmals zurück, selten kommen Reisende, Händler meiden den Pass. Bergund, das letzte Dorf diesseits, ist ein geknechteter Ort. Angst und Schrecken begleiten die Nacht.
Huftritte peitschen durch das Tal, ein Heer von Rittern folgt dem Pfad in die Berge. Der Wirtsherr ruft seine Mädchen, schaut wie Ritter die Gämse überholen. Krieger sind Gesindel, sie kommen, geloben und rauben, klauben von den Tauben und nehmen den Blinden. Wer ihnen traut, wird die Heerscharen einladen und sich unterjochen.
Die Krieger preschen durch das Tal, sie folgen dem Pfad in die Berge. Ihre Rüstungen schimmern bläulich in der untergehenden Sonne. Bald werden sie ein Lager aufschlagen, den Pass schaffen sie nicht mehr vor Einbruch der Nacht. Vielleicht werden sie auch in eine der Scheunen einbrechen - oder sie kommen zum Wirtshaus. Der Wirtsherr scheut seine Mädchen von den Luken weg. Er allein geht hinaus, wartet vor dem Haus.

Das Heer, einer Herde gleich, stäubt über die Wege, Kiesel springen und Staub steigt auf. Vierzig, fuffzig, der Wirtsherr ist sich nicht sicher. Düster ziehen Staubwolken hinter dem Heer auf, die Nacht den Eingedeckten schon bringend. Eilig beziehen die Mädchen die Betten, bereiten das Haus vor. Mögen die Reiter kommen, nächtigen und gehen. Draussen harrt noch immer der Wirtsherr, schaut der funkelnden Welle des Todes entgegen. Bald haben sie die Gabelung erreicht, vielleicht reiten sie weiter - der Wirtsherr wagt zu hoffen.
Der Wunsch zerbricht, die Reiter biegen ein, kehren ihre Pferde, zügeln die Schritte. Das Heer hält am Rand des Hofs, aus dem Schatten der Mitte tritt ein Krieger und geht auf den Wirtsherrn zu. In den Luken des Wirtshaus blitzen die Augen der Mädchen, Angst spiegelt sich in ihren Gesichtern. »Mein Herr« spricht der Krieger den Wirtsherrn an, geht mit einem Knie unterwürfig auf den Boden, »darf ich euch um Unterkunft für mein Gefolge und mich bitten?« Der Wirtsherr schaut den Krieger mit glasigem Blick an: »Ich werde euch und eurem Gefolge nichts verwehren können. Auch zum Essen lad ich euch ein. Seid mein Gast, seid meine Gäste, ich, Wyrth, bin euer Wirtsherr für diese Nacht.« Der Krieger steht auf, nimmt seinen Helm und spricht: »So sei es.« Wyrth nickt, nervös und verloren. Der Krieger spricht weiter: »Wenn ihr eine Suppe habt, so soll die uns genügen.«»Suppe?« wiederholt Wyrth ungläubig, der Krieger nickt mit bedacht: »Ja, Suppe.«

