2. Akt: Der Tote hinter der Taverne

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Kapitel 1 – In Vino Fatum Est

Ich traf mich mit Judith in der Bücherei. Sie hatte mich angerufen und als ich ihr mitteilte, dass ich den Fall gelöst hätte, wollte sie sich persönlich mit mir treffen.

Ich wollte nicht, dass sie in mein Büro kommt. Johanna hatte einen ziemlichen Aufstand gemacht. Sie wollte nicht, dass sich Frauen, die sie als hübscher als sie selbst einschätzte, in meine Nähe kamen. Sie hatte Judith zwar nie gesehen, doch ich wollte es nicht darauf ankommen lassen. Johanna hatte diesen Instinkt immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen. Ich musste mich etwas zurückhalten, denn mit meinen Äußerungen über Judith im Papagei hatte ich mich offenbar zu weit aus dem Fenster gelehnt.

Judith kam. Sie trug einen weißen Mantel und hatte einen mit Rüschen verzierten Regenschirm bei sich. Ich wusste gar nicht, dass sowas wieder in Mode ist, aber wenn Judith es bei sich trug würde es bald ganz große Mode werden, überlegte ich und dann beschloss ich Johanna einen solchen Schirm zum Geburtstag zu schenken.

Ich sah Judith als erstes und trat auf sie zu. Ich hatte das Bedürfnis Gentleman zu spielen.

*

Sam stolperte auf die adrett gekleidete Dame zu, die wirkte, als hätte sie in ihrem Leben durchweg besseres zu tun gehabt, als in Bibliotheken zu verstauben. Es war offensichtlich, dass Judith sich vor den dreckigen, abgegriffenen Büchern ekelte. Sie gehörte nicht hier her, das sagte ihr Auftritt, ihre Kleidung, ihr Make-up und ihr Blick. Und die war stolz darauf.

„Guten Tag, Sam", sagte sie und die beiden schüttelten geschäftsmäßig die Hände.

„Guten Tag", Sam deutete einen nachlässigen Diener an.

„Sie haben den Fall gelöst?", fragte Judith, die schnell zur Sache und aus diesem Gebäude kommen wollte.

„Ich denke schon", antwortete Sam lässig, „Aber setzen wir uns doch zuerst."

Judith folgte Sam widerwillig zu einem Tisch in einer Ecke des Lesesaals. Der Raum war leer und niemand konnte die beiden belauschen.

„Nun?", drängte Judith, „Ich muss zugeben, dass ich so schnell kein Ergebnis erwartet habe."

„Sie sagten selbst, dass es ein leichter Fall sei", erwiderte Sam.

Judith lachte matt, was deutlich machte, dass sie nun endlich das Ergebnis der Ermittlungen hören wollte.

„Na schön", begann Sam, „Weston Firth hat sich abgesetzt. Ich vermute, er befindet sich derzeit in Kalifornien."

Judith rümpfte die Nase und schwieg einen Augenblick. Sie dachte nach und entschied sich schließlich für folgenden Satz: „Ich glaube, sie haben zu schnell aufgegeben, Sam. Ich bin überzeugt, dass er noch hier ist."

„Wieso?", entfuhr es Sam. Eigentlich war es eine unverschämte Frage, aber er war ein unverschämter Kerl und so fiel ihm gar nicht auf, dass die Dame ihm gegenüber ein überhebliches Lächeln aufsetzte, dass sein ganzes, angehäuftes Selbstvertrauen in die Tasche stecken konnte.

„Menschen wie Weston hängen an Chicago", meinte Judith knapp, „Ich weiß, dass er noch hier ist. Er ist untergetaucht. In keiner Stadt in diesem Land kann man besser untertauchen, als in Chicago. Er ist noch hier. Hier kennt er sich aus. Hier kennt er Leute, die ihm helfen."

„New York", sagte Sam.

„Bitte?"

„In New York kann man besser untertauchen als in Chicago."

Judith lachte: „New York ist eine Nummer zu groß für Weston."

„Wie sie meinen", sagte Sam, „Sie glauben also, dass er noch in der Stadt ist. Hat er eventuell noch ein Eisen um Feuer? Oder einen Angelegenheit zu erledigen?"

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