44. DER ETWAS ANDERE HARRY

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S E R E N A

Unsanft landete ich auf dem Parkettboden. Mein Blick scannte alles ab, damit ich mich daran erinnern konnte, wo genau ich gerade eigentlich war. Das Sofa, auf dem ein schlafender Harry lag, zeigte mir, dass ich mich im Wohnzimmer befand. Anscheinend hatte ich die Nacht hier, bei meinem Bruder verbracht.

Irgendwie fühlte sich der Gedanke immer noch richtig fremd an. Harry mein Bruder. Der verhasste Lehrer. Nun musste ich damit eben zurechtkommen. Müde rappelte ich mich vom Boden auf. Nes und ich sollten uns schleunigst ein besseres und größeres Sofa zulegen. Stechende Schmerzen gingen durch meinen Rücken, ich nahm mir vor nie wieder auf diesem alten Lappen zu schlafen. Ein Geräusch ließ mich herumfahren. Es war nur Harry, der gerade ebenfalls aufgestanden war.

"Morgen...", murmelte er mit seiner rauen Morgenstimme.

"Dir auch", antwortete ich gähnend.

"Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich finde es wird Zeit, dass wir dieses Bruder-Schwester-Ding durchziehen. Fangen wir doch mal mit einem ernsthaften Gespräch an."

Abwartend sah ich ihn an. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, ich begriff nicht was er damit so recht meinte. Die grünen Augen lagen seelenruhig auf mir und schienen jeden einzelnen Teil meines Körpers zu beobachten. Leichte Gänsehaut breitete sich aus, und langsam fühlte ich mich unwohl in meiner Haut.

"Was meinst du damit?"

"Du und Tommo also... Ihr wisst hoffentlich, dass das illegal ist."

"Entschuldige mal! Was bildest du dir eigentlich ein? Du bist mein leiblicher Bruder, ebenfalls Lehrer, und hast mich auch geküsst. Und das wollte ich noch nichtmal. Auf dieses Gespräch hier kann ich echt pfeifen. Du denkst wohl auch, du kommst hier jetzt angelaufen und alle legen sich dir zu Füßen! Ich bin bis jetzt ziemlich gut klargekommen. Ohne dich. Das wird sich auch nicht von heute auf Morgen ändern. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss mich noch duschen und möchte nicht zu spät zur Schule kommen", rief ich empört, und musste danach erstmal Luft schnappen.

Schlecht gelaunt ließ ich ihn einfach stehen und machte mich auf den Weg nach oben in mein Zimmer. Und ich dachte tatsächlich, wir hätten von neuem begonnen. Es hatte ehrlich gesagt sehr gut getan mit ihm gestern die halbe Nacht durchzureden. Aber dann war da noch immer diese Arschlochseite an ihm. Hoffentlich würden wir uns irgendwann akzeptieren können und auch gut miteinander auskommen. Louis lag noch ziemlich verschlafen im Bett. Erstmal ließ ich ihn so liegen und machte mich auf den Weg in's Badezimmer, um endlich duschen zu können.

H A R R Y

Gekränkt zog ich mir meine Jacke an. Warum musste ausgerechnet sie meine Schwester sein? Die Person, die ich anfang's so anziehend fand. Die bestimmt zickigste Frau auf der ganzen Welt. Und ich hatte immer gedacht Männer hatten schlimme Stimmungsschwankungen...

Mit einem leisen Klicken war die Tür geschlossen. Draußen war alles total verwüstet, der Sturm war scheinbar doch nicht so harmlos gewesen. Auf dem Weg lagen überall Äste und auch massenweise Blätter. Meine Gedanken wanderten erneut zu Serena. Wieso war es mir nicht von Anfang an klar gewesen? Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns beiden gab es schon. Unsere dunklen Haare, die Augen und der temperamentvolle Charakter.

In meinem Kopf waren so viele Fragen, die noch komplett offen waren und einfach keine Antwort zu finden schienen. Meine Adoptiveltern hatten mir auch nichts von meiner leiblichen Schwester erzählt. Wieso? Wieso hatten sie sie nie auch nur einmal erwähnt? War es nicht mein gutes Recht zu erfahren, woher genau ich eigentlich kam, und wer meine richtige Familie war? Als die ganze Sache herausgekommen war, wäre ich am liebsten verschwunden. Untergetaucht, und nach Australien oder am besten nach Timbuktu gezogen. Doch dann hatten wir beide ganz normal geredet. Es hatte gutgetan. Gut getan mit einer Person, die dieses Gefühl sehr gut nachempfinden konnte, über seine leiblichen Eltern zu reden. Serena hatte mir sehr viele Sachen von ihnen erzählt. Diese kleine Familie hatte so viele schöne Andenken, und ich? Ich hatte sie nichtmal richtig gekannt. Und ich würde sie auch niemals kennenlernen.

Bei dem Gedanken, dass ich mit meiner leiblichen Schwester geflirtet, und sie geküsst hatte, hätte ich mich am liebsten übergeben. Dann gab es da noch eine weitere Sache, die mir tierische Sorgen bereitete.

Louis Tomlinson.

Die Beziehung der beiden war absolut verboten und illegal, aber es schien sie nicht einmal einen feuchten Dreck darum zu scheren. Konnte man das als wahre Liebe bezeichnen? Ich wusste es nicht. woher auch, ich war noch nie richtig verliebt gewesen. Damit war ich bisher sehr gut durch mein Leben gekommen. Und wenn ich mal wieder Sex brauchte, hatte ich mir einfach einen One-Night-Stand gegönnt. Die Scheiben von meinem Autofenster waren wegen des Unwetter's total verdreckt. Seufzend entschied ich mich dazu, noch schnell zur Waschstraße zu fahren, und dann direkt weiter in die Schule.

Der große schwarze Range Rover war nach der kleinen Waschaktion wieder blitzblank und bereit zum Einsatz. Auf dem Weg zur Schule, fiel mein Blick auf die Uhr. Verdammt, wir hatten schon fast viertel neun, und zur zweiten Stunde musste ich bereits anwesend sein. Vor lauter Hektik übersah ich ausversehen ein paar rote Ampeln. Auch den Fahrradverkehr ignorierte ich so ziemlich, was sich als fataler Fehler herausstellte. Es gab einen kleinen dumpfen Knall, dann ruckelte das Auto und ich drückte mit aller Kraft die ich besaß auf die Bremse. Dann riss ich die Autotür auf, und stürzte auf die braunhaarige Radfahrerin zu. Sie lag am Boden, hatte aber glücklicherweise einen Helm drangehabt. Aus dem Loch in ihrer Hose, quoll eine rote Flüssigkeit.

"Alles in Ordnung? Sind sie verletzt? Es-es tut mir sehr leid, ich hätte besser aufpassen müssen."

Ihre kleinen dunkelbraunen Augen starrten mich unschuldig an. Mir stockte der Atem. Solche Augen hatte ich noch nie gesehen. In einem solchen Schokoladenbraun. Ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

"Es ist nichts passiert, mir geht es gut. Ich hätte auch besser schauen müssen, ob irgendjemand kommt, bevor ich abbiege."

"Du solltest wegen deinem Knie aber nochmal zum Arzt gehen. Das muss vielleicht genäht werden", meinte ich und auch auf meinen Zügen machte sich ein Lächeln breit.

"Sky", grinste sie und hielt mir ihre Hand hin.

Ich ergriff diese.

"Harry. Darf ich dich auf einen Kaffee einladen? So als Wiedergutmachung?"

Was zur Hölle tat ich da gerade? Ich hatte doch Unterricht!

'Ach, was kann ein Kaffee schon schaden? Dann meldest du dich eben krank', sagte meine innere Stimme, irgendwie hatte sie ja Recht. Gegen einen Kaffee war nichts einzuwenden, da ich heute früh nicht einmal gefrühstückt hatte. Außerdem gefiel mir dieses Mädchen irgendwie. Sie hatte so eine unschuldige, aber auch gleichzeitig wunderschöne Art an sich.

"Nein, ich muss leider arbeiten, weil sich meine Schicht geändert hat. Danke für das nette Angebot."

Sky stand mithilfe meiner Hand auf, und nahm dann ebenfalls ihr Fahrrad wieder hoch. Es hatte eine Delle im Schutzblech. Und das alles nur wegen mir.

"Das wirst du reparieren lassen müssen. Schick mir dann die Rechnung, ich werde selbstverständlich sämtliche Kosten übernehmen."

"Das ist wirklich nicht nötig Harry, es ist doch nur eine kleine Delle. Aber Dankeschön."

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, schwang sie sich auf ihr Fahrrad und brauste davon. Jetzt hatte ich nicht einmal ihre Nummer. Als ich auf den Boden blickte, entdeckte ich einen Schlüsselanhänger. Das kleine aus Metall bestehende Ding, hatte auf der Rückseite sämtliche Kontaktdaten von Sky stehen.

War dies Zufall oder eher Schicksal gewesen?

Ich beschloss ihr den kleinen Anhänger später vorbeizufahren, jetzt musste ich erstmal in die Schule fahren, damit ich noch pünktlich zu meinem Unterricht erscheinen konnte.

Mit einem fetten Grinsen stieg ich wieder ein, der Anhänger landete in meiner Hosentasche.

IT IS WHAT IT IS » LOUIS TOMLINSONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt