Kapitel 3

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Siamun
Sein Blick wanderte über die unter ihm stehende Menge. Die Schaulustigen reckten die Hälse, um möglichst viel zu Gesicht zu bekommen, doch in ihren Augen sah er noch etwas anderes als Neugierde. Er sah Angst. Überall auf den Gesichtern und in den Gesichtszügen der Leute spiegelte sie sich wider. Bei dieser Erkenntnis huschte ein gehässiges Lächeln über seine Lippen. Wie er es doch liebte, anderen dabei zuzusehen, wie sie litten. Die Klamotten der Anwesenden waren einfach und in matten Farben gehalten. Dass die Bürger der unteren Schicht sich so schlicht kleideten, war einer der Gründe, warum Siamun auf sie hinabblickte und warum er sich für etwas Besseres hielt.

Kurz hielt er in seiner allgemeinen Musterung inne, denn eine junge Frau der unter ihm Stehenden hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ihr Haar umfloss ihren Körper in leichten Wellen und reichte ungefähr bis zu ihrem Bauch. Im Licht der Nachmittagssonne glänzten sie und mit jeder Bewegung, die sie machte, hatte er mehr den Eindruck, auf eine brennende Flamme zu blicken. Ihre Augen fanden die seinen und einen kurzen Augenblick hielt sie seinem Blick stand, dann wanderten ihre emeraldfarbenen Augen weiter.

Siamun betrachtete seinerseits das Mädchen nicht länger, sondern konzentrierte sich auf den jungen Mann, der zu der Guillotine in der Mitte des Platzes gebracht wurde. Die zwei Soldaten waren keineswegs sanft in ihrem Umgang mit ihm. Dennoch reckte er das Kinn und ging, soweit es ihm möglich war, mit erhobenem Haupt seinem Ziel entgegen. Die beiden Männer hatten undurchdringliche Minen aufgesetzt, wobei einer älter war als der andere und bereits schütteres, weißes Haar hatte. Der junge Prinz wurde mit hinter den Rücken gefesselten Händen zu der Vorrichtung geführt, die dazu gedacht war, sein Leben zu beenden. Er wirkte erschöpft und obwohl in seiner Haltung nichts davon zu erkennen war, spiegelten seine Augen Furcht und Panik wider. Er war nicht bereit für das Kommende, es machte ihm mehr als Angst. Siamun hingegen gab die Situation des Prinzen und die damit verbundenen Emotionen ein krankhaftes Gefühl von Freude.

Wie sehr man das Leben zu schätzen lernte, wenn man zusehen konnte, wie ein anderer es so früh schon verlor. Eine Schande, die Zeit nicht früh genug auszukosten, denn man weiß nie, wann das Leben vorbei ist, es wäre doch zu dumm, wenn es enden würde, ehe es wirklich begonnen hatte. Das hier war das beste Beispiel dafür. Ein tragisches Ereignis, das notwendig war. Für Siamun war diese ganze Situation ein Ausdruck von Macht, denn er konnte über das Leben eines anderen bestimmen. Er konnte dessen Leben ein Ende setzen, ein Ende, das in einem Kalender vermerkt war und ein wo und wie dabei hatte. Es fühlte sich herrlich an. Ein Gefühl des erfüllt Seins, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitete, seinen Gliedern vortäuschte, fliegen zu können, seinem Verstand vorgaukelte alles erreichen zu können.

Bald schon würden diese grau-grünen, ausdrucksstarken Augen und dieser dunkelblonde Schopf ihren Reiz verlieren, genauso wie dieser dunkle Goldton der Haut. Für die Frauen im Feuerreich galt er bestimmt als attraktiv, doch alles ist vergänglich, vor allem die Schönheit. Kurz bevor er seinen Weg vollendet hatte, bröckelte die Fassade hinter der er sich versteckt hatte, die ihm Kraft gegeben hatte und er begann sich zu wehren. Erfolglos. Ohne auf die Proteste des Gefangenen zu achten, drückten sie ihn auf die Vorrichtung hinter der Guillotine, befestigten ihn. Ein entsetztes Raunen breitete sich in der Menge aus. Bisher waren die Zuschauer zu fasziniert, zu schockiert gewesen, um reagieren zu können.

Jetzt wurde ihnen die Situation mit voller Wucht bewusst. Sie würden heute ihren Prinzen verlieren, während zwei wildfremde Männer auf dem Balkon des Monarchen die Hinrichtung verfolgten und auf das Volk herabblickten. Sie hatten Angst, Angst vor einer unbekannten Zukunft, der sie entgegen zu gehen hatten. In den Augen Siamuns lag ein gefährliches Glitzern und eine Gier, eine Gier nach Blut, nach Macht.

Den Blick weiterhin auf das Schauspiel gerichtet, legte er dem Mann neben sich die Hand auf die Schulter, um ihm zu sagen, dass es nun so weit war. Mit einem knappen Nicken gab Devas seinem Bruder Bescheid, dass er verstanden hatte. Was in dem Jüngeren vorging, konnte er nicht ausmachen, zumal es ihn auch nicht interessierte. Eine leichte Bewegung der Hand genügte, damit die Soldaten wussten, dass sie beenden konnten, was sie begonnen hatten. Ohne zu zögern, löste der Ältere den Knoten im Seil, welcher der einzige Gegenstand zwischen dem Leben und Tod des Prinzen war.

Gefangen im ewigen EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt