Chapter 20

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Snowdrift, Kanada Fr 26.10

Ich atme tief durch und fokussiere Austen mit meinem Blick. Er steht an seinem Schließfach und unterhält sich mit ein paar Kumpels. Er lacht laut auf und ein paar Mädchen drehen sich kichernd um. Ein lang gezogenes "Hey Austen." Wird zu mir getragen.

Ich atme die angestaute Luft aus und beginne damit, mir einen Weg durch die Schülerschar auf dem Weg aus ihren Klassen zu machen. Während ich Austen immer näher komme, kommt mir das Gespräch mit meiner Mutter von Gestern in den Sinn.

"Wer ist das?" Hat sie gefragt und auf mein klingelndes Handy gezeigt. Es ist Austen gewesen. "Hey, wie sieht es aus? Lust auf ein Date diesen Samstag?" Hat da gestanden und nachdem meine Mutter es gesehen hat gab es kein zurück.
"Da gehts du hin." Hat sie gesagt. "Es wird Zeit, dass du wieder etwas unter Menschen kommst."

Also muss ich jetzt zu Austen und zusagen. Ich quetsche mich an einem Cheerleader und zwei Footballspielern vorbei und stehe vor Austen und seinen Freunden.

"Äh...hi." sage ich. "Austen, kann ich kurz mit dir reden?"
"Klar." Austen lächelt mich an und unter dem Johlen seiner Freunde zieht er mich nach draußen. Die Sonne scheint schon wieder und lässt die letzten Schneereste verschwinden. Ich atme tief die warme Herbstluft ein.

"Und wie gehts so?" Fragt Austen und lässt sich neben mich auf die vorgewärmten Steinstufen der Treppe fallen.
"Super, danke. Ich...äh..wollte, also wegen deiner Frage..." ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Ihm einfach so ein "Ja." vor den Latz knallen?

"Ob du mit mir ausgehen willst?" Hilft mir Austen auf die Sprünge.
"Ja, genau." Sage ich erleichtert. "Also, ich hätte diesen Samstag Zeit."
Austen strahlt. "Cool, dann hol ich dich um halb Acht ab." Erklärt er. "Soll ich dich heim fahren?"

Als ich das Haus betrete bin ich merwürdig nervös. Heute ist es das erste mal, dass Wilk mich mitnimmt und ich werde als Kals Freundin vorgestellt. Ich bin mir sicher, alle werden mich hassen. Menschen werden bei den Werwölfen ja schon fast als minderwertig empfunden und auch wenn Kals Familie nett ist, habe ich Angst.

Ich mache meine Hausaufgaben so schnell wie möglich und warte ungeduldig. Meine Hämde zittern, als ich mir etwas zu essen mache und ich brauche mehrere Anläufe um die Käsepackung zu öffnen.
Was wenn seine Familie, die mich anfangs mochte jetzt den totalen Außenseiter aus mir macht? Was wenn sie mich so sehr hassen, dass sie mich angreifen? Ich weiß nicht wie die Sitten bei den Lopus sind aber ich möchte die Grenzen garnicht erst austesten. Ich umklammere den Griff der Pfanne.

Ich muss den Plan abbrechen SOFORT!
Aber es ist zu spät. Kal und Wilk stehen vor der Tür und holen mich ab.

Es ist komisch zwischen den beiden zu laufen. Sie sind beide um einige Zentimeter größer als ich und zwischen ihnen ist immer noch diese besondere Spannung, als wäre etwas schlimmes passiert. Obwohl ich sonst sehr schlecht bin, soetwas zu deuten stellen sich bei mir die Nackenhaare auf. Irgendwas scheint nicht zu stimmen.

Da ich weiß, dass es ohne Sinn ist Wilk danach zu fragen, beschließe ich Kal darauf anzusprechen, sobald wir alleine sind.
Diesmal fahren wir mit dem Auto. Es ist das gleiche, mir dem mich Wilk zum Cafe gebracht hat und es glänzt auffallend, neben all den Vereisten, oder Schalmmbespritzten Wägen unserer Nachbarn. Ich frage mich, wie Wilk es geschafft hat, den Wagen trotz des nassen Wetters so sauber zu halten, denn ich kann kein einziges Staubkorn entdecken.

Wir fahren länger als erwartet. Etwa eine Stunde lang geht es über regennasse Straßen, und durch dunkle Waldabschnitte. Durch die nassen Scheiben kann ich fast nichts erkennen, ein gemisch aus grün, grau und braun zieht vorbei. Kal und Wilk unterhalten sich vorne leise, so, dass ich nichts mitbekomme und als wir zum gefühlt 1000. Mal an einem Rapsfeld vorbeikommen, schlafe ich ein.

Meine Träume sind etwas wirr. Ich stehe in einer Kirche, die vollkommen leer ist. Ich trage das Kleid. Es ist lang und weich und schwingt seidig um meine Beine. Vor mir, auf dem Altar, liegt ein rotes Kissen, mit zwei goldenen Ringen darauf. Ich sehe mich um, als plötzlich eine Orgel amfängt zu spielen und die Tür am anderen Ende des Ganges aufschwingt. Blonde Haare und ein unverkennbares Lächeln kommen auf mich zu. Mein Atem stockt, er sieht genauso aus, wie eh und jeh, sein grauer Anzug sitzt locker und lässig auf seinen Schultern und er formt mit seinen Lippen meinen Namen.
Mein Herz klopft schneller, als er den Gang entlang schreitet. Die Vorfreude ihn zu berühren, mit ihm zu reden ist zu groß. Mit glühendem Gesicht sehe ich ihn an. Gleich werde ich endlich wieder mit ihm zusammen sein.
Kurz bevor er bei mir ist beginnt sich irgendetwas zu ändern. Sein wunderschönes Gesicht verwandelt sich in ein anderes. Schwarzgraue Haare, hohe Wangenknochen ein kantiger Kiefer. Wilk lächelt mich an.
Verwirrt sehe ich zu, wie er auf mich zugeht. Wo ist er? Ich konnte ihn gerade eben doch noch fast anfassen.

Wilk greift nach meiner Hand und in dem Moment, in dem wir uns berühren, bin ich plötzlich nicht mehr ich, sondern beobachte Wilk und mich selbst aus einer anderen Perspektive. Von meinem neuen Platz aus, kann ich erkennen, wie Wilk meinen Schleier hebt. Aber statt schwarzer Locken und brauner Augen kommt ein blondes Mädchem mit hellen Augen und vollen Lippen zum Vorschein. Die beiden stecken aich gegenseitig die Ringe an. Und in dem Moment, in dem sich Amina vorbeugt um Wilk zu küssen wache ich auf.

Im Auto herrscht Schweigen. Während Wilk stur auf die Straße schaut, betrachtet Kal interessiert die vorbeiziehende Landschaft. Ich frage mich, ob die Beiden aus Rücksicht zu mir nicht reden, oder ob etwas vorgefallen ist.

Ich lehne mich an meine Kopfstütze und beschließe erstmal nicht auf mich aufmerksam zu machen. Ich habe keine Lust auf eine Unterhaltung, schon garnicht nach dem Traum, in dem ich fast Wilk geheiratet hätte.

Wilk biegt ab und das Auto fährt in einen Waldabschnitt. Je tiefer wir fahren, desto mehr Warnschilder tauchen auf. Auf den meisten ist das Gebiet als Privatgrundstück angegeben, dessen Betreten strengstens verboten ist. Nach einiger Zeit kommen Zäune. Sie sind mit Stacheldraht besetzt und ragen mehrere Meter hoch. Wir fahren durch mehrere elektrische Tore, die sich schließen, sobald wir passiert haben.

Alles macht auf mich einen wahnsinnig geheimnisvollen und gefährlichen Eindruck. Nachdem wir weitere Zehn Minuten gefahren sind, kommen wir an einem riesigen Eisentor an, das in einer Art Erdwall steckt. Davor steht ein blauer Metallkasten. Wilk und Kal legen ihre Daumen auf einen Scanner, eine Lampe leuchtet piepsend auf, kurz darauf schwingt das Tor auf.

Ich setze mich auf und versuche etwas durch die nasse Fensterscheibe zu erkennen. Das Auto rollt in eine Art Betonring, wo viele andere Wägen stehen. Wilk parkt und dreht sich dann um. "Okay. Denkt an alles, was wir besprochen haben." Mehr braucht er nicht zu sagen. Die Wahrheit, dass ein kleiner Fehler alles zerstören kann, schwebt seit unserer Abfahrt wie eine dunkle Wolke über uns.

Wilk und Kal steigen aus und ich schnalle mich nach einem lauten Aufatmen ebenfalls ab. Ich öffne die Tür. Meine Stiefel berühren den nassen Asphalt. Es gibt kein zurück mehr.

SchneewittchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt