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"Sollen wir noch zu mir?" fragt Ryder, nachdem wir uns eine Kugel Eis geholt haben und ich nicke ohne nachzudenken. Wird Liam da sein? Wird er mich wieder so kühl ansehen, wie letztens? Hoffentlich wird er mich nicht drauf ansprechen, falls ich ihn sehe.

"Okay" lächelt er und legt einen Arm um meine Schultern. Irgendwie ist Ryder mir jetzt vertrauter als zuvor und ich hoffe ihn überreden zu können, etwas anderes zu machen, als irgendwelche alten Notizen von seinen ersten Semestern seines Studiums durchzulesen und jedes einzelne Wort zu studieren.

Nach der gewohnten Fahrt zu ihm, laufe ich neben Ryder in sein Haus und werde dort mehr oder weniger herzlich von Sam empfangen. "Hallo Amber, wie schön, dass du dich hierher verirrt hast" er lächelt kalt und ich schlüpfe aus meinen Schuhen.

"Hallo" gebe ich knapp zurück und folge Ryder in sein wie immer perfekt aufgeräumtes Zimmer, wobei er vorschlägt, zu reden.

"Reden?" frage ich lachend und er nickt, während er sich auf den Doppelgänger von Liams Bett setzt.

"Ja Reden" lacht er zurück und ich nehme auf dem Sessel vor seinem Fernseher platz. "Erzähl mir etwas über dich, das ich nicht weiß" bittet er und ich mustre ihn. Er sitzt still da, das eine Bein überm anderen und mustert mich ebenfalls.

"Was weißt du denn schon alles?" frage ich und er lächelt höflich.

"Alles, was auf den Papieren stehen muss" meint er und ich nicke, auch wenn das ein bisschen dämlich ist. "Ich spiele Klavier" beginne ich.

"Ich weiß"

Ich räuspre mich leise und sehe zu Boden.

"Ich .. " plötzlich lässt mich ein lauter Knall einer zerbrechenden Vase oder so  zusammenzucken. Mein Kopf schnellt zur Tür und auch wenn sie verschlossen ist weiß ich, wer im Gang steht.

Ein weibliches Stöhnen folgt und mein Augen weiten sich langsam, während ich ohne zu überlegen aufstehe. "Amber, warte" bittet Ryder und hält mich am Arm fest, sodass ich ihn angucken muss. "Ich habe dir gesagt, es kann nichts werden. Er schleppt jeden Abend eine neue an" erklärt er und ich spüre erneut diesen Druck in mir.

Da wo ich in seinem Bett lag, lagen schon zig andere, zig andere haben seine vollen, weichen Lippen auf ihren gespürt und seine weichen Hände auf ihren Häuten und das widert mich an.

Und es ... es verletzt mich zu wissen, dass ich jetzt eine weitere mehr oder weniger eroberte Schlampe für ihn bin.

Wütend entreiße ich Ryder meinen Arm und laufe weiter zur Türe, die ich mit schnell pumpendem Herzen öffne. Ich starre ihn an, ich starre sie an.

Die, die vor einer Woche noch ich war.

Er drückt sie mit vor Verlangen dunklen Augen gegen die Wand und küsst sie schließlich so wild, dass mir fast die Galle den Hals hochkommt. Ich drehe mich um, wo ich Ryder sehen kann, welcher mich bemitleidend ansieht und setze ein Lächeln auf.

"Nein wir.. wir sind nicht zusammen, ich.. ich wollte nur sehen, ich.. ich sollte jetzt lieber gehen" flüstre ich, drehe mich um und gehe mit dem Blick starr auf den Boden gerichtet an.. ihnen vorbei. Ich höre noch ein Amber hier, ein Amber da, bevor ich die Haustüre zuknalle und tief durchatme.

Das Adrenalin schießt mir durch die Adern und ich beginne zu laufen - fast schon renne ich die Straßen hinunter, bis zu meinem Haus.

Völlig außer Atem komme ich dort an und sehe es  an, doch ich kann da jetzt nicht rein gehen. Ich brauche ein wenig Zeit um das alles zu verarbeiten und laufe dran vorbei, in Richtung Stadtrand.

Ich weiß nicht was ich davon halten soll, dass ich eine von Tausend für Liam bin.

Ich wusste es zwar schon vorher, aber als er mich geküsst hat habe ich für eine Sekunde geglaubt... er würde mir den ganzen Stress nehmen. Ich habe gefühlt, wie ich mich entspannt habe, wie jede Faser meines Körpers angefangen hat, zu kribbeln.

Ich kann nicht aufhören daran zu denken, dass es dem brünetten Mädchen von eben genau so gehen muss und mir kommt ständig diese Wut auf Liam in den Sinn, weil er mir meinen ersten richtigen Kuss genommen hat.

Seufzend stapfe ich den Gehweg entlang und sehe zu Boden, bis ich meinen Lieblingsplatz, eine hohe Hausmauer direkt am Wald erreicht habe und mühsam hinauf klettre. Hier vertreibe ich mir gerne meine Zeit mit nachdenken und genau das ist es, was ich jetzt brauche.

Mein Handy vibriert einige Male, aber da das eh nur Ryder sein kann mache ich mir nicht die Mühe, dran zu gehen.

Plötzlich reißt mich ein nerviges Vibriere aus meinem festen Schlaf und ich seufze genervt, während ich mich auf die andere Seite rolle um an mein Handy zu gelangen. Nach der Aufschrift 'Ryder' bin ich nur noch verwirrter und werfe einen Blick auf die Uhrzeit.

Was zum Teufel will er um 2 Uhr Morgens von mir?

"Hallo?" grummle ich und erschrecke, bei den lauten Hintergrundgeräuschen am andren Ende der Leitung. "Amber?" fragt Ryder vorsichtig und ich rapple mich auf. "Ja? Ryder, alles okay?"

"Ja, naja, nein, eher nicht. Liam eskaliert total, nachdem er vor ca einer halben Stunde stockbesoffen von einer Party heimgekommen ist und.. naja, er hat nach dir gefragt" erklärt er und mein Herz rutscht mir in die Hose.

Liam randaliert und fragt da nach mir? Hat er sich womöglich geprügelt und sich verletzt? Schnell stehe ich auf und laufe zu meinem Kleiderschrank. "Ich bin gleich da, pass auf ihn auf" stöhne ich müde ins Handy und er verabschiedet sich mit einem erleichtertem 'Vielen Dank, Amber'.

Schnell ziehe ich mir eine dicke Wolljacke über mein weißes Top und beschließe, meine bequeme Jogginghose einfach anzulassen. Nachdem ich kurzfristig mal wieder in meine komplett schwarzen Vans geschlüpft bin, fahre ich mir noch kurz durch die Haare und schleiche mich runter.

Ich bin erst 16 und darf offiziell nicht Autofahren, aber Jayden hat mir schon mal paar Fahrstunden zum Spaß gegeben und bevor Liam sich selbst oder andere noch umbringt, riskiere ich's und schnappe mir Moms Autoschlüssel.

"Sorry Mom" murmle ich, während ich den Golf starte und so gut es geht aus dieser engen Garage fahre. Unsicher trete ich auf das Gaspedal, nachdem ich den Wagen irgendwie ausgeparkt habe und fahre zu Liams zum Glück nicht weit entferntem Haus.

Die Angst um... was auch immer, die Nervosität und die Verwirrung, wieso Ryder meint gehört zu haben, wie Liam meinen Namen sagt, steigt und ich stürme schließlich vor seinem abgekommenen Haus zur Türe.

Diese steht jedoch offen und ich betrete das Haus mit geweiteten Augen. Vieles liegt zerstört am Boden und ich sehe Sam verzweifelt auf mich zukommen.

"Amber? Ach egal, heute ist eh alles scheiße" murmelt er und drückt sich an mir vorbei, aus dem Haus.

Mein Mund bleibt geöffnet und ich denke nicht weiter über seine Aussage nach, während ich langsam in das Wohnzimmer laufe und durch die geöffnete Terrassentüre in den verwüsteten Garten blicken kann.

"Liam beruhig dich!" schreit Ryder und ich höre Liam rau lachen, bevor ich sehe, wie Ryder rückwärts aufs Gras stolpert und Liams Hand in sein Gesicht saust. Erschrocken keuche ich auf und renne los.

"Liam!" schreie ich verzweifelt, während er weiter auf seinen Bruder einschlägt. Wie erstarrt zieht er seinen Arm wieder zu sich und dreht seinen Kopf ruckartig zu mir.

"Amber" wispert er und es scheint, als würde mein Herz halb aussetzen.

The pretty BeastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt