7. Blumen

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Ethan, obwohl du mich so lange so kalt angesehen hast, vermisse ich deine leuchtenden Augen.
Deine weiche Hand, die meine genommen hat.
Deine Stimme, die Musik in meinen Ohren war.
Deine Haare, die in der Sonne honigfarben schimmerten.

Ich stand in diesem verdammten Regen, mit den Blumen. Ich war da, ich wollte zu dir, doch ich konnte nicht. Ich weiß, ich hatte es dir im letzten Brief versprochen, doch es ging nicht.

Meine Füße wollten einfach nicht auf mich hören, denn sie waren schwer. Als wären sie fest gewachsen und mit Beton in den Boden eingelassen worden.
Ich dachte mir, dass ich vielleicht erst einmal zu Daniel gehen sollte, damit ich dann vielleicht bereit bin, um das was mich erwartet zu überstehen.

Also lief ich. Ich lief erst zu dem kleinen Blumenladen von Daniels Eltern und holte noch einen Strauß Blumen. Vergissmeinnicht und Chrysanthemen. Sie haben eine schöne Bedeutung, und du weißt, dass Daniel sehr auf Bedeutungen geachtet hat.
Ich ging zum Friedhof. Das bronzefarbene Tor quietschte. Der Schotter knirschte unter meinen schwarzen Ballerinas. Meine braunen Haare klebten an meiner Wange fest und mein langes Kleid hing an mir wie ein Kartoffelsack. Diesen Weg bin ich schon einmal gegangen. Es war der Tag der Beerdigung.
Beim Grab angekommen, bemerkte ich, dass der Grabstein schon da war.


Daniel Patrow
* 18.07.1999
† 31.12.2015
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich schuld sein soll. Wieso sollte ich Menschenleben auslöschen? Wieso sollte ich Familien zerstören?

Die Polizei meinte immer wieder es ist Eifersucht und ich würde etwas vertuschen wollen.
Jeder ist sich im klaren, so kaltblütig bin ich nicht.
Ich kann doch nicht das vernichten, was ich am meisten mag.
Ja Ethan. Ich liebe dich. So sehr, dass ich am liebsten mein Herz zum stoppen bringen würde. Es soll nicht immer bei dem Gedanken an dich anfangen schneller zu schlagen.

Aber was ist mit Daniel? Ich hatte ihm verziehen, für das was er getan hat. Ich hatte bei ihm auch keinen Grund ihn töten zu wollen.

Aber die Polizisten wussten sogar von dem Gerücht, das in der Schule um ging...
Als sie alles noch einmal erzählt haben, wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte dem Herrn eine mitgegeben. So richtig schön auf die Nase.
"Sie wissen schon, dass wir alles wissen, Frau Rent. Es wurde an Ihrer Schule geredet. Sie haben sich gedacht: Wenn die beiden der Auslöser für dieses Gerücht waren, dann könnten Sie sie doch dafür bezahlen lassen. SIE DACHTEN ES WÜRDE DOCH GERECHT SEIN, NICHT WAHR FRAU RENT?! Sie haben Herr Sallmann Ihre Kindheitsgeschichte und Geheimnisse erzählt. Herr Patrow kannte auch Probleme von Ihnen. SIE WOLLTEN VERHINDERN, DASS DIE PUBLIK WERDEN! SIE HÄTTEN DIE BEIDEN KALTBLÜTIG ERMORDET!"
Meine Anwältin ging da zum Glück dazwischen. Ich hätte eigentlich wegen dem dringenden Tatverdacht des Mordes festsitzen müssen. Aber sie hatten nur die Indizien, die für eine Inhaftierung nicht ausreichen.
Und selbst die Indizien waren nicht genug. Sie hatten nur meine Verhältnisse zu euch und die Gerüchte.

Die waren haltlos, unverschämt und überhaupt nicht wahr.

Kennst du sie, Ethan? Kennst du die Erzählungen?

Wir drei hatten angeblich einen Dreier im Geräteraum der Turnhalle. Kurz nach Schulschluss. Ich hätte dich und Daniel dazu verführt.
Die besten Geschichten darüber, sind die, die vollends ins Detail gehen.
Das ich nicht lache!

Ich bin verdammt noch mal Jungfrau! Aber der Ruf der Schulschlampe ist hinter mir her.
Die ganzen Gerüchte haben alles kaputt gemacht, alles zerstört was mir wichtig war.

Ich hatte knapp einen lang Monat einen Freund, wusstest du das? Er hieß Damien. Ich war glücklich, (und noch nicht verliebt in dich).
Doch ein paar Jungs haben behauptet, ich wäre mit meinem besten Freund Antony zusammen. Sie erzählten Damien, dass ich mit Antony geschlafen hätte. Er könnte mir niemals vertrauen, denn ich bin eine Hure.

Damien hat mir anfangs geglaubt und immer wieder gesagt, dass er auf die Jungs nicht eingeht.
Doch die haben nicht locker gelassen.
Sie haben "Beweise" gesammelt und sie Damien gegeben.
Er hat dann Schluss gemacht.

Aber ich schweife ab.

Ich saß hier also völlig durchnässt vor dem Grab und legte die beiden Sträuße neben die erloschen Kerzen.
Es war alles so lieblich und herzlich dekoriert. Seine Mom ist anscheinend oft hier.
Ich fing an zu weinen, stärker als an dem Tag an dem wir festgesteckt sind, Ethan. Ich komme nicht klar, dass er tot ist.
Ein Menschenleben ist einfach kaputt. Weg. Ausgelöscht.

Daniel war doch eigentlich ein cooler Typ. Er war hübsch und so, trotz das er ein riesiges Arschloch war. Er hat uns beide zerstört.

Doch im Endeffekt konnte er nichts dagegen machen. Er wusste nicht anders mit dieser Situation umzugehen.
Du fragst dich wahrscheinlich wieso. Aber kennst du seinen Vater?
Er ist anders als seine Mutter. Er hat mich einfach beleidigt, als ich Daniel besucht habe. Er hat ihn als nutzlos dargestellt, meinte man könne ihn zu nichts gebrauchen.
Er könne nicht einmal ein gescheites Mädchen mit nach Hause bringen. Und er würde nie eine Frau haben, wenn er nur solchen Abschaum anschleppt. Ich war fassungslos und habe diesem Mann meine Meinung gegeigt.
Und du weißt wie ich bei sowas bin.
Direkt. Ehrlich. Aber nicht respektlos.

Ich wurde raus geschmissen.

Daniel hat mich verteidigt. Sein Vater hat ihn daraufhin geschlagen, in die Wohnung gezerrt und die Tür zugemacht.
Die nächsten Tage habe ich Daniel nicht gesehen.
Als er dann in die Schule kam, hatte er blaue Flecken, ein Veilchen und einen Verband um den Unterarm.

Da hab ich mich dann schlecht gefühlt. Sehr miserabel. Ich habe mir die Schuld für seinen Zustand gegeben.

Ich habe ihn umarmt und war für ihn da.
Du fragst dich bestimmt, was das soll oder?

Er war ein Arschloch, weil sein Erzeuger nicht anders war.
Er hat es nicht anders gelernt.
Daniel kannte es nicht anders.
Er konnte nicht anders.

Er hat einfach jemanden gebraucht, der für ihn da ist, Ethan. Wir waren es.
Mich hat er wieder fallen lassen, wie es bei euch geendet hat weiß ich nicht.
Wir waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und haben ihn kennengelernt.

Aber das ist jetzt egal. Er ist tot.
Daniel ist nicht mehr da. Und ich hoffe, dass es ihm nie wieder schlecht gehen wird.

Ich hoffe, dir geht es auch gut, da wo du bist!

Deine Liliana

Memory'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt