5. Akt: Das schwarze Buch

15 4 0
                                    

Kapitel 1 – Die simple Kunst des Mordens

Sam ließ sich auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch sinken. Die Nacht war über Chicago herein gebrochen, doch Sam dachte gar nicht daran sich schlafen zu legen. Der Tag hatte ihm zu vielen Erkenntnissen verholfen.

Jane Bixby hatte kein Motiv, um ihrem Mann ermorden zu lassen. Ihre Wohnung stand kurz vor der Zwangsversteigerung, wie Sam sich durch einen kurzen Anruf bei Bixbys ehemaligem Arbeitgeber bestätigen lassen konnte. Sam gab sich am Telefon als Journalist aus und bekam folgende Antwort: „Wir haben durchaus Verständnis für die Situation von Mr. Bixbys Witwe. Mehrfach haben wir ihr einen Aufschub der Zinszahlungen angeboten, doch sie lehnte jedes Mal ab. Bevor sie unser Institut in Verruf bringen, bitte ich sie dies zu bedenken." Die Bank witterte einen Medienskandal, wenn in den Zeitungen die Meldung auftauchen würde, sie hätten die Witwe eines ehemaligen Mitarbeiters auf die Straße gesetzt.

Für Sam jedoch bedeutete es, dass Jane die Wahrheit gesagt hatte und sie aus der Liste der Verdächtigen zu streichen war.

Wer blieb dann aber noch übrig?

Sam wusste es, er hatte es die ganze Zeit gewusst. Doch immer, wenn er sich den Fakten stellen wollte, schmeckte er Kirschlippenstift auf den Lippen und dieser Geschmack sorgt bekanntlich für absolute Immunität.

Die Dunkelheit verdichtete sich und es begann zu regnen. Die Straßenbeleuchtung schaltete sich ab und nur noch gelegentlich rauschte ein Auto durch die Pfützen auf der Straße vor Sams Fenster. Nur gelegentlich flackerte ihr Licht durch die Jalousien hinein in den kleinen, wenig repräsentativen Büroraum. Die einsame Glühbirne, die umringt von Scherben von der Decke baumelte, gab ein mattes Licht von sich, das gespenstige Schatten hervorbrachte. Bedrückender als absolute Dunkelheit ist es nur, wenn man sieht, was einen bedroht.

Es klopfte an der Tür. Es überraschte Sam kaum, denn er hatte in den letzten Tagen gelernt, dass Überraschung zu zeigen einem strategischem Nachteil gleichkam.

Er taumelte zur Tür, machte sich nicht mal die Mühe, Flasche und Glas vom Schreibtisch zu nehmen und zu verstecken und gebot dem schattenhaften Besucher mit einer großspurigen Geste einzutreten.

„Das waren sie heute Nachmittag, nicht wahr?", zischte die Person, noch bevor sie aus dem Schatten eintreten konnte. Obwohl sie ihn gesiezt hatte, wusste Sam sofort, wen er vor sich hatte: „Die Nacht ist die richtige Tageszeit für eine Frau wie dich. Das wusste ich schon, als ich dich zum ersten Mal sah. Ich habe auf dich gewartet. Das ist mein erstes Glas und ich wollte es mit dir trinken. Setz dich." Sam lallte und geleitete die Dame zu seinem Schreibtisch.

„Ich habe dich von dem Fall abgezogen, es bestand also kein Grund Jane aufzusuchen und zu belästigen."

„Ich habe sie keines Falls belästigt. Ich legte ihr lediglich nahe, auf ihre eigene Sicherheit zu achten, wo doch so viele Menschen in ihrer Umgebung tragischen Unfällen zum Opfer fallen", bemerkte Sam und grub in der Brusttasche seines Hemdes nach einer Zigarette. Er bot Judith eine an und steckte sich selbst eine in den Mund.

„Hör damit auf, Sam! Es könnte für dich ebenfalls gefährlich werden", sagte Judith und beugte sich über den Schreibtisch zu Sam hinüber. Ihre blassen Augen funkelten – etwas, was Sam noch nie bei Judith bemerkt hatte, schließlich hatte sie sich bisher immer unter absoluter Kontrolle gehabt.

Im schwachen Licht seiner Glühbirne, umgeben von all den Schatten der Nacht wirkte Judith wie der bedrohlichste von ihnen. Ihr schwarzes Kleid wurde eins mit dem Schmutz in den Ecken des Büros, mit dem Dunst der Straßen, mit dem sauren Regen des Herbstes in der Großstadt, mit dem Heulen der Polizeisirenen, die Phantomen hinterherjagten, mit den Schatten allen Lebens. Das gepuderte Gesicht, der Hintergrund für einen kräftigen Lippenstift blieb ausdruckslos. Lediglich die Augen verrieten Judiths Entschlossenheit, der sich nun auch Sam gewahr wurde.

Le Livre NoirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt