07. WIE MICH MR. TOMLINSON AUF DER TOILETTE TRÖSTETE

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Nervosität schlich sich in meine sämtlichen Muskeln, ich fuhr mir andauernd durch die Haare. Ich wollte diesen Papierfetzen so schnell wie möglich ausfüllen und dann abhauen. Ganz unten auf dem Zettel stand: Unterschrift der Erziehungsberechtigten. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Tränen stiegen mir in die Augen, jetzt war ich aufgeschmissen. So gut es ging, legte ich mir in meinem Kopf eine Ausrede zurecht, weshalb meine Eltern hier nicht unterschreiben konnten.

"Ms. Stone, ist alles in Ordnung mit Ihnen?", wollte der Direktor erfahren und beobachtete mich aus seinen braunen Augen.

Mein Blickfeld war deutlich verschwommen, als ich mir auf die Unterlippe biss, so fest bis sie schließlich blutete. Ich wollte nicht vor den beiden in Tränen ausbrechen, schließlich hatte ich mich schon genug blamiert.

"Ja, es ist nur...", mir fiel nicht ein, wie ich weitersprechen sollte, ich suchte noch die passenden Worte. In meinem Gehirn arbeiteten sämtliche Zellen, um eine passende Ausrede zu finden, Schweißperlen breiteten sich auf meiner Stirn aus.

"Was ist das Problem?", fragte er und versuchte mich nett anzulächeln. Jedoch sah ich, dass das Lächeln seine Augen nicht erreichte.

"Meine Eltern können das nicht unterschreiben. Sie... Sie sind nicht hier", gab ich ihm die Antwort auf seine Frage und begann wieder meine Oberlippe mit den Zähnen zu drangsalieren.

"Dann werden wir es ihnen zuschicken", meinte er abschätzend und widmete sich wieder Louis... Mr. Tomlinson. Wie sollte ich mich jemals daran gewöhnen, ihn Mr. Tomlinson zu nennen? Ich spürte förmlich, wie sich ein weißer Farbton auf meine Gesichtszüge legte.

"Das geht nicht", murmelte ich und spielte mit meinen Fingern herum.

"Wieso nicht? Wissen ihre Eltern nicht, dass sie hier sind? Sind sie von Zuhause weggelaufen?", bohrte der Typ die ganze Zeit nach und durchdrang meine Fassade mit seinem Blick. Warum verstand er denn nicht, worauf ich ihn gerade hinwies? Wieso dachten alle nur so schlecht von mir? Sah ich wirklich aus wie ein Ausreißer?

"Mr. Payne, das reicht", ergriff Louis das Wort. Ich musste mir wirklich den Vornamen abgewöhnen und schon einmal damit anfangen, ihn zu siezen. Und endlich wusste ich, wie der Schuldirektor genannt werden sollte.

"Seit wann Siezen wir uns eigentlich Louis?", fragte Mr. Payne lachend und schob einen Stapel Unterlagen beiseite, wieso konnte er nicht einmal während dieses Gespräches mit seiner Arbeit stoppen? Das kam ziemlich unhöflich rüber, um ehrlich zu sein.

"Seit gerade eben", meinte der Gefragte und knirschte mit den Zähnen. Er guckte zwischen mir und Mr. Payne hin und her.

"Sie sind tot", ergriff ich das Wort und schluckte den ekligen Geschmack von Verbitterung und Tod hinunter.

"Wer?", wurde die nächste Frage gestellt. War der so schwer von Begriff? Die Wut in mir wurde immer größer und die erste Träne der Wut hatte meinen Augenwinkel bereits verlassen.

"Meine Eltern", hauchte ich tonlos, meine Stimme versagte, feuchte Tränen liefen über meine Wangen und bahnten sich ihre verschiedenen Wege nach unten. Eine tropfte auf das Sitzkissen des Stuhles, auf dem ich immer noch saß und hinterließ einen dunklen, nassen, kleinen Flecken.

"Dann weiß ich nicht, ob wir sie zulassen können", meinte Mr. Payne wieder, in seiner Stimme schwang ein Unterton mit, dessen Bedeutung ich nicht eindeutig bestimmen konnte. Ich schluckte hart. Das war jetzt nicht sein verdammter Ernst, oder? Wie kalt konnte ein Mensch eigentlich sein? Diesmal starrte ich ihm direkt in die teddybraunen Augen.

"Mr. Payne. Ich bitte sie", flehte ich schon fast, meine Stimme noch immer sehr kratzig klingend.

Es gab mittlerweile nichts Wichtigeres für mich, als dieses Abi zu machen. Das hatte sich zwar heute Früh noch komplett anders angehört, aber ich musste es für meine Eltern tun. Damit sie stolz auf mich sein konnten. Diese Aktion gerade hatte mir die Augen geöffnet und ich würde mich bestimmt nicht von so einem Affen an meinem Vorhaben behindern lassen.

"Komm schon, Liam", sprang Louis nun auch ein und schenkte mir ein warmes, aufmunterndes Lächeln.

"Ach jetzt sind wir wieder beim Duzen", lachte der Angesprochene. Mir wurde es zu viel und ich spielte für einen Moment mit den Gedanken einfach aufzustehen und den Raum zu verlassen. Ich fühlte mich richtig unwohl, um es deutlich zu formulieren. Diese ganze Situation war einfach scheiße, besonders, dass dieser blöde Schuldirektor auch noch so komisch lachte die ganze Zeit.

Aufstehen oder sitzen bleiben?

„Aufstehen!", brüllte mein Gewissen und forderte mich dazu förmlich auf. Wieder einmal ein äußerst interessanter Beitrag, aber diesmal musste ich mir den Schuh anziehen, immerhin hatte ich ja gefragt. Und ich stand wirklich auf, wollte gerade den Raum verlassen, weil es mir einfach zu dumm wurde.

Louis redete auf ihn ein, woraufhin Mr. Payne mir zurief: "Warten sie kurz. Sie sind zugelassen Ms. Stone", gab er sich geschlagen und reichte mir die Bescheinigung mit seiner aufgesetzten Unterschrift.

"Danke", sagte ich kalt und noch dazu kurz angebunden. Nun war ich Louis auch noch etwas schuldig. Verdammt, ich hasste es, anderen einen Gefallen zu schulden, aber ohne ihn hätte dieser Kerl mich vermutlich nie angenommen. Meine Stimme hörte sich noch immer brüchig an, ich schloss die Tür hinter mir, um in irgendeine Richtung zu rennen. Es dauerte nicht wirklich lange, bis ich die Toilette gefunden hatte, was bei meinem Orientierungsproblem wirklich sowas wie ein zweites Weltwunder war.

Hemmungslos weinend, setzte ich mich auf den Deckel.

"Und eigentlich wollte ich nicht weinen", murmelte ich schluchzend und rümpfte die Nase.

"Genau das hilft aber meistens", erklang eine Stimme vor der Toilettentür und ich erschrak mich so derartig, dass ich einen weniger edlen Abgang vom Klo machte. Was bildete der Kerl sich ein, mir bis auf die Mädchentoilette zu folgen? War er ein Spanner etwa auch noch? Was wusste ich denn noch von ihm nicht? Und wo war mein verdammtes Einhorn, wenn ich es einmal brauchte?

"Serena ist alles in Ordnung? Mach mal bitte die Tür auf", bat er mich und ich konnte das Lächeln auf seinen Gesichtszügen bis hierher spüren. Vorsichtig machte ich auf, ich wollte es eigentlich gar nicht, aber schließlich konnte ich mich ja nicht für immer hier drinnen verstecken.

"Was willst... Was wollen sie hier Mr. Tomlinson?", fragte ich mit geschwollener Stimme und zog aus meiner Hosentasche ein Taschentuch. "Du kannst mich weiterhin Louis nennen. Immer wenn ich Mr. Tomlinson höre, komme ich mir so alt vor", sagte er und grinste mich spitzbübisch an.

"Wie alt bist du denn?", rutschte es aus meinem Mund heraus, das Grinsen wurde breiter.

"25. Und du?", antwortete er trotz dieser unhöflichen Frage. Wieso redeten wir eigentlich so einen Smalltalk?

"17", sagte nun auch ich und schaute auf meine Füße, die in diesem Moment wohl eindeutig interessanter waren, als seine graublauen Augen, die sich immer wieder versuchten in meine zu bohren.

"Das mit deinen Eltern...", fing er an, doch ich unterbrach ihn wieder. "Lass gut sein", schnappte ich, da dieses Thema äußerst empfindlich für mich war.

"Nein. Ich kann nicht sagen, dass ich dich verstehe, weil ich es nicht tue, aber ich kann sagen, dass deinen Eltern das nicht gefallen würde, wenn sie dich so sehen würden."

Ein Schluchzen entfuhr mir.

Herzlichen Glückwunsch, Tomlinson. Du hast meine Schwachstelle gefunden. Louis kam ganz langsam auf mich zu und umarmte mich fest. Komisches Gefühl einen Lehrer zu umarmen. Aus einem mir unbekannten Grund wollte ich, dass dieser Moment niemals vorbeiging.

"Ich muss jetzt den Unterricht für die dritte Stunde vorbereiten. Wir sehen uns da ja gleich...", meinte er und knackste mit seinem kleinen Finger.

"Ich weiß", seufzte ich leise und wandte mich zum Gehen.

"Weißt du wo dein Klassenzimmer ist?", wollte Louis erfahren und ich schüttelte als Antwort nur den Kopf.

"Man Serena, du bist echt verpeilt." Da hatte er mich wohl auf frischer Tat ertappt. Daraufhin streckte ich ihm die Zunge heraus. Wow. Ich hatte gerade MEINEM Lehrer die Zunge herausgestreckt. Am liebsten hätte ich mir stolz auf die Schulter getätschelt. Doch weil Louis anwesend war, beschloss ich das auf später zu verschieben. Wäre sonst zu peinlich gewesen.

"Wieso grinst du denn so?", fragte er verwirrt und hielt mir die Tür auf.

"Nicht so wichtig."

"Okay. Komm mit, ich bringe dich hin."

Zusammen liefen wir einmal quer durch das ganze Schulhaus, ich ließ mir hin und wieder ein paar Dinge zu bestimmten Klassenräumen erklären, zudem zeigte er mir einen Getränkeautomaten und den Eingang zur Mensa. Vor dem Klassenzimmer schwiegen wir uns eine Weile an. Wieso sagte der Kerl denn jetzt nichts? Diese erdrückende Stille machte mich verdammt nervös.

"Vielen Dank, Louis", ergriff ich also das Wort.

"Bitte, habe ich gerne gemacht. Wir sehen uns dann. Bis später Serena."

"Tschüss, Louis."

Ich stand da noch ein bisschen, dann klopfte ich. Mrs. Howls Stimme erklang. Schon allein wenn ich ihre Stimme hörte, bekam ich Wutanfälle.

"Ah, da bist du ja wieder. Hat der Direktor es tatsächlich genehmigt?"

Nickend stiefelte ich an ihr vorbei, zu dem Platz von vorhin. "Wenn er es nicht genehmigt hätte, wäre ich ja wohl ganz bestimmt nicht zurückgekommen", dachte ich mir. Auf dem Weg knallte ich den unterschriebenen Zettel aufs Lehrerpult. Nes guckte mich erwartungsvoll an. Pah, da konnte sie lange warte; ich würde sie zappeln lassen.

Als die Doppelstunde endlich um war, schnappte Nes sich meine Hand, zog mich nach draußen und fing an mich auszuquetschen.

IT IS WHAT IT IS » LOUIS TOMLINSONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt