Aus heiterem Himmel kommen mir die Tränen. Ich setzte mich auf die kalten Steinstufen und Atme tief durch. Mein Leben geht mir so auf den Geist. Wie betäubt höre ich auf zu weinen. Ich fühle nichts mehr weder trauer noch Wut oder Glück. Wieso bin ich so? Selbst mein Therapeut weiß keine Antwort auf meine Fragen. Mein Leben wie es vir dem verschwinden meiner Schwester kannte hat für mich keine Bedeutung mehr. Ich kann mich selbst nicht mehr verstehen. Meine Gefühle sind täglich anders und Filme oder Begegnungen beeinflussen mich mehr als mir lieb ist. Schnell bin ich eifersüchtig auf Charaktere und wünsche mich zwanghaft in diese Geschichte. Tagelang bin ich dann trostlos und traurig.
Mir fällt der Grund für meine Trauer wieder ein, das Päckchen mit der, mir so vertrauten, Schrift. Emilia liebte Rätsel. An Ihren Geburtstagen gab es immer Schatzsuchen. Anfangs mit Hinweisen unserer Eltern, dann immer Mystischer und mit GPS.
Vorsichtig ziehe ich an einem Ende des Bindfadens und die Schleife löst sich. Ich öffne auch den Knoten und reiße das Packpapier herunter. Ein Karton kommt zum Vorschein. Ich möchte ihn gerade öffnen, da höre ich ein Auto näher kommen. Mit dem Paket unter dem Arm, laufe ich los. An einem alten Baum angekommen, hocke ich mich auf das daruter wurzelnde Moos und sehe in den Karton. Ein Zugticket, ein Bündel Geldscheine, eine Sofortbildkamera, ein Notizbuch und ein altes Handy befinden sich darin. Was soll ich damit? Ich klappe das Handy auf. Ich drücke auf den Powerknopf und der Bildschirm leuchtet auf. "GT-E1150i", verkündet mir das Display, danach der Schriftzug "Samsung" und ich lande auf dem Homebildschirm. Das Hintergrundbild, es ist ein Foto von mir und Emilia, als wir noch Kinder waren. Wir lachen. Das ist ihr Handy. Mir fällt ein wie wir das Foto aufgenommen haben. Genau wie heute fand eine Feier statt. Beide trugen wir das gleiche grässliche Kleid. Nur wenige Tage zuvor, hatte sie das Handy erhalten. Uns wurde irgendwann langweilig und wir begannen lustige Dinge zu machen. Wir zugen an trägerlosen Kleidern elegant gekleideter Frauen und weiteres. Das Foto entstand als wir gerade das Treppengeländer herunter sausten. Nur wenige Sekunden danach, bekamen wir beide Hausarrest und das Handy bekam ich nie wieder zu sehen.
Eine SMS blinkt auf dem Display. Ich öffne sie und lese:
du musst mich suchen. alles was du brauchst, ist in diesem Karton. regel nummer 1, fotogrAfier jeden schritt. die fotos Klebst du in das notizbuch. zweiTens, erzähl niemandem etwas. drittEns, verlier keine zEit. such mich! dwidez. minnie mouse
Was soll das denn nun wieder bedeuten "DWideZ minnie mouse". Auch die Groß-und Kleinschreibung ist fragwürdig. Wieso soll ich sofort los? Versteht der Verfasser dieser Nachricht nichts von geregeltem Alltag? Ich bin 15 einhalb und habe vor das Abitur zu machen. Einfach aufbrechen kommt gar nicht in frage. Was ist wenn Emilia wirklich noch lebt und sie will das ich als einziger Mensch sie finde? Ist mir meine Schwester mehr Wert als meine Ausbildung. Wenn ich zurück komme kann ich immer noch zur Schule gehen. Den Gedanken, dass ich vielleicht nicht mehr zurück kehren werde, verdränge ich erstmal.
Vom Haus her höre ich Stimmen. Sie rufen jemanden. Ich begutachte die anderen Gegenstände in dem Karton. Die Sofortbildkamera gefällt mir. Es ist eine alte Polaroid. Auch sehe ich mir die Geldscheine an. Es gibt 50€ Scheine aber auch 5€ Scheine. Ich zähle durch. Das kann nicht sein, nochmals zähle ich, doch das Ergebnis verändert sich nicht. Es sind 1405 Euro. Der 14.5. ist heute, ihr Geburtstag. So viele Zufälle gibt es nicht.
Die Stimmendie ich hörte kommen näher. Ich höre immer wieder"Lyn". Kenne ich nicht. Ganz nach ruft eine Stimme:"Evelyn, Evelyn wo bist du?" Mist. Sie schreien nicht "Lyn" sondern "Evelyn". Ich will aber noch nicht zurück. Trotzig bleibe ich in meinem Versteck sitzen. Die Dämmerung lässt mich zu einem Teil des Baums werden. Vaters Stimme höre ich deutlich. Sie klingt verzweifelt. Eine Gestalt wandelt durch die Dunkelheit auf mich zu:"Da bist du ja!" "Ich will nicht!", antworte ich, stehe auf und renne los. Immer wieder drehe ich mich um. Panisch laufe ich auf die Allee zu. Meine Haare peitschen mir ins Gesicht und ein Tropfen landet auf meinem Gesicht. Unter einer möchtigen Platane suche ich keuchend Schutz. Doch immer mehr kommen. Lange werde ich das Päckchen nicht mehr tragen können. Das Handy schiebe ich in meinen Ausschnitt und die anderen Dinge schiebe ich zwischen die Wurzeln. Um den Baum zu makieren reiße ich ein Stück meines Kleides ab und lasse es an einem Ast wehen.
Mehrere Leute kommen in meine Richtung. Schnell, ich muss rennen. Auf dem Kiesweg strauchel ich und falle mitten auf die Fahrbahn. Der Kies gräbt sich tief in meine Handflächen, doch für so etwas bleibt keine Zeit. Im Aufstehen drehe ich mich um und kreische hysterisch:"Lasst mich, ich muss Emilia retten!" Ein Mann holt mich ein und wird langsamer, mit ruhiger Stimme versucht er mich zu beruhigen:"Evelyn, wir wollen dir helfen, komm zurück ins Haus. Deine Mutter weint vor Sorge um dich." Meine Mutter..., ich bleibe außer Atem stehen. Er sieht vertrauenswürdig aus. Vielleicht sollte ich doch....:"Nein! Ihr wollt mich umbringen!" Der hat bestimmt ein Messer hinter seinem Rücken oder so. Halb rennend, halb keuchend laufe ich weiter. Scheinwerfer erfassen mich. Was ist los. In Schockstarre bleibe ich stehen. Das Licht kommt immer näher. Bin ich tot? Dann macht es ein hässliches Geräusch und mir wird schwarz vor Augen. Rabenschwarz.
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Until the end
EspiritualDer 14. Mai. Es war Emilias 17.Geburtstag. Doch statt einem glücklichen Geburtstagskind erwartete ihre Schwester, Evelyn, ein leeres Bett. Verschwunden. Vielleicht schon tot. Ein Jahr später findet Evelyn eine Botschaft. "Such mich!", es ist eine Bo...