Atlanta
Die Flure des Palastes erschienen ihr in diesem Abteil noch glamouröser, aber auch entsprechend länger. Gefühlte Stunden war sie nun schon unterwegs, die Wache vor ihr schenkte ihr keinen Blick und daher auch keine Ablenkung, die sie dringend nötig gehabt hätte. Sie wusste noch immer nicht, was auf sie zukam und am liebsten wäre sie weggelaufen. Doch an jeder noch so kleinen Ecke stand mindestens ein Soldat, der sie locker hätte einfangen können.
Endlich blieb er stehen und beinahe wäre sie gegen ihn gelaufen, so sehr hatte sie die Wände betrachtet und in Gedanken davon geschwärmt. Einige Frauen standen in einer etwas unordentlichen Reihe vor einer riesigen Tür. Zumindest für Atlanta war sie riesig. Eine goldene Verzierung umschlang den Türknauf wie ein Drache seine Beute. Das Material sah sehr edel aus, vermutlich war es ein sehr teures Holz von einem Baum, der nicht überall wuchs.
Nachdem sie diesen Eingang ausgiebig gemustert hatte, schweifte ihr Blick zu den anderen ab, die einerseits ungeduldig, andererseits nervös im Flur herumblickten. An ihrer Haltung konnte man erkennen, dass einige sich auf das Folgende freuten, andere hingegen kamen Atlanta sehr schüchtern vor, sie hätten sich am liebsten irgendwo versteckt. Und ihr ging es nicht anders.
Aber jetzt war es zu spät. Fliehen war eine dumme Idee, genau wie jemanden um Hilfe bitten. Wer würde IHR schon helfen? Und brauchte sie überhaupt Hilfe? Vielleicht war die ganze Aufregung umsonst. Denn würde man einem kleinen Mädchen wie ihr wirklich etwas antun? Diese Vermutung lag nicht besonders nahe, also versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie atmete einmal tief ein und wieder aus. Die Luft in diesem Palast war jedoch leider sehr stickig, alle vorhandenen Fenster waren geschlossen, weshalb der gewollte Effekt nicht eintraf.
Mit der Zahl der Frauen, die hinter der Tür verschwanden, stieg auch Atlantas Verzweiflung. Nur wenige standen noch da, als sie schließlich in das Zimmer geholt wurde. Beim Vorbeigehen sah sie den glücklichen Ausdruck einer Frau, von der der König scheinbar doch nichts wollte. Nur zu gerne hätte sie in deren Haut gesteckt, aber vielleicht erwartete einem kein gutes Schicksal, wenn man fortgeschickt wurde.
Nervös wanderte sie mit ihrem Blick herum, von den Mädchen, die in einer Reihe vor der Wand standen angefangen, bis hin zu Siamun, der ihr sehr bekannt vorkam. War das nicht der Mann vom Balkon? Während der Hinrichtung? Ohne weiter auf ihn zu achten, sah sie zu einem etwas jünger aussehenden Mann, der auf einer äußerst bequem wirkenden Couch (zumindest für sie sah sie so aus, hatte sie doch noch nie Luxus gehabt) Platz genommen hatte. Er musterte sie genau, was Atlanta mehr als nur unangenehm war. Sie stand da wie eine leblose Ware, die von einem Käufer begutachtet und schließlich gekauft oder eben nicht gekauft wurde.
Nach kurzer Zeit schon, zu ihrem Entsetzenmurmelte er kurz etwas in Richtung des Stehenden, woraufhin dieser kaum merklich nickte. Mit einer deutlichen Handbewegung gestikulierte er Atlanta, dass sie sich zu den anderen stellen sollte. Einerseits war sie froh darüber, nun endlich nicht mehr der Mittelpunkt seiner Blicke zu seiner, aber andererseits war es noch nicht vorbei. Ihr Mut sank noch weiter, bis sie sich schließlich am liebsten im Boden vergraben hätte. So gut sie konnte – und das konnte sie normalerweise gut – verbarg sie dies jedoch und hob leicht die Nase, um etwas arroganter, aber vorwiegend selbstbewusster zu wirken. Nicht etwa, um den Typen zu begeistern oder nicht, sondern, um sich selbst besser zu fühlen.
Durchaus neugierig hörte Atlanta einem Gespräch der beiden zu. Der ihrer Meinung nach Ältere der beiden schien langsam die Geduld zu verlieren und ihrer Meinung nach sollte man den Typen lieber nicht verärgern.
„Entscheid dich doch bitte endlich für zwei, es ist schon spät." Sein etwas genervter Unterton fiel Atlanta sofort auf, aber was noch schlimmer war, waren die Worte, die er soeben gesagt hatte. Zwei aussuchen? Wofür? Was würden sie tun müssen? War Atlanta womöglich eine von ihnen?
„Jaja. Ich habe Zeit Siamun, also bitte hetz mich nicht, wenn es dir zu lange dauert, kannst du ja auch gehen."
Siamun. Das war also sein Name. Aber wer hatte hier nun wirklich das sagen? Sie hoffte inständig, dass der Jüngere hier der Boss war, er schien netter zu sein.
„Meine erste Wahl fällt auf Nilanja". Atlanta sah zu einer ziemlich großen Brünetten, die einen Schritt nach vorne machte. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, ob sie erfreut oder doch unsicher sein sollte, was man an ihrem Ausdruck deutlich erkennen konnte. Atlanta atmete etwas erleichtert auf, hielt aber sofort inne, da man sie sicher gehört hatte und dies ein schlechtes Licht auf sie warf. Kurz warf sie einen Blick zu den übrigen Frauen, welche über die Entscheidung mit gemischten Gefühlen reagierten. Einige atmeten, gleich wie sie, erleichtert auf, andere wiederum schienen enttäuscht zu sein, was Atlanta nicht verstehen konnte.
„Die zweite von euch, die ich zur Frau nehmen werde, ist Belania." Jetzt war es endgültig um Atlantas Hoffnung geschehen. Dieser scheinbar vollkommen Verrückte wollte diese Mädchen heiraten! Die Schwarzhaarige, die er Belania genannt hat, schien zwar überrascht, legte ihre selbstbewusste Haltung aber keineswegs ab, was dem Sitzenden zu gefallen schien. Der Ältere schien mit der Entscheidung nicht ganz einverstanden zu sein, was man am leichten Verziehen seines Gesichtes erkennen konnte.
Atlanta aber kümmerte sich nun nicht mehr um die anderen, sie war einfach nur froh und fühlte sich gleich um 5 Kilo leichter, waren ihr doch alle Lasten und Sorgen von den Schulterm genommen worden. Am liebsten hätte sie einen Freudentanz aufgeführt, aber sie wollte weder als verrückt noch als kindisch dastehen. Zudem war sie zu schüchtern, um vor anderen zu tanzen, egal zu welchem Anlass. Doch kümmerte sich einer darum? Natürlich nicht, jemand wie sie war natürlich nie zu Bällen oder anderen Tanzfesten eingeladen, was sie aber nicht weiter störte.
Gut, der Rest von euch kann-"
„Atlanta", Atlanta dachte, ihr Herz würde stehen bleiben. Hatte der gerade wirklich ihren Namen gesagt? Der hatte doch nichts zu sagen! „Du wirst die dritte Frau sein, die die Ehre hat, meinen Bruder zu heiraten. Jetzt kann der Rest gehen." Nein...
Atlanta wollte nicht wahrhaben, was eben geschehen war. Sie hatte sich schon dermaßen in Sicherheit gewogen, dass dieser Schlag sie noch mehr traf als wenn man sie gleich ausgewählt hätte. Sie fühlte sich, als würde eine Welt zusammenbrechen. Niemals hatte sie sich vorgestellt, jemanden zu heiraten, den sie nicht liebte. Und erst recht nicht jemanden, den sie gar nicht kannte!
Die weiteren Worte des Stehenden nahm sie nur mehr wie durch einen Nebel wahr, sie schienen so weit entfernt, dass sie sie einfach nicht mehr hören konnte.
DU LIEST GERADE
Gefangen im ewigen Eis
ParanormalDrei Königreiche, eine Legende, ein machtgieriger König.... Siamun, der Prinz des Eisreiches, ist gewillt über Leichen zu gehen, um an sein Ziel zu gelangen. Freunde sind für ihn überflüssig und sein Bruder, der König, nur dazu da, ausgenutzt zu wer...