Dunkle Schatten legten sich leise über den Garten. Kein menschliches Auge vermochte es, sie zu durchdringen. Bloß eine scheue Katze stürmte durch die Dunkelheit. Zuerst erkannte man nur eine rasche Bewegung, doch dann konnte der geübte Beobachter erkennen, wie das kleine Tier durch das Blumenbeet raste.
Nachdem es einmal durch den ganzen Garten gerannt war, stoppte der Vierbeiner abrupt. Als hätte die Katze einen Geist gesehen, drehte sie plötzlich ihren Kopf in jegliche Richtungen. Neugierig schnüffelte sie an der Blume unter ihr, die ruhig im Wind der Nacht hin und her wog. Ein leiser Tanz zum lauten Lied der Nacht. Als sie sich langsam neben der Rose niedergelassen hatte, begann die schwarze Katze, ihr Fell zu pflegen. Die nächtliche Melodie füllte die Wiener Stadt vollends und schien nicht zu enden. Immer neue Menschen strömten durch die Gassen und kamen so auch am Garten der Rose vorbei. Einmal torkelten Betrunkene aus den gängigen Wirtshäusern, dann wieder bestaunten Nachtschwärmer den dunkelblauen, sternlosen Himmel.
Viele Menschen strömten durch die Stadt und jeder war ein eigener Ton in einer niemals endenden Sinfonie. Man konnte die Nacht bedenkenlos als äußerst belebt bezeichnen, wobei auch dies noch als eine glatte Untertreibung gelten konnte. Gegen vier Uhr hin war das nächtliche Lied immer noch nicht verklungen, und auch als die Schatten wieder zu schwinden drohten und die Bevölkerung Wiens sich langsam wieder auf den Weg zur alltäglichen Arbeit machte, waren die letzten Nachtvögel stets noch einigermaßen auf den Beinen, manche eher mit dem Gesicht auf dem Tresen.
Erwartungsvoll neigte die Katze ihren Kopf zur Blume hin. Als hätte das Tier irgendein Anzeichen dafür gespürt, was nun kommen würde. Sie wollte gerade mit der rabenschwarzen Tatze ausholen, als sich die Königin der Blumen plötzlich regte. Anfangs war die Bewegung leicht zu übersehen, doch legte die Katze geschmeidig ihren Kopf schief. Die Knospe der Blume war noch fest verschlossen und verbarg ihre Schönheit stets behutsam vor dem Tageslicht. Als würde sie nur auf den richtigen Moment zu warten scheinen, lebte die Rose ihr einsames Leben, komplett abgeschirmt vom laufenden Alltag.
Einsamkeit war nur ein kleiner Begriff für das, was die Blume täglich auf sich nehmen musste. Doch diese hatte sie sich selbst zuzuschreiben, so meinten die anderen Blumen tuschelnd. Die Königin war sich stets zu schade gewesen, um ihre Schönheit vor den Menschen zu offenbaren. Doch nun traute sie sich endlich, den nächsten weitreichenden Schritt ihres kläglichen Lebens zu tun. Langsam öffnete die Rose ihre Knospe, sonnte sich im Glanz, der von ihr selbst ausging. Sie genoss das Gefühl, von allen Seiten von den anderen Blumen bestaunt zu werden. Stolz reckte die Königin sich im Schein der aufgehenden Sonne.
Goldene Strahlen ließen die Rose noch bunter leuchten, als sie es sowieso schon tat. Die rote Blume strahlte, so wie die Menschen gelegentlich lächelten. Der nächtliche Himmel, der zuvor noch nahezu tiefschwarz gewesen war, wurde nun von einem intensiven Band aus allerlei Farben durchzogen. Das sonnige Gelb zeigte sich in all seinen Facetten und ging allmählich über in ein dunkles Blau, so wie die klaren Flüsse an manchen Tagen wirkten.
Die Rose stolzierte weiterhin im Kranz der Strahlen, doch rührte sie sich nicht von der Stelle. Fast bedächtig verharrte sie in der Mitte des Gartens. Die schwarze Katze, die das Spektakel stumm beobachtet hatte, wagte sich nun näher zur roten, schönen Blume. Sie schien so gar nicht in die graue Stadt zu passen, dennoch erleuchtete die Königin unbehelligt die triste Dunkelheit. Sie war ein kleiner Hoffnungsschimmer zwischen den eintönigen Palais. Plötzlich spitzte die Katze die Ohren und nach kurzer Zeit vermochte es selbst der größte Laie, die Schritte zu vernehmen. Immer näher kam das verstörende Geräusch, sodass die Rose sich fast wieder in ihr eigenes Gefängnis zurückgezogen hätte.
Die Frau bückte sich, damit sie die Blume besser in Augenschein nehmen konnte. Kurz roch sie an dem Prachtstück, bis sie es als duftend befand. Ohne noch einmal kurz nachzudenken, riss die junge Frau die Rose aus deren Umfeld. Die Königin hatte geahnt, dass es so kommen würde. Deshalb hatte sie auch solche Angst gehabt, bevor sie ihre Schönheit zeigte. Ein einzelnes Blatt segelte langsam zu Boden und die Schritte entfernten sich wieder. Die Menschheit war nicht bereit, die Schönheit zu bewahren, zumal sie nicht die graue Einöde erleuchten durfte, sah man es mit den Augen dieser egoistischen Spezies.
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Die Liebe der Rose
Historical Fiction~Magdalenas Hand hielt immer noch die zarte Rose. "Weißt du, dass das nicht die schönste Rose ist, die ich je gesehen habe?", fragte Florian plötzlich. Magdalena antwortete mit einer Gegenfrage: "Wann hast du denn die schönste Rose gesehen?" Nervös...