4. Kapitel

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"Alice, konzentrier dich bitte!", rief eine unvergleichlich nervige Stimme.

Ich stöhnte auf. Diese Hexe war mit Abstand die schlimmste Rauberin. Und Sozialkunde mit Abstand das schlimmste Fach. Also ich und sozial... Das passte ungefähr so perfekt zusammen wie mein Fisch und sein Fahrrad.

Provokant kaute ich auf meinem Kaugummi herum und richtete meinen Blick auf mein Handy. Es war gesperrt, ich tat nur so, als ob, und die Hexe schien es mir abzunehmen.

"Alice!", kreischte sie entsetzt. Die anderen Schüler drehten sich zu mir um und beobachteten teils belustigt, teils angewidert wie ich meine Finger in den Mund steckte und sie mit einem langen Kaugummifaden in Begleitung wieder rausholte. Ich sah schon, dass die Hexe kurz vor einer Ohnmacht war, obwohl dies eine vergleichsweise harmlose Unterrichtsstörung war. Nun, sie war mich wohl noch nicht gewohnt.

Ich rang mir ein müdes Lächeln ab.

Die Hexe versuchte, sich zu sammeln, und fuhr mit dem Unterricht fort. Bei jedem Satz huschten ihre kleine Krötenaugen hinter der dicken Brille jedoch hastig zu mir, als wolle sie sich vergewissern, dass ich sie nicht erneut aus dem Konzept brachte.

Ein Kichern raunte durch die Bänke; inzwischen wurde ich von fast allen Schülern angestiert. Aber natürlich ließ ich das nicht auf mir sitzen, niemand sollte mich lange anstarren, das machte mich aggressiv. Ich fasste jeden einzelnen so fest und intensiv ins Auge, dass sie ihren Blick abwenden mussten.

Mein Ruf war mir unwichtig, ich wusste noch nicht einmal wirklich, als was ich an der Schule galt. Allerdings wollte ich stets nach außen verdeutlichen, dass mir sowohl Freundschaften als auch sonstige Beziehungen außerhalb der Öffentlichkeit gegen den Strich gingen.

Die Schulglocke befreite mich aus meinen Gedanken und dem öden Unterricht. Natürlich war ich als Erste an der Tür; ich wartete schließlich nicht auf irgendwelche Freunde, fragte nichts bei der Hexe und musste nicht meine Stärke, von der jeder wusste, unter Beweis stellen.

Als ich mir den Weg durch die unreifen, sich prügelnden Jungen gebahnt hatte und die Schule zur Pause verließ, war der Hof noch leer.

Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, schlenderte gelassen an der welken Hecke entlang und pumpte die frisch gewaschene Luft in meine Lungen. Der Regen hatte nachgelassen, nur ab und zu verirrte sich ein Tropfen auf meinem Körper, dem steinigen Hof, den braunen Blättern, die an den knorrigen Ästchen der unregelmäßigen Hecke ihr Dasein fristeten.

Unwillkürlich warf ich einen Blick auf die Hauswand unserer alten Schule. Sollte wohl mal beige sein, sah aber mehr aus wie pissgelb. Außerdem müssten die leichten Risse mal wieder verputzt werden.

Aufstöhnend verdrehte ich die Augen und bog um die Ecke. Über was man sich Gedanken machen konnte. Bald würde ich sowieso von hier verschwinden.

Mein Blick strich über den Schulhof, der sich langsam füllte. Doch dann blieb ich abrupt stehen. An den Fahrradständern gegenüber standen drei Personen, die irgendwie nicht ins Bild passten. Alle hier trugen Mäntel, feste Schuhe und die meisten waren mit einem Regenschirm bewaffnet, falls es wieder anfangen sollte, stärker zu regnen. Warum standen da drei Menschen in Shirt und kurzen Hosen? Dazu Sandalen?

Ich kniff meine Augen zusammen und strich an der Hecke entlang zu den Drei. Scheinbar war ich die Einzige, die ihnen Aufmerksamkeit schenkte; die Menschen beschäftigten sich mit ihren Smartphones und was weiß ich allem. Was zur Hölle tun die da? Einer beugte sich vor, die anderen beiden gestikulierten wild mit ihren Händen und redeten auf den Gebeugten ein.

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