Im Speisesaal wird die dampfende Suppe den Kriegern aufgetragen, die Holzlöffel schaben in den Schüsseln. Schweigend schauen die Mädchen zu, bereit, gleich zu dienen. Der Ritter aus der Mitte erhebt sich, geht auf die Mädchen zu. »Was ist mit euch?« fragt er. Die Mädchen ringen, die vor ihm erbleicht zittern. Mit einer schnellen Bewegung zieht er sein Kurzschwert, führt es über ihren Bauch, stoppt die Klinge unter ihrem Kinn. Ein Blutstropfen der Kehle rinnt das Eisen hinunter. Erschrocken Atmet sie auf, ihr Korsett fällt geteilt zu Boden. »Ersticke nicht, Mädchen, Atemlos sind nur die Toten.« Er reicht ihr seinen Umhang, sie bedeckt ihre Blösse. Wyrth ergreift nun das Wort: »Wer seid ihr?« »Ich?« antwortet der Ritter ihm, »Ich bin Hellebard von Mitte, Hauptmann der Düster Nacht.« »Düster Nacht?« wiederholt Wyrth mit grossen Augen, »Aber, diese Garde des Kaisers ist nur noch Legende. Ihr wagt, ein solchen Name zu tragen?« »Wir sind Düster Nacht, waren die Garde des Kaisers. Eine Legende sind wir nicht, wir sind hier.« Hellebard rammt sein Kurzschwert zurück in die Scheide und dreht sich zu Wyrth. Wyrth antwortet ihm: »Ihr seid so dreist, den Namen dieser Garde zu wählen - die Garde, die im Krieg um den Mont Illumna im tiefen Graben mit ihren Gegner gefallen ist?« »So dreist sind wir nicht, wir sind was wir einst waren. Der Krieg war bittert, ein Sieg hätte die Welt gebrochen. Wir mussten verlieren, wir mussten fallen. Doch die Beschützer der Welt, die Garde des Mont Illumna, die Magier, Hexen und Drachen, sie sind mit uns Gefallen. Ein Fluch, ein Bann holte unsere toten Körper zurück aus dem Sumpf, ein neuer Geist erhellte unsere Augen. Wir sind Untote, mit gespaltetem Geist. Zur hälfte Mensch, zur anderen Magier.« »Was wollt ihr von uns?« »Gebt uns einen Befehl, entlöhnt uns, gebt uns unser Leben zurück. Wir müssen mit euch übereinkommen, so verlangt es der Bann.« »Befehlen kann ich euch nichts, ihr seid zu mächtig.« antwortet da Wyrth. Hellebard schnaubt, schaut Wyrth fordernd an. Wyrth sucht Worte: »Ich muss mit mir ringen, ein Befehl kann ich euch nicht erteilen, aber eine Bitte kann ich äussern?« verzagt hebt sich Wyrths Stimme, fragend bringt er seine Aussage zum Schluss. Hellebard lässt den Zeigefinger der rechten Hand kreisen, wartet auf die Bitte von Wyrth. »Unser Dorf, Bergund, es ist gefallen. Böse Mächte treiben ihr Wesen, Morgens liegen die Leichen blutleer in den Gassen, zerfetzt und ausgesaugt. Wir fürchten uns, keine Truppe konnte uns bisher erlösen, das Böse, ein Vampir vielleicht, hatte die Truppen gerafft bevor Überlebende fliehen konnten. Jede Truppe kam, nahm und verlor. Wir haben nichts mehr.« Hellebard blickt zu seinem Heer, dreht seinen Kopf und meint: »Wir werden Losreiten und das Böse suchen. Wenn wir wieder kehren, gebt uns nochmals Suppe und lasst uns in Betten schlafen. Mehr fordern wir nicht.« Das Mädchen mit Hellebards Umhang in der Hand tritt einen Schritt vor. Sie räuspert sich. Hellebard wendet sich ihr zu. »Mädchen, was wünschst du?« Das Mädchen schluckt leer und beginnt: »Magdalena ist mein Name, Herr.« Hellebard nickt ihr zu, Sie fährt fort: »Es sind keine Vampire im Dorf, es sind Gyren. Versnobte Tiere die reissen, was sie zu fassen kriegen.« »Gyren« wiederholt Hellebard bedächtig, ein lächeln huscht über seine Lippen. »Gib den Gyren Milch am Morgen, Mäuse zum Mittag und Amseln am Abend, so holen sie in der Nacht das Gesindel von der Strasse.« Magdalenas Blick ist leer, Hellebard ergänzt sich: »Und wenn das Gesindel von der Strasse weg ist, wird des Nachts jeder in den Gassen als Gesindel verkannt. Abscheuliche Wesen, Gefährlich und Unersättlich.«

A wie ZerreissendWhere stories live. Discover now