Der Regen, die Häuser und ich. Mehr war hier nicht. Kein er.
Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder. Wahrscheinlich war die Frau einfach nur durchgeknallt. Bestimmt, dachte ich, und versuchte, die Tatsache auszublenden, dass es hier ziemlich leer aussah.
Wenn ich jetzt das getan hätte, was ich sonst jeden Morgen tat, würde es mir auch nicht besser gehen. Schule war nicht gemacht für mich, generell war die Gesellschaft nicht gemacht für mich. Ich sollte diese Einsamkeit hier genießen und die Worte der Frau als verrückt abstempeln. Das tat ich auch, bis mich eine Stimme aus meiner 'Entspannung' riss.
"Nein, Jeremy! Jetzt komm. Die anderen warten schon. Außerdem ist er hier irgendwo in der Nähe. Willst du so enden wie Ivo?"
Ich erstarrte. Allein die Stimme ließ außer Zweifel, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Aber so leicht ließ ich mich nicht aus der Fassung bringen. Langsam ging ich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Autolärm verstummte, das Prasseln des Regens verschwand im Hintergrund.
Ein Anderer antwortete gerade. "Lass Ivo aus dem Spiel!" Ich schluckte. Der Junge, wahrscheinlich war es der genannte Jeremy, klang verzweifelt und verletzt. "Mein Bruder konnte nichts dafür, dass er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Und ich will nur das zurückholen, was er uns gestohlen hat. Eigentlich wäre es deine Aufgabe, Dawen."
Als die erste Stimme wieder zu sprechen begann, bog ich um die Straßenecke und sah die beiden Jungen. Sie standen nur wenige Schritte von mir entfernt, doch scheinbar hatten sie nichts gehört oder waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Hastig versteckte ich mich wieder hinter der Hausecke. "Jetzt komm, verdammte Scheiße. Das ist es nicht wert."
Dawen stand mit dem Rücken zu mir, deswegen konnte ich auf den ersten Blick nur seine Größe, Haarfarbe, Figur und Kleidung erkennen. Der Typ war vergleichsweise klein, kleiner als ich bestimmt. Ich schätzte ihn auf ein Meter sechzig bis ein Meter siebzig. Seine dunklen Haare klebten an dem Kopf, ebenso wie die leichte Kleidung am trainierten Körper.
Jeremy trug ähnliche sommerliche Klamotten, doch seine nackten Arme sahen leicht muskulöser aus, außerdem hatte er etwas längeres, blondes Haar und eine hellere Haut. Da er Dawen gegenüber stand, konnte ich auch seine Gesichtszüge erkennen: Markant, herausstechende Wangenknochen, hohe Stirn, schmale Lippen, aber nicht so, dass es sonderlich schlecht aussah und helle Augen. Die genaue Farbe konnte ich nicht erkennen.
Die beiden Männer - ich schätzte sie auf zwei, drei Jahre älter als mich, also so Anfang zwanzig - standen nur etwa fünf Schritte von der Ecke, hinter der ich mich versteckte, entfernt und diskutierten weiter. Dawen versuchte immer wieder, Jeremy die Gasse von mir weg hinunter zu zerren, doch dieser weigerte sich standhaft. Er war auch sichtlich stärker als sein Freund, allein aufgrund der Größe.
Ich wunderte mich, dass er mich noch nicht entdeckt hatte, doch scheinbar hatten sie sich so in Rage geredet, dass sie nur sich beachteten.
"Du kannst meinetwegen im Dreieck springen, Dawen! Aber ich tu das, was Cameron wollte. Wir sollen die Sachen zurück bringen. Er hat uns bestohlen, er ist dafür verantwortlich, was mit meinem Bruder passierte! Da werde ich nicht den Kopf einziehen!", brüllte Jeremy gerade.
Jetzt verstand ich nichts mehr. Wer war Cameron? Es klang doch so, als wäre er dieser er, vor dem alle Angst hatten. Aber warum taten sie dann das, was Cameron wollte?
"Jeremy, nimm Vernunft an! Wir... Oh, verdammt." Dawen starrte in die Gasse, die hinter den Beiden einschlug. Ich sah zwar nur ein kleines Stück davon, doch weiter hinten befand sich scheinbar etwas, das sie verstörte - oder jemand. Mein Herz setzte einen Schlag aus und so sahen auch die Jungen aus.
"Lauf!", brüllte Dawen und obwohl die Anweisung an seinen Freund ging, reagierte ich. Ich wirbelte herum, ohne Jeremys Reaktion mitzuerleben, und raste die Gasse hinab, aus der ich kam.
Ich blickte nicht zurück. Ich schrie nicht. Ich rannte nur und rannte, ich nahm den Regen nicht wahr, er hatte sich schon in meinem Gehirn eingenistet. Ich hörte noch nicht einmal, ob ich verfolgt wurde oder nicht. Das Einzige, woran ich dachte, war: Raus hier. Koste es, was es wolle.
Endlich kam die Hauptstraße in Sicht. Endlich hörte ich das Aufklatschen meiner Sohlen auf dem Asphalt. Endlich klebten meine Kleider an meiner Haut. Und endlich zwang ich meinen Herzschlag, sich zu beruhigen.
Ohne Zweifel hatten die beiden Jungen vorhin ihn gesehen. Wenn ich nur wüsste, wer er war. Sie hatten von einem Cameron gesprochen, aber für den taten sie ja etwas, weswegen sollten sie sich dann vor ihm fürchten? Nein, entschied ich. Er muss einen anderen Namen tragen.
Meine Schritte hatten sich verlangsamt, als ich unbewusst den Weg zur Schule einschlug. Ich mochte Schule zwar nicht, doch das war ein Ort, an dem ich sicher sein konnte, so viel stand für mich fest. Ich meine, was soll ein Schläger in einer Schule suchen? Was war er überhaupt? Ich ging automatisch von einem Schläger oder einem Kriminellen aus, immerhin jagte er sowohl alten Frauen als auch jungen Männern Angst ein. Und nicht zu vergessen, dieser Ivo, dem er etwas angetan hatte.
Ich erreichte die Schule pünktlich während der Zeit der Pause. Mit meinem Schulbus wäre ich viel schneller gewesen. Schüler verschiedener Altersgruppen standen verstreut auf dem Schulhof, ziemlich griesgrämig, da sie trotz des miesen Wetters raus mussten. Ich mischte mich unauffällig darunter.
Und schon begann mein ziemlich langweiliger und verstörender Schulalltag, der aber von den Erlebnissen am Morgen überschattet wurde.
[A/N: Ich schreibe sonst nicht gerne eigene Worte zu meiner Geschichte, aber ich suche schon lange nach geeigneten Bildern für meine Darsteller, da ich mir damit selbst die Vorstellung und Beschreibung leichter mache. Ich werde nur Bilder einfügen und sagen "So ungefähr stelle ich mir ... vor", denn die Vorstellungskraft gehört immer noch den Lesern!
Also, hier seht ihr meine ungefähre Vorstellung von Liz/Alice/Lizzie, wie auch immer ihr sie nennen mögt.]
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Einhornkotze
Teen Fiction»Was willst du?« »Dich warnen.« »Aber...« »Du bist anders als sie. Lass dich nicht verbiegen, Lizzie.« Warum floss Wasser immer bergab? Nicht mit mir. Ich wäre der Tropfen, der bergauf fließen würde. Gegen den Strom. Anders als die Anderen. Ich würd...