Kapitel 15.

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'Ich weiß auch nicht. Manchmal da habe ich einfach enorme Schmerzen.',beichtete mir Alice, als sie bei mir schlief.

'Echt? Geh doch zum Arzt!'

'Nein. Ich mag Krankenhäuser nicht, das weißt du doch. Außerdem, wird es schon nichts ernstes sein. Das wird bald wieder, ich möchte niemandem Sorgen bereiten, verstehst du?'

'Hmm, ja. Wo waren wir gerade? Ach ja! Wie würdest du am liebsten sterben?', wir stellten uns oft solche Fragen, wenn wir gerade kein Thema hatten. Wir wollten schon immer alles von einander wissen, da gehört sowas nun einmal dazu.

'Glücklich. Von einer schönen Nachricht geprägt.. Und am besten so voll klischee-haft in deinen Armen.'

'Echt?! Daran hab ich auch gedacht!'

'Normal bei uns, oder etwa nicht?'

Es war einer der Tage, an denen wir viel lachten. An denen ich sie so glücklich sah, dass es mich auch glücklich machte. Selbst mein Bruder kam ab und zu mal rein und spielte mit uns Wahrheit oder Pflicht. 

Manchmal musste ich daran denken, dass sie an unerträglichen Schmerzen litt, aber es nie sagen wollte. Sie lachte immer so viel, selbst mir ist es nicht aufgefallen. Sie überspielte ihre Schmerzen schon immer. So war sie nun einmal.

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'Layla! Layla!', aufgeregt stand Tomoya bei mir im Zimmer.

'Ja?', verwundert stand ich auf.

'Alice.. Alice sie liegt im Krankenhaus!'

'Was?! Scheiße scheiße..', so schnell es ging zog ich mir meine Schuhe an und rannte mit Tomoya raus. Dort warteten schon unsere Eltern auf uns.

'Papa! Fahr schneller, fahr schneller! Tomoya, wieso liegt sie da?!'

'Sie ist zusammengebrochen. Die Ärzte untersuchen sie jetzt..'

'Was?! Hoffentlich ist es nichts Ernstes...'

Im Krankenhaus angekommen, warteten wir ungeduldig im Wartezimmer. Ein Schock überkam uns, als die Mutter von Alice heulend aus ihrem Zimmer kam. So schnell wir nur konnten rannten wir zu ihr, doch sie ließ sich nicht trösten. 'L-Lay..  Alice will dich sehen..', da sie in der Intensivstation lag, durfte immer nur eine Person rein. Ohne lange zu überlegen rannte ich in ihr Zimmer. Mein Herz raste, ich hatte so Angst, ich wusste ja nicht einmal, ob es ihr sehr schlecht geht, beziehungsweise, was sie hatte. Voller Zweifel betrat ich dann ihr Zimmer.

Tränen stiegen in mir hoch und mein Herz, es zerfiel in tausende Teile. Alice war blass, sie hatte Augenringe und sie sah dünn, abgemagert dünn aus. Dennoch lächelte sie mich mit ihrem wundervollen Lächeln an. Ein Schmerz machte sich in meinem Körper breit, ich war wie gelähmt, bis ich dann aus der Schock Starre heraus kam.

'A-Alice! Was hast du?! Geht es dir gut?! Brauchst du etwas?!', ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Meine sonst so glückliche Freundin, nein, eher Schwester, lag mit einem gezwungenem Lächeln im Bett eines Krankenhauses, eines, welches sie niemals auch nur betreten wollte, selbst wenn es ihr das Leben, dass sie so schätzte und liebte, gekostet hätte. Meine sonst so fröhliche Schwester zerbrach, und ich konnte nur erbärmlich zusehen.

'Layla, mir geht es gut. Keine Sorge.', und ob ich mir Sorgen machte. Tränen glitten ihr über ihr blasses Gesicht, vermutlich weil sie mich ungewollt aber dennoch in Strömen weinen sah. Ohne zu zögern umarmte ich ihren dünnen,abgemagerten, zerbrechlichen Körper.

'Der Arzt sagte, es sei nichts Ernstes. Also mach dir keine Sorgen.', sollte ich auf sie hören? Ich hätte nicht auf sie hören dürfen.

Ab diesem Tag an besuchte ich sie jeden Tag. Immer dann, wenn ich eine freie Sekunde da hatte. Denn ihre Eltern waren sehr beschäftigt. Es tat mir sounglaublich weh, zu sehen, wie sie immer dünner und zerbrechlicher wurde, bis sie schon wegen dem Wind hätte zerfallen können. Egal wie sehr ihre Haut an ihren Knochen klebte, sie sah immer noch hübsch aus. Das war meine Alice. Das war sie. Einige Monate vergingen und Alice schien es immer ein wenig schlechter zu gehen, bis es ihr irgendwann wieder besser ging.

Alice war ein Mensch, der immer auf das Wohl anderer achtete. Sie wurde von jedem gemocht, und das zu Recht. Immer wenn jemand Hilfe brauchte, war sie zur Stelle. Und jetzt, wo es ihr doch so schlecht ging, kam kein einziger um sie zu sehen. Niemand. Nicht eine Menschenseele. Niemand kam um zu sehen, ob es dem Mädchen, das ein reines Herz hatte und jedem immer geholfen hatte, gut ging. Nicht einmal ihre Eltern kamen um sie zu sehen. In welch einer Welt lebten wir? Jetzt, wo sie sahen, dass sie keinen Nutzen mehr aus ihr ziehen konnten, verzogen sich diese untreuen Leute ohne einen Funken Anstand und Respekt?  

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'Layla!', als ich an einem freien Tag in ihr Krankenzimmer kam, wurde ich fröhlich empfangen.

'Ja?', verwundert starrte ich auf das glückliche Gesicht meiner Freundin.

'Mein Arzt sagte, ich werde bald entlassen! Ich bin bald wieder gesund, Layla!',  noch nie in meinem Leben war ich so unglaublich glücklich. Ein Gefühl von Freude überkam mich, es breitete sich in meinem ganzen Körper aus, so, dass ich nicht einmal klar denken konnte, und sie einfach ohne zu überlegen in denArm nahm. Ohne es zu bemerken fingen wir beide an in Strömen zu weinen, wirweinten und lachten und weinten und lachten, so wie wir es nie zuvor taten. VorFreude weinten wir, Arm in Arm.

Einige Minuten ließen wir einander nicht los. Wir lachten und weinten aber nahmen unsere Arme nicht von einander.

'Bald hast du es geschafft, Alice. Bald hast du es geschafft. Bald hat sich dein Kämpfen gelohnt. Ich freu mich so!'

'Ja. Bald wird alles wieder gut.'

Doch dann geschah etwas, was ich mir nie hätte vorstellen können. Vorfreude ist nichts Gutes, das wurde mir in diesem Augenblick bewusst. Das Piepen der Maschine ließ mich zusammen zucken. Ich riss meine Augen auf und zitternd sagte ich ihren Namen, bis mein Sagen sich in ein Rufen verwandelte.

'Alice.. Alice? Alice?!?, doch sie reagierte nicht. Ihr Körper stützte sich nicht mehr am Bett, nein, sie ließ sich förmlich auf mich fallen. Weinend rief ich den Namen der wichtigsten Person in meinem Leben, doch diese wollte einfach nicht reagieren.

Nach einigen Minuten schienen die Ärzte das mitzubekommen, aber als sie rein rannten, war es schon zu spät. Das Krankenhauszimmer füllte sich langsam aber sicher, man wollte sie von mir nehmen. Doch ich griff mich an ihr fest.Ich krallte mich an ihr und drückte sie so fest an mich, wie es meine Kraft nur zuließ. Ihr Oberteil war schon von meinen Tränen getränkt, doch auch wenn ich hätte aufhören wollen, es ging nicht. Ich weinte so unaufhörlich, so als würde sie mein Weinen wieder lebendig machen. Als würde es helfen, wenn ich sie festhielt. Ein Gefühl der Leere machte sich in mir breit, ich nahm die Außenwelt gar nicht mehr wahr. Das schreien der Mutter, das Weinen meines Bruders, nichts nahm ich wahr, es war wie als sei ich mit ihr ins Jenseits geschickt worden. Ich konnte es gar nicht fassen, was war gerade passiert? Alice war tot. Sie starb, sowie sie es wollte, glücklich in meinen Armen.

Es tat so sehr weh, zu realisieren, dass sie im Krankenhaus starb. Dort, wo sie nie hätte sterben wollen. Es tat so sehr weh, zu realisieren, dass ich im Augenblick ihres Todes die einzige Anwesende war. Dass niemand da war, um so eine wichtige Person sterben zu sehen. Es tat so sehr weh, dass mich dieser  Schmerz verschling. Er tötete auch mich, ich sah lebendig aus,aber ohne sie war ich nur eine leere, unnütze Hülle, die in dieser widerlichen Welt leben musste, ohne die Person, die diese Welt zu einem wundervollen Ort machte.

Wieso sie ?!

Learn to trust again. ~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt