Prolog

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Siamun


Langsam trat er auf den unscheinbaren, kleinen Eingang im Felshang zu, der ein Stück über ihm lag. Der schmale Pfad auf dem er sich bewegte, ging rechts von ihm in die Tiefe und er musste darauf achten, wohin er trat. Dennoch rutschten auf der Seite immer wieder in Eis gehüllte Steine ab und stürzten in die Tiefe. Über ihm war eine Wolkenwand, die den Himmel bedeckte und die Schneefall verkündete.

Selbst seinem Gefährten und ihm war in diesen schwindelerregenden Höhen kalt, obwohl sie an Winter, Eis und kalte Tage gewohnt waren. Die Chance zu erfrieren schien sogar noch größer zu sein, als abzustürzen. Würde ihn am Ende nicht das erwarten, was er unbedingt wollte, dann würde er das Risiko des Aufstieges nicht eingehen. Siamun hielt kurz an. Sein Atem bildete weiße Wölkchen in der Luft und er rieb seine Hände, die in dicke Wollhandschuhe gepackt waren, um sie zu wärmen. Sein Freund, der bisher immer ein Stück hinter ihm lag, kam endlich näher. Außer Atem bat ihn dieser um eine kurze Pause. Genervt stieß er einen Seufzer aus, gewährte ihm aber, um was er gebeten hatte.

Es war noch immer nicht sicher, ob die Reliquie auch wirklich in dieser Höhle zu finden war, sonst hätte er es in Erwägung gezogen, den jungen Mann vor ihm vom Weg zu stoßen. So konnte er sich das nicht leisten, vielleicht brauchte er ihn ja in naher Zukunft noch und grundlos einer weiteren Person zu erzählen, was er suchte, empfand er als unnötig. Siamun sah ihm zu, wie er mit seinen Händen auf die warmen Pelzhosen gestemmt nach vorne gebeugt vor ihm stand und keuchend atmete. Dies lag wohl an der Tatsache, dass er eher korpulent war und es schien, als hätte er das Wort Ausdauer noch nie gehört.

Nach bereits kurzer Zeit sah Siamun ihn genervt an und ging weiter auf den Eingang zu. Wie er es doch hasste unbegründet aufgehalten zu werden. Auf seinem geisterhaft weißen Gesicht zeigte sich ein Grinsen, als er endlich den Eingang überwunden hatte und in das Dunkel der Höhle eingetreten war. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, doch es war, aufgrund des schwachen Lichtes, das von draußen einfiel, nicht viel zu erkennen. Aber nicht einmal das konnte ihn jetzt noch missmutig stimmen. Er war seinem Ziel näher denn je.

Nach dem Rätsel und den Schneestürmen in den Wochen des Aufstieges hatte er die Hoffnung beinahe aufgegeben, aber nicht seinen Ehrgeiz verloren. Dieser war ihm schon in jungen Jahren immer wieder von Vorteil gewesen. Vieles konnte erreicht werden, wenn man es nur hartnäckig genug versuchte. Eine Weile nach seiner Ankunft vernahm er hinter sich unregelmäßige Atemzüge, welche ihm sagten, dass sein Freund nun auch endlich hier war. Ohne ihn wäre er bestimmt schon vor Tagen hier oben angekommen, doch alleine war die Reise noch gefährlicher als ohnehin schon, so musste er diese Zeitverzögerung wohl hinnehmen. Dazu brauchte er ja auch jemanden, der die Sachen schleppen half.

Kurz blickte er zu seinem Freund zurück. Er sah in ein rundliches Gesicht, das an manchen Stellen von der Kälte eine unnatürliche Röte angenommen hatte. Selbst durch gute Kleidung war es unmöglich, den Temperaturen in dieser Höhe entgegenzuwirken. Würden sie nicht aus dem Eisreich stammen und an Kälte gewohnt sein, wären sie unlängst erfroren. In den ausdrucksstarken grünen Augen seines Freundes konnte er Stolz und Erleichterung ablesen. Sein kastanienbraunes, bis gerade zu den Schultern reichendes Haar war durch die Pelzmütze, die er trug, nur leicht zu erkennen und vom Weiß der darin gelandeten Schneeflocken durchzogen. Siamun wandte seinen Blick wieder der Dunkelheit vor sich zu.

Mit sicheren Griffen zog er den wollenen Handschuh von seiner rechten Hand, um ein Streichholz aus seiner Jackentasche zu fischen und mit diesem eine Fackel in seiner Linken zu entzünden. Das Licht, welches das entstandene Feuer spendete, erhellte einen kleinen Teil der Höhle. Unheilverkündende Schatten entstanden an den Stellen, die das Licht nicht erreichte. Vor ihnen lag ein kurzer Gang, an dessen Ende eine Treppe in die Tiefe führte. Mit vorsichtigen Schritten ließen sich die Männer nun gänzlich von der Höhle verschlingen und traten auf die Treppe zu. Vor ihr angekommen, erkannten sie, dass sie in Eis gemeißelt war. Die Decke war weit über ihren Köpfen und doch war zu erkennen, dass sie gleichmäßig abfiel, sobald die Stufen begannen. Einen Schritt nach dem anderen setzten sie ihren Weg auf den kleinen Quadraten fort, die sie immer weiter in die Tiefen der Höhle führten. Unheimlich erklang in der Nähe und in weiter Ferne immer wieder das Tropfen von Wasser auf Eis.

Gefangen im ewigen EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt