8. wer war es Ethan?

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Ethan.
Endlich hatte ich mich den Mut, bei dir vorbeizukommen.
Die Lilien und Orchideen stellte ich in eine, von mir mitgebrachte, Vase.
Ich musste die Frau an der Verwaltung belügen, ich wäre deine Schwester. Aber das wäre eine ziemlich komische Vorstellung, oder?

Ich wusste nicht, ob das ständige Piepsen mich beruhigen oder nervöser machen sollte.
Die Geräte wirkten abschreckend.
Dein Gesicht war hinter einem Verband und einem Schlauch, der in deine Nase führte, verborgen.
"Ethan. Oh gott. Wer hat dir das angetan?", flüsterte ich traurig.
Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Ich setzte mich langsam auf die Kante deines Bettes. Dein Körper war eingewickelt in Verbände und die Stellen, wo keine Binden drüber waren, sahen so schrecklich aus. Komplett aufgeschürft und blau.
Mein Schluchzen erfüllte den Raum.
Ich weinte bitterlich.
Ich saß eine viertel Stunde an deinem Fußende und starrte dich mehr oder weniger an. Wenn mich jemand gesehen hätte, würde er mich für verrückt erklären... Ich sah aus wie ein Zombie.
"Weißt du Ethan, sie sagen, dass ich für euren Unfall verantwortlich bin. Als ob. Ich könnte dir doch nichts antun. Ich könnte dich doch nicht ins Krankenhaus und Daniel ins Grab verfrachten!", meine Stimme krächzte und klang fürchterlich, "Und du könntest jetzt auch unter der Erde liegen. Aber du bist noch nicht tot. Ethan, wach auf. Du hast es verdient zu Leben! Deine Augen sind viel zu schön um für immer geschlossen zu sein. Lass dein Lachen nicht verklingen Ethan. Bitte!"
Ich bemerkte wie sich die Tür öffnete und deine Mom rein kam.
Sie meinte, sie wäre überrascht mich hier zu treffen.
Ich begrüßte deine Mama natürlich freundlich. Sie hat starke Ermüdungserscheinungen.
Tiefe Augenringe und ein eingefallenes Gesicht.

Sie sah traurig aus.

Und du kannst sie wieder glücklich machen, Ethan.

Öffne einfach deine Augen.

Es sind Menschen hier, die dich brauchen.
Wenn du irgendwas mitbekommen solltest, während du da liegst, dann weißt du ja, wer für dich da ist.

Deine Mom kam jeden Tag vorbei.
Ich bin auch täglich hier gewesen.
Dein Vater brachte jedes mal wenn er kam ein Geschenk von einem deiner Freunde mit.

Doch der härteste Schlag in meiner Magengrube war, als ein komisches Mädchen sich hier reingeschlichen hat.

Sie behauptete, dass sie deine feste Freundin wäre.

Und als dann deine Mom kam, wurde die rothaarige Gestalt raus geschmissen.
Deine Mutter war fassungslos. Total aufgewühlt. Sie flüsterte ständig Sachen. Dann ging sie und ich habe deine Mom an diesem Tag nicht mehr gesehen.

Wer ist dieses Mädchen Ethan?

Ist sie wirklich deine feste Freundin?

Wenn ja, dann habe ich hier nichts mehr zu suchen. Dann sind alle meine Bemühungen umsonst Ethan.

Und als ich ein paar Tage später wieder kam und wie so oft an deinem Bett saß und dir etwas vor laß, hörte ich ein schneller werdendendes Piepen. Ich drückte sofort den Notrufknopf.

Ärzte und Schwestern kamen hinein.

Ich musste raus.

Die Vorhänge an dem Fenster zum Gang wurden zugezogen.

Immer wieder hörte ich neben dem ewig langen piep einen Schlag.
Sie haben den Defibrillator eingesetzt.
Mein Ohr lag die ganze Zeit an dem kleinen Fenster zu deinem Zimmer.

Die Tränen liefen still und unerschütterlich. Ich dachte mir, wenn du in diesem Moment stirbst, dann werde ich keine Kraft mehr zum Aufstehen finden...

Als die Tür sich öffnete und eine Schwester raus kam, ahnte ich fürchterliches.

Sie sah mich an. Ihre Augen wirkten traurig.
"Sie können wieder zu ihm. Er ist soweit stabil, liegt aber noch im Koma. Alles weitere erklären ihnen die Ärzte"

Mir fiel ein Gebirge vom Herz Ethan.

Ich ging also wieder in dein Zimmer.
Das Piepsen war wieder gleichmäßig.

"Hallo Frau Sallmann", meinte ein junger Mann im Kittel, "Ihrem Bruder geht es soweit wieder gut. Nach jetzigem Erkenntnisstand, wird er wahrscheinlich einen starken Gedächtnisverlust haben. Außerdem sind wir nicht sicher, ob er diese Nacht überleben wird. Sie können sich noch verabschieden, dann würden wir sie bitten zu gehen. Er braucht Ruhe."
Seine Stimme klang sehr sanft und verständnisvoll.

Ethan, du weißt wie ich bin, ich konnte nicht anders, als versuchen ihn zu überreden, dass ich bei dir bleiben kann.

Ich sagte dem Herrn in weiß, dass erwiesen sei, das Komapatienten schneller aufwachen, wenn jemand da ist und mit ihnen spricht.

Ethan, die Diskussion dauerte keine Minute.

Der Arzt war der letzte im Raum, ich sah auf seinem Schild, dass er Herr Dr. Boldwin hieß.

Er sah mich also an und meinte dann: "Ganz im Vertrauen. Ich habe bemerkt, dass Sie nicht seine Schwester sind. Ich werde Sie deswegen keinesfalls anschwärzen. Ich bin schließlich kein Unmensch. Sie lieben ihn, das merkt man daran, wie sie sich einsetzen. Aber sind wir mal ehrlich. Sie können eigentlich nichts tun.", er wirkte sehr nachdenklich. Kurze Zeit später nickte er und fuhr fort: "Aber da Sie selbst von der Sache so überzeugt sind, werde ich ihnen erlauben, über die Besuchszeiten hinweg, noch da zu bleiben. Sie verraten es keinem anderen. Ich gebe der Nachtschwester später noch Bescheid, dass sie bis früh bleiben dürfen. Ich mache diese Ausnahme nur ein Mal. Also benehmen Sie sich und sind für den Jungen da. Und jetzt wünsche ich Ihnen noch einen angenehmen Abend und eine gute Nacht"
Ich war zwar verwirrt, aber überglücklich. Ich musste kurz über die Worte nachdenken. Als ich kapierte, umarmte ich Herrn Boldwin einfach und bedankte mich tausend mal. Er meinte, es sei nicht nötig.

Also war ich die ganze Nacht bei dir.
Anfangs saß ich auf diesem unbequemen Stuhl. Später kam ich zu dir ins Bett.

Ich träumte von dir Ethan.

Du würdest aufwachen und durch meine Haare fahren.

Und es fühlte sich so echt an. So realistisch.

Ich sehne mich danach Ethan.

Vergiss mich nicht.
Deine Lilia

Memory'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt