Kapitel 1

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Die Hochhäuser verschwanden und wichen kleinen Häusern mit grünen Gärten. Die Häuser standen dicht an dicht mit kleinen Zäunen dazwischen, die nur zur Dekoration dienten, nicht um die Privatsphäre zu schützen.

Ich lehnte meinen Kopf gegen das Fenster und schloss die Augen. Wie lange werden wir wohl noch fahren? Es kam mir jetzt schon vor wie eine Ewigkeit.
Doch insgeheim hoffte ich, dass ich nie ankommen würde. Dass meine Eltern doch wieder Zeit für mich haben werden. Aber ich wusste, dass ich nichts an der Situation ändern konnte.
"Der Job geht vor",  das hatten meine Eltern zwar nie gesagt, aber es war so.
Als mein Vater befördert wurde, war ich 10 Jahre alt und habe mich für ihn gefreut. Als dann ein Jahr später meine Mutter in die Chefetage kam, habe ich mich auch für sie gefreut. Ich konnte ja da noch nicht ahnen, was es für mich bedeuten würde.
Dass es heißen würde, dass ich nach 5 Jahren Vernachlässigung auf ein Internat geschickt wurde.
Meine Eltern waren der Ansicht, dass es mir gut tun würde. Ich hoffte,sie hatten Recht.

Als ich die Augen wieder öffnete,  fuhren wir bereits auf einer großen Autobahn. Es regnete und auf den Feldern neben der Straße tanzten die Gräser mit dem Wind.
Der Fahrer fluchte, als uns ein LKW überholte und schaltete die Scheibenwischer höher, um das Wasser von der Windschutzscheibe zu bekommen.
Wenn meine Eltern mich ins Internat gefahren hätten, würden wir jetzt alle über diesen bescheuerten LKW-Fahrer lästern und Papa würde den Fahrer nach äffen.  Aber sie musten ja arbeiten.

Ich seufzte und kuschelte mich in den weichen Sitz des Taxis und griff nach der Kette, die um meinen Hals hing. Meine Oma hatte sie mir vor ihrem Tod geschenkt.
Wie ich mir doch wünschte, sie währe hier. Sie hatte immer Zeit für mich und würde mich beruhigen und mir sagen, dass ich keine Angst haben müsse.
Und das hatte ich, Angst!
Nicht davor, keine Freunde zu finden, nein, Freunde werden nicht das Problem sein. Das Problem wird das Reiten sein. Den ich würde auf ein Reitinternat kommen.
Ich liebte Pferde über alles seitdem ich einmal mit meinen Eltern Urlaub auf einem Reiterhof gemacht hatte. Aber das war es dann auch schon. Danach bin ich nie wieder geritten, weil ich keine Zeit hatte. Ich sollte immer für die Schule lernen, um später auch so erfolgreich zu sein wie meine Eltern. Aber das wollte ich gar nicht. Ich wußte nur noch nicht, was ich wollte. Nur wollte ich das, was meine Eltern hatten, bestimmt nicht.
Ich wollte ein durchschnittliches Leben. Eine kleine Wohnung. Einfach nur glücklich sein. Ja, das wollte ich. Kein Luxus und kein Stress so wie meine Eltern.

Wir fuhren von der Autobahn ab, durch kleine Dörfer, durch Wälder und durch Kleinstädte. Bis wir an eingezäunten Wiesen vorbei kamen.
Nach einiger Zeit konnte ich das Internat in der Ferne ausmachen. Meine Angst stieg in unendliche. Was, wenn ich beim Reiten versage. Was, wenn mein Pferd nicht für Anfänger geeignet ist. Was, wenn ich vom Pferd falle. Ich umfasste die Kette so fest, dass man meinen könnte, der rote Diamant zerspringt gleich.
Das Auto bog in eine lange, gepflasterte Straße ein, die direkt auf ein herrschaftliches Schloss zuführte. An den beiden Seiten war ein langer Holzzaun. Hinter dem Zaun standen bereits einige Pferde, die zwei Mädchen beobachteten, die gerade dabei waren über das Gatter auf die Koppel zu klettern.

Vor uns tauchte ein Tor, hinter den Bäumen die eine Alee bildeten, auf.
Als wir davor hielten, sprach der Taxifahrer etwas in die Sprechanlage, woraufhin sich das Tor öffnete.
Vor dem Schloß standen noch einige moderne Stallgebäude mit Padoks, auf denen einige Pferde standen und dösten.
Überall standen kleine Buchsbäume, die zu perfekten Kugeln geschnitten worden sind.
Ein Mädchen ritt mit ihren Fuchs an uns vorbei. Sie steuerte einen großen Dressurplatz an, auf dem noch einige Pfützen waren. Der Regen ist mittlerweile in Niesel übergegangen und wurde immer weniger. Bald würde wieder die Sonne scheinen.
Der Wagen hielt vor dem Schloß und der grauhaarige Fahrer stieg aus.

Ich wollte nicht aussteigen, ich wollte nach Hause in mein Zimmer.
Mit einem klicken ging die Kofferaumtür auf und der Fahrer holte mein Gepäck raus.
Ich riss mich zusammen, schnallte mich ab und stieg aus.
Es hatte aufgehört zu regnen, doch die Kälte, die der Regen gebracht hatte, hing weiterhin in der Luft.
Ich sah mir das Schloß genauer an, es war sehr alt aber wohl frisch renoviert.
Das Schloß leuchtete in einem angenehmen frischen gelb. An der einen Seite stand noch ein Gerüst für die Maler, von denen ich aber niemanden sah.
Aus einem der Stallgebäude sah ich eine Frau auf mich zukommen. Sie war groß und schlank, mit schulterlangem braunen Haar. Sie lächelte mich an und als sie vor mir stand, streckte sie ihre Hand aus.
,,Du mußt Skyla sein nicht war? Ich bin Fr. Schmitt, deine neue Klassenlehrerin"
Ich nahm die Hand und schüttelte sie leicht.
,,Ja ich bin Skyla Trede".
Sie lächelte mich herzlich an.
,,Na, dann will ich dich auch nicht länger warten lassen, du bist bestimmt schon gespannt, wie dein Zimmer aussieht?"
Ich nickte, obwohl ich nicht sonderlich auf die Einrichtung des Zimmers gespannt war. Schließlich ist es nur ein Zimmer.
Fr. Schmitt ging zu dem Kofferaum und holte einige Gepäckstücke heraus.
,,Dann lass uns mal dein Zimmer angucken gehen".
Ich nahm die restlichen Gepäckstücke und folgte ihr ins Innere des Schlosses.

~*~

Reitinternat LehmannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt