Kapitel 2 – Pflicht?
Dorothy saß verlässlich, wie ich sie einschätzte, an ihrem Arbeitsplatz. Als hätte sie auf mich gewartet, blickte sie von ihren Karteikarten auf und musterte mich von oben bis unten. Ich musste schäbig aussehen. Noch schäbiger als sonst, doch das schummrige Licht des Bürozimmers ließ die Blutflecken auf meinem Mantel ungesehen. Dorothy arbeitete unter einer kleinen Schreibtischleuchte und es wunderte mich nicht, dass sie ihn ihrem Alter bereits eine Brille trug.
Ich verlangte ein Telefonbuch.
Dorothy blickte mich nur kurz komisch an, bückte sich unter die Tischplatte, öffnete eine Schublade und zog ein Exemplar des städtischen Telefonbuchs heraus.
Erst als sie es zu mir herüberschob ergriff sie das Wort: „Haben sie kein eigenes in ihrem Büro, Herr Privatdetektiv?"
Ich musste ernsthaft überlegen und entschied mich für die Antwort: „Nein."
Dorothy lachte: „Nicht sehr gesprächig heute, was? Die Lady von neulich scheint ihnen auf den Magen geschlagen zu sein."
„Eher auf den Kopf", erwiderte ich und blätterte fahrig in dem dicken Buch mit dem schlechten Papier.
„Wollen sie es mir erzählen, damit sie sich besser fühlen?", fragte Dorothy und wollte offensichtlich ausschließlich ihre Neugier befriedigen.
Wieder konnte ich nur mit „Nein", antworten, ehe ich das Gesuchte im Telefonnummernverzeichnis fand und meinen Notizblock heraus kramte, um es mir abzuschreiben.
„Was würden sie sagen, wenn ich ihnen als Nichtmitglied der Bücherei eine Servicegebühr berechnen würde?", fragte Dorothy, die verhindern wollte, dass ich allzu schnell wieder verschwand.
„Ich würde ihnen eine Adresse nennen, an die sie die Rechnung in meinem Namen schicken dürften", antwortete ich und wand mich zum Gehen.
„Dann seien sie froh, dass das Telefonbuch kein auszuleihendes Buch dieser Bibliothek ist!", rief Dorothy mir nach.
„Wieso? Sie würden auf ihren Kosten sitzen bleiben", rief ich zurück, als ich schon wieder durch die Gänge der Bücherei in Richtung Ausgangstür schlenderte.
*
Während Sam die Straße entlang ging, hielt er Ausschau nach einem Taxi, das er heranwinken konnte, doch er hatte kein Glück. Er wusste ungefähr in welche Richtung er gehen musste, aber um die Adresse zu Fuß zu erreichen, würde er Stunden benötigen.
Nun, bis ein Taxi anhalten würde, blieb ihm nichts anderen übrig, als zu laufen. Es tat ihm gut und die frische Luft bewirkte eine Nüchternheit, die sein Gehirn auf Hochtouren arbeiten ließ.
Sein Fußmarsch führte ihn durch die Innenstadt und am „Papageien" vorbei. Er fühlte sich kaum versucht einen Abstecher hinein zu unternehmen. Eine unausgesprochene Vereinbarung mit Johanna verbot es. Die kleine Bar wirkte wie eine Knallbonbon in Mitten einer Welt aus grauem Teer.
„Sam!", als hätte er auf ihn gewartet, stürzte plötzlich Pete aus seinem Laden, „Was hat das zu bedeuten?"
„Was denn?", fragte Sam und war nicht geneigt, sich ernsthaft mit Petes Problemen auseinanderzusetzen.
„Heute Morgen schließe ich meinen Laden auf, bereite alles für das Frühstücksgeschäft vor, da stürmen mir zwei Bullen die Bude und verschrecken die Gäste. Einer von ihnen faselte was von dir. Also, was soll das?"
„Was haben sie denn gesucht?", fragte Sam, der tatsächlich nicht richtig zugehört hatte.
„Na dich, du Flitzpiepe!"
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Le Livre Noir
Mystery / ThrillerSam Mason - Privatdetektiv - ermittelt im Auftrag der undurchsichtigen Judith Leery den Fall eines mutmaßlichen Heiratsschwindlers und stolpert dabei über Leichen. Ein Noir-Krimi, eine Genre-Parodie, eine Hommage an sehr alte, sehr gute Filme.