Kapitel 5

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Atlanta

Obwohl nun schon mehrere Tage vergangen waren, gingen ihr die Bilder der Hinrichtung dennoch nicht aus dem Kopf. Der Prinz hatte sich wacker geschlagen, doch sie wusste, wann jemand Angst hatte. Und in seinen Augen hatte sie keine Angst mehr gesehen, nein, sie hatte Furcht gesehen. Furcht vor dem Bevorstehenden. Furcht, dass auch seine Eltern sterben würden. Furcht, was in dem Leben nach dem Tod kommen würde. All dies hatte sie jedoch nur erahnen können, wäre es ihr in diesem Moment vermutlich so ergangen.

Sie war damals zu Talon zurückgelaufen und hatte keinerlei Rücksicht auf ihre Füße genommen, welche es ihr durch Schmerzen jetzt heimzahlten. Heute musste sie wieder in der Mine arbeiten, immerhin wollte sie Talon nicht weiter auf die Nerven fallen und selbst wieder Geld für Essen verdienen.

Er hatte ihr die Füße einbandagiert, um zumindest die Blutungen zu stoppen, die durch den harten Steinboden verursacht worden waren und ihr große Schmerzen bereiteten.

Doch sie musste arbeiten und irgendwann auch wieder nach Hause, auch wenn diese Bezeichnung zu freundlich war, konnte man ihre alte Holzhütte kaum noch als bewohnbar ansehen.

Zusammen mit Talon machte sie sich von seinem Haus aus nun auf den Weg zu den Minen, welche etwas außerhalb der Stadt lagen. Die Berge, die sie beherbergten, waren riesig und erstreckten sich über mehrere Kilometer. Der Weg dorthin war mindestens genauso beschwerlich wie die Arbeit an sich. Die Sonne war gerade am Aufgehen und man konnte bereits vereinzelte Strahlen an der Spitze der Berge erahnen. Unter anderen Umständen würde sie stehen bleiben und sich das Naturspektakel eine Weile ansehen, doch so wollte sie einfach nur weitergehen und endlich ihr Ziel erreichen, um ihren Füßen die nötige Auszeit zu gönnen.

„Du solltest noch nicht arbeiten Atlanta" Schon die ganze Zeit nervte er sie damit. Er würde ja für sie sorgen, sie solle sich ausruhen, arbeiten sei nichts für sie in diesem Zustand und so weiter. Sie wusste, dass er das für sie tun würde und sie war dankbar dafür, doch sie wollte wieder auf eigenen Füßen stehen. Auch wenn diese Floskel hier nicht besonders treffend war. Seine Bemühungen quittierte sie meist mit einem kurzen Nicken oder einem zustimmendem „Mhm", doch sie kam nicht auf die Idee, kehrt zu machen und zurück zum Haus zu gehen. Vielleicht konnte sie ja aushandeln, dass sie heute ein Stunde früher gehen dürfe, auch wenn der Lohn dann noch geringer ausfallen würde als ohnehin schon. Aber für einen Tag und nur für Essen würde er reichen, schließlich war sie es gewohnt, nicht viel zu sich zu nehmen und doch zu überleben.

In der Mine angekommen suchte sie zuerst einmal den Vorsitzenden. Sie war nicht fest angestellt und musste so jeden Tag wieder fragen, ob Arbeit frei war und ob man sie nehmen würde. Inzwischen kannte man sie gut und sie musste meist nicht bangen, ob sie den Tag arbeiten dürfte oder nicht. Für gewöhnlich wurden Frauen in diesem Beruf gänzlich abgelehnt, waren sie doch zu schwach für solch harte Arbeit, doch bei ihr machte man eine Ausnahme. Sie war trotz ihrer zierlichen Gestalt stärker als manche Männer hier, doch vielleicht lag dies daran, dass einige auch deutlich jünger waren als sie und man sie nicht als Männer bezeichnen konnte. Höchstens als Jugendliche. Höchstens.

„Suchst du mich?" Wüsste sie nicht, dass er sich dauernd von hinten anschleichen würde, hätte sie sich jetzt wirklich erschrocken Atlanta konnte sich jetzt schon ausmalen, wie er hinter ihr stehen würde. Die Hände in die Hüfte gestemmt, selbstbewusst – aber keineswegs arrogant – und mit den blonden, langen Haaren ins Gesicht hängend, da er sich weigerte, sie zusammen zu binden. Seine eisblauen Augen würde sie angeregt mustern und aufblitzen, da er sich stets freute, sie zu sehen. Klamotten würde er wie immer dreckige tragen, was sollte er auch mit vornehmen, schönen Gewändern in einer staubigen Mine?

„Ja." Sie drehte sich zu ihm um und blickte dem Mann in die Augen, auch wenn sie dazu den Kopf in den Nacken legen musste, war er doch gut 30 cm größer als sie. „Gibt es heute wieder Arbeit für mich?"

Gefangen im ewigen EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt