Stimmen. Um mich herum höre ich Getuschel. Heimlich öffne ich das rechte Auge. Leider sehe ich nur verschwommen, also öffne ich vorsichtig auch noch das zweite. Doch meine Sicht wird nicht besser. Ein keuchen entfährt mir. So weit ich das erkennen kann, drehen sich alle um. Meine Mutter tritt schluchzend zu mir und sagt:"Was hast du dir nur dabei gedacht?" Ich will meine Hand nach ihr ausstrecken, doch ich kann sie nicht bewegen. Offensichtlich hat man mich festgebunden. "Was habt ihr mit mir gemacht?", wimmere ich. Meine eigene Mutter wischt sich mit der Hand über die Augen und dreht sich weg. Ein Arzt antwortet mir an ihrer stelle:"Wir wussten nicht in welcher Verfassung du sein würdest, wenn du zu dir kommst. Auch haben wir viele Tests mit dir gemacht und dir Medikamente gegeben. Deswegen kannst du nicht gut sehen."
Man hat mich lahm gelegt. Selbst wenn ich mich losreißen könnte, wäre ich immernoch halb blind. Ist das nicht illegal? Ich bin verstörrt. Wie kann man so etwas schreckliches mit einem Menschen anstellen? Am liebsten würde ich weinen, doch das würde wohl nicht zu Verbesserung der Lage beitragen.
Was habe ich nur getan, um das zu verdienen. "Wieso habt ihr mir das angetan? Ich habe doch nur um Emilia getrauert. Habe ich mich auf der Party falsch verhalten?" Schlagartig fährt meine Mutter herum:"Was du getan hast? Du abgehauen und warst....." "Ich muss sie bitten den Raum jetzt zu verlassen. Evelyn muss sich ausruhen.", befiehlt der Artzt und schiebt meine Eltern aus dem Zimmer.
Schon will ich erleichtert aufatmen, doch ich bin nicht allein. Eine weiße Gestalt löst sich von der Wand. "Pssst!", betont eine junge Frau,"Ich bin die Praktikantin hier. Nimm die Tabletten. Sie schmecken scheußlich, lassen dich aber wieder sehen. Man hat dir Medikamente gegeben, damit du dich nicht erinnern kannst. Niemand hat das Recht das Gehirn eines anderen auch nur anzurühren. Dafür schluckst du dies hier." Sie schiebt mir etwas in den Mund und vor Schreck schlucke ich alles herunter.
Nach einigen Minuten wird alles glasklar vor meinen Augen und ich kann das Mädchen richtig erkennen. "Danke!", sage ich. "Keine Ursache, ich war mit deiner Schwester in der Grundschule. Sie war immer so nett zu mir. Sie hatte es nicht verdient zu sterben.", tatsächlich wirkt sie niedergeschlagen.
Eine Krankenschwester hat mir etwas zu essen gebracht. Meine Eltern habe ich seit meinem Erwachen nicht mehr gesehen. Doch sie standen die ganze Zeit vor der Tür. Manchmal hörte ich sie reden. Wie jetzt. Eine dritte Person spricht zu ihnen. Vermutlich der Arzt:"Wir haben das mit Rosenheim abgeklärt, sie kann morgen Nachmittag dort ankommen. Drei Wochen lang wird sie dort leben. Das wird sie verändern, doch damit es klappt dürfen sie keinen Kontakt mehr zu ihr haben. Auch würde ich danach einen Internatsaufenthalt empfehlen." Schon wieder weint meine Mutter. Es tut mir so weh, sie so leiden zu sehen. Wie immer wirkt mein Vater gefasst. Er ist Schauspieler durch und durch. In Krisensituationen reagiert er wie in einem Film mit Happy End. Ich frage mich was Rosenstein ist.
Plötzlich bin ich sehr sehr müde. Ich frage mich noch, während mir die Augen zu klappen, was in dem Salat von vorhin war.
Wirre Bilder ziehen an mir vorbei, ein schwarzes Kleid, ein zerknitterter Zettel, ein Handy, Emilia und ich, eine Mann in der Dämmerung und zuletzt ein Auto, das wie ein Tiger seine Beute schnappen will.
Jemand schüttelt mich. Blinzelnd schaue ich einer Frau ins Gesicht. Die Praktikantin. "Du musst los. In wenigen Minuten werden sie dich holen kommen. Das ist deine letzte Gelegenheit für die nächsten Jahre deines Lebens." Rosenheim. Soll ich dort hin. Aber ich will nicht. Ich will nicht. Dieser Satz kommt mir bekannt vor. Endlich weiß ich was geschehen ist. Das gerade war kein Traum. Es waren die Stunden, die ich vergessen hatte. Die Praktikantin hat mich inzwischen von dem Bett befreit. Ich stehe auf, sie muss mich stützen, sonst schaffe ich die ersten Schritte nicht. Leise öffnet sie die Tür. Davor steht eine Transportliege. "Schnell leg dich da drauf, ich werde dich als Leich raus schmuggeln.", befiehlt sie mir. Ich gehorche. Sie legt ein weißes Tuch über mich und schiebt mich durch den Flur. Der Artz spricht sie an:"Wer ist das?" "Das ist Lea Grün, das Mädchen, das an Leukämie gestorben ist." "Armes Ding. Richten sie der Familie mein Beileid aus.", schließt Dr. Hyde, so habe ich ihn inzwischen genannt, ab.
Kurz daruf nimmt sie das Tuch von meinem Gesicht. Wir sind im Freien, direkt am Lieferanten Eingang. "Nimm diese Tasche. Deine Klamotten und dein Handy sind darin. Du musst jetzt rechts abbiegen und dann gerade aus. Dann kommst du in die City von Vernstadt. Ab dort solltest du wissen wo du hin musst. Viel Glück!", wünscht sie mir und gibt mir einen Jutesack. Ich umarme sie und bedanke mich. Dann tönt eine Stimme aus dem Treppenhaus:"Sie können nicht weit gekommen sein. Sucht sie!" Doch ich bin schon weg. Laufe, laufe, laufe und diesmal wirklich um mein Leben.

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Until the end
SpirituellesDer 14. Mai. Es war Emilias 17.Geburtstag. Doch statt einem glücklichen Geburtstagskind erwartete ihre Schwester, Evelyn, ein leeres Bett. Verschwunden. Vielleicht schon tot. Ein Jahr später findet Evelyn eine Botschaft. "Such mich!", es ist eine Bo...