Uns

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Es war eine Tortur für sie durch die belebten Einkaufsstraßen zu gehen. Eine Tortur, welche kein Ende nehmen wollte. Sie beschleunigte ihre Schritte.
Sie spürte die Blicke der Menschen auf ihr. Wie sie an ihrem Körper hoch und runter wanderten. An der ausgebeulten Hose hängen blieben und mit Abscheu die löchrigen Schuhe begutachteten.

Begutachtet. Genauso fühlte sie sich. Als wäre ihr Körper bei einem Gutachter.
Ihre dünnen Finger krallten sich in die Plastikhenkel der Kik-Tüten, als würden sie ihr Schutz geben. Neben ihr liefen die Menschen, sie hielten die Ralph Lauren oder Tommy Hilfiger-Taschen umschlungen. Stellten sich damit auf eine höhere Stufe. 

Wenn sie ihren Weg kreuzte, stießen sie sie weg. Wenn sie sie ausversehen berührte, sahen sie sie mit Ekel an.
Sie beschleunigte ihre Schritte. Wollte dem Wahn entkommen. Wollte einfach nur weg. Wollte nach Hause. Wollte zu ihrer Familie. Wollte vergessen, was sich außerhalb ihrer mickrigen Wohnung abspielte. Sie wollte keinem Vergleich ausgesetzt sein. Sie wollte nicht, dass ihre Kinder diesem Vergleich ausgesetzt waren. Sie wollte sie am liebsten auf ewig in ihre Wohnung sperren, damit sie solche Erfahrungen nicht machen mussten. Doch sie wusste, es ging nicht.
Ihre Kinder mussten zur Schule. Sie mussten lernen. Damit sie nicht wie ihre Mutter endeten.
„Verzeiht mir", flüsterte sie. Sie schämte sich. Und fragte sich, ob sich ihre Kinder ebenfalls für sie schämten.


VerzeihungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt