2. Kapitel

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Verdammte Schule. Ich hasste es, jeden Morgen den selben Trott machen zu müssen, verabscheute die naiven Kinder, die dem einbläuenden Gerede der Rauber Glauben schenkten. Aber am meisten widerte mich die Tatsache an, dass es Pflicht war, zu diesem Ort zu gehen.

Ich meine, welcher vernünftig denkende Mensch tut sich ein solches Leben an, in dem eins plus eins gleich zwei sein muss? Sind die alle zu dumm, um zu verstehen, dass das auch drei, vier, fünf oder sogar eins ergeben kann?

Man nehme einen attraktiven Herrn und stecke ihn mit einer hübschen Lady zusammen. Nun, vielleicht bleiben ein Herr und eine Lady ja wirklich zwei. Aber wer garantiert mir, dass es nach neun Monaten nicht doch drei ergibt? Zwillinge oder Drillinge wären auch eine Möglichkeit, warum also nicht vier oder fünf? Und wenn sie sich nicht ausstehen könnten, warum sind uns dann mit Sicherheit zwei geblieben? Kann doch sein, dass die arme, schwache Lady nicht mehr unter uns weilt. R.I.P, Lady.

Und seit wann müssen Dreiecke gerade Kanten haben? Wenn ich sie zeichne, sehen sie nicht immer so perfekt aus, sind aber trotzdem Dreiecke. Die Rückenflosse eines Delfins ist ebenfalls nicht perfekt, trotzdem sagt man, er hätte ein Dreieck auf dem Rücken.

Warum muss man den deutschen Satzbau und die Wörter so lassen, wie sie sind, wenn man doch besondere Dinge erschaffen kann? Besondere Wörter, besondere Sätze, alles einzigartig. Senkschnüre. Blutregen. Parnament. Diese Worte habe ich beispielsweise aus Schnürsenkeln, dem Regen an meinem Fenster und Pergament geformt.

Henry sagte oft, ich schreibe wunderschöne Geschichten, wies mich aber im Gegensatz zu den Raubern nicht auf die veränderten deutschen Zusammenhänge hin.

Ich hätte den besten Vater der Welt, wenn er nicht... Wenn er sich Dinge wie Schule und Erziehungszwang sparen würde.

Es war ziemlich kalt, als ich missmutig den Asphalt hinaufstapfte. Ich hasste es. Regentropfen durchweichten meine Kleider und benetzten meine Haut. Ich hob eine Hand und beobachtete die kleinen Wasserströme, die sich ihren Weg meinen Arm hinab bahnten.

Noch ein gutes Beispiel für Gleichheit. Warum floss Wasser immer bergab? Schon klar, Anziehungskraft und so, bla bla. Aber nicht mit mir. Ich wäre der Tropfen, der bergauf fließen würde. Gegen den Strom. Anders als die Anderen. Ich würde die Naturgesetze des Wassers brechen und als Mensch brach ich eben Regeln der Gesellschaft.

Abrupt blieb ich stehen und überlegte. Wieso ging ich dann bitte zur Schule? Warum floss ich mit dem Strom? Kopfschüttelnd machte ich kehrt und lief in die nächste Seitengasse.

Das Prasseln des strömenden Regens hallte an den Wänden der Häuser wider, doch ich war dankbar für die Nässe. Sie würden den Smog und Schmutz wegwaschen. Komischerweise fühlte selbst ich mich nach Regen reiner.

Zu spät sah ich die alte Frau, die mir entgegenkam. Ungeschickt prallten wir zusammen; wir hatten wohl beide den Kopf woanders gehabt. Sie zum Boden und ich in meinen Gedanken.

Mein halbherzig gebrummtes "'tschuldigung" reichte ihr wohl nicht, denn sie krächzte sofort: "Warum bist du nicht in der Schule, Mädchen?"

In dem Moment schossen mir gleich vier Gedanken durch den Kopf. Erstens: Das geht dich einen gottverdammten Mist an. Zweitens: Ich bin siebzehn und für mein Alter ziemlich groß; woher weißt du, dass ich nicht schon mit der Schule fertig bin? Drittens: Himmel, warum haben alte Tattergreise immer so eine scheiß Stimme? Viertens: Und was suchst du bei diesem Wetter draußen?

Da ich im Moment eher nicht von der Schule sprechen wollte, entschied ich mich dazu, eins und zwei wegzulassen. Auch vier interessierte mich eher weniger. Aber scheinbar war sie von meinem freundlichen Ton doch nicht so begeistert wie erwartet, als ich sie drei fragte. Hm, muss wohl noch etwas arbeiten.

Das "also, hör mal!" hallte noch in meinen Ohren nach, doch ich hatte sie einfach stehen gelassen und lief weiter, da ich mir irgendwie denken konnte, warum ihre Stimme so schrecklich klang.

"Du kannst da nicht lang!", kreischte die Greisin mir schrill nach. Genervt drehte ich mich um und rief zurück: "Ach ja? Du siehst doch, dass ich kann."

"Nein!", kreischte sie erneut und malte ziemlich verwirrende Zeichen in die Luft. Aber wahrscheinlich zitterte ihre Hand nur, als sie in die Gasse zeigen wollte. "Da drin ist er."

"Ahaaa...", erwiderte ich gedehnt. "Okay. Ich grüße ihn."

"Jetzt warte doch!" Die Verwirrung in der Stimme der Alten nervte so sehr, dass ich sie erneut ansah. "Hast du denn noch nicht gehört, dass er da seine Unwesen treibt?"

Langsam schüttelte ich den Kopf. In den tiefen Falten meiner Stirn konnte sich wohl schon eimerweise Wasser sammeln. "Wenn ich wüsste, wer er ist...", brummte ich.

Die Greisin bekreuzigte sich und rief laut zum wolkenverhangenen Himmel: "Gott möge mit dir sein!"

Ich rollte mit den Augen und lief weiter die Gasse entlang. Trotzdem - irgendwie konnte ich die Worte der seltsamen Alten nicht abschütteln. Es fröstelte mich. Aber wahrscheinlich lag das nur an der Kälte und dem Regen.

EinhornkotzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt