Kapitel 6: Erste Dosis

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Nachdenklich sah ich Rick hinterher und zog an meiner Zigarette.

Ich hätte ahnen müssen, dass er Fragen stellen würde.

Das war natürlich. Menschen waren neugierig und er wollte wohl wissen, wen er sich da ins Haus holte.

Alles absolut nachvollziehbar, dennoch hoffte ich, dass er ab jetzt damit aufhören und nicht weiter nachbohren würde.

Vor allem nicht auf meinen Job bezogen.

Ich konnte ihm ja schlecht die Wahrheit sagen...

Ich hatte gerade meine Kippe ausgedrückt und war wieder ins Wohnzimmer getreten, als Rick beladen mit einer Decke und einem Kissen wieder kam und beides auf die Couch legte.

Eine unangenehme Stille herrschte, als ich es mir zurechtlegte und ihn dann ansah.

Er wusste wohl nicht, was er sagen sollte, wollte aber etwas sagen.

Ich war in so einer Situation ebenfalls noch nicht gewesen, als murmelte ich ein „Danke" und er nickte.

„Ich...werde jetzt auch hochgehen, muss ja morgen wieder früh raus. Ähm...schlaf gut."

Damit ging er und erneut sah ich ihm hinterher, bis er weg war.

Erst dann setzte ich mich aufs Sofa und seufzte.

Es war wirklich bequem.

Weich und für einige Nächte besser, als irgendwo auf der Straße zu pennen, wie ich es von früher gewohnt war.

Kurz nachdem ich von daheim abgehauen war, weil ich es dort nicht mehr ausgehalten hatte.

Merle war im Knast, wie immer und mein Erzeuger die letzte besoffene...egal, der Trinker der Stadt eben.

Damals war ich fünfzehn Jahre alt gewesen, verdammt, war das lange her...

Viel geändert hatte sich aber trotzdem nicht, wie ich mir grübelnd dachte und mich auf den Rücken legte, einen Arm unter meinen Kopf geschoben und die Decke bis zum Bauch liegend.

Gut, ich hatte jetzt eine Wohnung, wenn man das so nennen konnte.

Dünne Wände, Schimmel an den Decken, kaputte Rohre und kaum einheimische Nachbarn.

Dafür stahl ich aber nicht mehr und musste meine Beute teilen...

Ich lebte immer noch gefährlich, doch keiner wagte es sich jetzt mehr, mich einfach zu überfallen.

Sie hatten Respekt, was sie damals nicht hatten.

Gerade frisch auf der Straße, da warst du Frischfleisch, egal, wie du aussiehst oder woher du kommst...

Philip - oder wie er sich selbst gerne nannte: Der Gouverneur - hatte mich damals aufgelesen.

Wie fast alle Jungen aus der Stadt.

Davor hatte ich mich mit kleinen Diebstählen auf Jahrmärkten über Wasser gehalten. Gebettelt habe ich nie.

Ich wollte es nicht.

Dafür war ich nie der Typ gewesen, denn man bekam im Leben nichts geschenkt.

Schnell fand ich heraus, dass Klauen so einfach war, wenn man sich nicht dumm anstellte – oder wenn man schnelle Beine hatte.

Man wurde von diesen Proleten mit ihren Taschen voller Geld behandelt wie der letzte Dreck, da konnten sie mir ruhig etwas davon abgeben.

Jedenfalls fand Philip schnell heraus, wie geschickt ich war und er bot mir eine Unterkunft, Essen und Freunde an, welche ich bis dato noch nie hatte.

Dadurch lernte ich auch Martinez kennen.

Wir gingen zusammen auf Beutezug und waren mehr als erfolgreich, was uns einen guten Stand einbrachte bei ihm.

Doch je älter ich wurde, desto besser konnte ich ihn durchschauen.

Ich sah, wie sehr er uns ausnahm, wie verlogen seine Versprechen uns gegenüber waren und dass wir nie ein besseres Leben haben würden, was er uns immer sagte.

Alles Geld, was wir erbeutet hatten, jedes Schmuckstück wurde von ihm eingelöst, damit er seinen eigenen Wohlstand finanzieren konnte und er hatte genug kleine Äffchen, die nach seiner Nase pfiffen, um sich das leisten zu können.

Durch uns war er reich geworden.

Mit Neunzehn haute ich ab, hatte keine Bude und Hunger und wurde nur durch Zufall in der Bar angesprochen.

Auftragsmörder.

Es war lukrativ und einfach.

Was mich am Anfang noch Überwindung gekostet hatte, ließ mich heute kalt.

Ich war abgestumpft und dennoch...das hier war mein letzter Fall.

Für ihn, für uns.

Nur dafür tat ich es noch.

Das er ein besseres Leben führen würde, als ich es hatte.

Ich wollte ihm etwas bieten können, denn seine Hure von Mutter bekam es ja nicht hin.

Dabei wollte ich nicht mal ein Kind.

Ich hatte es nie gewollt.

Denn ich wusste, dass Kinder nicht nur ein Risiko waren, sondern auch viel Zeit und Geld benötigten.

Beides hatte ich nicht und sie...alles Geld, was sie hatte, steckte sie in ihre dämlichen Drogen.

Ich würde ihn da herausholen...wenn es das letzte war, was ich tat und dafür brauchte ich das Geld von Walsh.

Rick mochte ein netter Kerl sein, aber das hatte mich nicht zu interessieren.

Je schneller ich es hinter mich brachte, desto einfacher war es im Endeffekt.

Angstachelt von dem Wunsch, es schnell hinter mich zu bringen, lief ich leise in die Küche und präparierte die Wasserflasche, stellte sie offensichtlich auf den Tisch und ging dann wieder zurück zur Couch, als ich Schritte auf der Holztreppe hörte.

Schlurfend gingen sie in die Küche und ich hörte das Zischen der Kohlensäure.

Ausatmend schloss ich meine Augen, fuhr mir über mein Nasenbein und hasste den Gedanken, dass ich es so erledigen musste.

Aber wenn ich es nicht tat, dann jemand anderes.

Dann hätte der das Geld und ich würde leer da stehen...

Es tat mir leid, dass er mein letztes Opfer werden würde, aber es musste sein.

Leise kam Rick ins Wohnzimmer, wohl um zu schauen, ob ich schon schlief und ich sah zu ihm.

„Beobachtest du gerne Leute beim Schlafen?", fragte ich ihn und hörte ihn schnauben.

„Kann nicht pennen. Normalerweise schaue ich dann immer Fern...", erwiderte er und ich rutschte, machte ihm Platz und schob ihm auffordernd die Fernbedienung zu.

„Du willst doch sicherlich schlafen oder?"

„Stört mich nicht. Bin Schlimmeres gewohnt."

Ja, das Gestöhne der Mieterin über mir, die jede Nacht einen anderen widerlichen Typen vögelte.

Da zog ich das abgedroschene Fernsehprogramm jederzeit vor.

„Hast du auch Magenschmerzen?", fragte er mich plötzlich und prüfend sah ich zu ihm.

Er rieb sich über den Bauch und ich biss mir auf meine Unterlippe.

„Nope. Warum?"

„Nur so...Hab wohl etwas zu viel gegessen...Mir ist...leicht übel."

Die Dosis wirkte.

Mehr als Bauchweh und Übelkeit würde er zuerst eh nicht bekommen.

Erst auf Dauer wurde das Gift tödlich...

Kill Me If You CanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt