Kapitel 5

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Nach wenigen Minuten joggen, komme ich am Waldrand an. Hinter ein par Bäumen bleibe ich stehen zum Verschnaufen. Dann laufe ich weiter. Ich bin gut im Laufen. Früher bin ich oft in den Fitnessraum geschlichen und habe dort meinen Frust abgelassen. Er liegt im Keller, so konnte ich heimlich meine Musik laut drehen und schreien. Immer wenn meine Freunde mich im Stich ließen, musste ich meinen Frust abbauen. Am ersten Tag in der Grundschule wurde ich wegen meiner roten Haare aufgezogen. Der Tag endete mit der ersten Prügelei meines Lebens. Ich würde es jederzeit noch einmal machen, schließlich habe ich gewonnen.

Ich wandere entlang des Waldrandes, immer verdeckt von den Bäumen. Doch nichts auffälliges ist zu sehen. An einer Wiese angekommen, wechsle ich die Richtung, von der Straße weg. Ein gutes Stück muss man dem Fluss zwischen Wald und Wiese folgen, dann stößt man auf ein klappriges altes Holztor. Das Grundstück liegt meistenteils im Wald. Der Wohnwagen, mein Ziel, liegt auf der Wiese, nahe dem Wald. Trotzdem kann man ihn von der Straße aus nicht sehen. Ich gehe zur Tür des Wagens. Ein Schloss ist davor angebracht. Emilia hat vor vielen Jahren mal gezeigt wie man ein Schloss knackt. Sie wollte damals Dedektivin werden. Aber ich bin nicht sonderlich geschickt in solchen Dingen, deshalb sehe ich mir nochmals den Wohnwagen an. Er muss mal in rosa überstrichen sein, denn es blättert Rosa Farbe ab. Die Fenster sind verriegelt. Ich muss wohl doch das Schloss knacken. In dem herum liegenden Schrott suche ich nach einem Draht oder gleichem. Schnell werde ich fündig.
Probeweise probiere ich es aus. Es misslingt mir kläglich. Nochmals probiere ich es. Doch es klappt wieder nicht. Diebe haben echt kein einfaches Leben. Irgendwie muss man doch auch ohne Schlüssel dieses verdammte Teil öffnen können. Mutlos setze ich mich auf eine alte Holzkiste. In dem Durcheinander ist mir die Farbe nicht aufgefallen. Ein Topf mit Farbe steht neben einemder Reifen. Vorsichtig nehme ich den Deckel ab. Rosa schimmernde Farbe kommt zum Vorschein. Ein Jubelschrei bricht aus mir hervor. Ich selbst kann nicht fassen wieso ich so glücklich bin. Meine Gefühle sind für mich ein Rätsel. Vielleicht erinnert es mich an das Malen und es gibt mir ein Stück Heimat zurück. Plötzlich komme ich mir nicht ganz so allein in dieser gottverlassenen Gegend vor. Mit der Farbe könnte ich den Wohnwagen neu anstreichen. Er sähe bestimmt wunderschön aus. Ich reiße mir die Schuhe und meinen Rucksack vom Leib.
Ich suche nach einem Gegenstand, der sich zum Streichen eignet. Ich finde einen alten Schwamm. Das gibt sicherlich tolle Muster. Langsam tauche ich ihn in die Farbe ein. Dann gehe ich zum Heck des Wagens und beginne. Seit langem war ich nicht mehr so glücklich. Stück für Stück betupfe ich den Wagen mit Rosa Farbe. Für die nächste Seite überlege ich mir etwas ganz besonderes. Von einem der Bäume nehme ich einen dünnen Ast mit vielen Blättern. Während ich male, halte ich den Ast so, dass der Teil darunter keine Farbe abbekommt. Nachdem ich alles bemalt habe, nehme ich den Ast behutsam ab und werfe ihn weg. Jetzt hat die Fläche fast Ähnlichkeit mit einem Tier. Ein skurriler Käfer vielleicht. Für den nächsten Abschnitte nehme ich ein anderes Blatt. Doch da durchfährt mich ein Gedanke: Heute Nacht wird meine Erste nacht als Verbrecherin sein. Ich werde ganz allein neben einem bedrohlichem Wald schlafen, nur von dünnen Wänden geschützt. Wenn ich rein kommen sollte.
Was habe ich nur getan. Eine einsame Träne kullert mir über die Wange. Aber es bleibt nicht bei einer Träne. Bald werden es viele Tränen. Ich habe schrecklichen Hunger. Und Durst. Nicht den leisesten Schimmer von der Welt habe ich. Mir ist nicht klar wie viel ich ins Rollen gebracht habe. In Büchern und Filmen werden Road Trips immer schon geredet. Die Wahrheit sieht jedoch ganz anders aus. Erst ist sie rosig, doch mit der Zeit verwandelt sich das Rosa in bedrohliches Schwarz. Schluchzend sinke ich zu Boden. Es schüttelt mich. Bald wird es dunkel werden.
Mir fällt die SMS ein, der Grund für mein unüberlegtes Handeln. Ich nehme den Rucksack von meinen Schultern und nehme das Handy heraus. Die Groß- und Kleinschreibung bereitet mir Kopfzerbrechen. Ich schreie. Wieso glaube ich das Emilia noch lebt? Sie ist tot! Vor einem Jahr hat sie sich gegen mich entschieden, jetzt sollte ich das gleiche tun. Wütend trete ich gegen den Wohnwagen. Verdammt. Vor Schmerz graben sich meine Nägel in meine Haut. Wie konnte ich nur vergessen, dass ich barfuß bin.
Die Dämmerung bricht herein. Soll ich jetzt unter freiem Himmel schlafen? Nein. Ich ziehe mir meine Schuhe an und will schon los laufen, da fällt mir ein was Emilia schrieb:"...fotogrAfier jeden schritt...". Das mache ich auch. Mit der Sofortbildkamera mache ich ein Foto. Das Bild stecke ich in meinen Rucksack. Jetzt laufe ich sonschnell ich kann. Die Hauptstraße kommt immer näher. Ich komme keuchend an. Eine halbe Stunde muss ich so weiter laufen um in die innen Stadt zu gelangen. Dort liegt ein Hotel, indem ich gerne übernachten würde. Ein roter Mini rast an mir vorbei. Die Autos habe ich total vergessen. Jetzt kommt ein Jeep angerollt. Er fährt an mir vorbei, dann hält er gute 10m von mir entfernt an und ein Junge ruft aus dem inneren:"Steig ein! Ich kann dich in die Innenstadt fahren." Bei fremden einsteigen? Ich bin doch kein Flitchen. Andererseits ich habe Glück, so lange überlebt zu haben. Schließlich habe ich nichts zu verlieren. Schon renne ich zu der Beifahrertür und steige ein. Am Steuer sitzt ein 20 jähriger Mann, der mich anstarrt. Ich starre fragend zurück. Er fragt:" Wie heißt du?" Was soll ich sagen? Wenn die Polizei ihn befragt, ist es besser wenn er nichts weiß. "Ich bin Milly und du?" "Al." , er lügt. "Du lügst! Niemand heißt Al." Wie es scheint, ist es ihm peinlich. "Eigentlich heiße ich Alfred Kopernikuss Müller. Das kann man aber nicht einen normalen Namen nennen. Meine Freunde nennen mich nur Al."
Egal wie er heißt. Wieder starre ich auf die SMS. Sie sagt mir immernoch nichts. "Hey, was hast du den da für ein altmodisches Teil. Das ist mega Retro.", offensichtlich hält Al sich für gebildet. Um des Friedens Willen antworte ich:"Hab ne SMS von meiner tot geglaubten Schwester erhalten. Sie hat mir irgendeinen Code geschickt, aber ich verstehe das nicht. " Kurz wirft er einen Blick auf das Display. "Deine Schwester ist wohl nicht sonderlich gut im tippen. Ihre Rechtschreibung ist fragwürdig.", bemerkt er. "Eigentlich kann sie recht gut mit so was umgehen. Mit Technik kommt sie klar.", verteidige ich Emilia. Kurz zieht er die Stirn in falten:"Hast du schon mal die Großbuchstaben zu einem Wort geformt?" Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Vielleicht war ihr der Text ja egal? Ich probiere es aus: du musst mich suchen. alles was du brauchst, ist in diesem Karton. regel nummer 1, fotogrAfier jeden schritt. die fotos Klebst du in das notizbuch. zweiTens, erzähl niemandem etwas. drittEns, verlier keine zEit. such mich! dwidez. minnie mouse
K A K T E E kommt heraus. "Das kann nicht stimmen. Das Wort ist Kaktee. Was soll ich damit anfangen?" "Vorallem weil man eigentlich ehr Kaktus sagt.", sagt er. "Das ist doch total egal. Außerdem, woher willst du das wissen? Du siehst aus, als könntest du nicht mal das Wort buchstabieren.", was bildet er sich nur ein? "Entschuldigung, aber ich studiere Germanistik im fünften Semester."
Fettnäpfchen. Lange schweigen wir. Dann fährt er vor das Rathaus. "Was willst du hier?", frage ich irritiert. "Ich will nichts, aber du!", beantwortet er meine Frage und deutet auf einen Kaktus in der Mitte des Rathausplatzes. Unser Bürgermeister kommt aus Mexiko, deshalb schenkete ihm irgendein Verein einen Kaktus.
Sofort springe ich von meinem Sitz und reiße die Tür auf. An dem Kaktus angekommen untersuche ich ihn. An einer Dorne hängt ein gefaltetes Blatt Papier. In Emilias Handschrift steht dort: Du nutzt es es wenn du weg willst. Im Englischen ist der Weg ein Teil. Es bahnt sich seinen Weg durch die ganze Welt. Vorsicht Stufe!"

Until the end Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt