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Wie jeden Morgen saß ich hier einsam im Klassenzimmer. Wenigstens bekam ich heute mal den Luxus mich normal hinzusetzen. Normalerweise lag oder klebte etwas auf meinem Stuhl. Manchmal lag auch eine „Todesbotschaft" auf meinem Platz oder Drohungen und Beleidigungen. Ich saß nun unmotiviert da und wäre lieber aus dem Fenster gesprungen, anstatt hier zu sitzen.

Herr Müller betrat den Klassenraum. Hinter ihm ging ein Mädchen. Ich erkannte sie sofort. Es war Jamie Lee Kriewitz. Sie hatte The Voice of Germany und nun den ESC Vorentscheid gewonnen. Ich war ein großer Fan von ihr. Eigentlich. Die anderen erlaubten mir nicht meine Jamie Seite auszuleben. Ich tat es teilweise trotzdem und kassierte die Schläge einfach. Wöchentlich landete ich einmal am Boden und wurde zusammengeschlagen. Die blauen Flecke und Schürfwunden versteckte ich immer. Auch an den sichtbaren Stellen. Nichtmal meine Eltern hatten dies bemerkt. Na ja so oft, wie die im Urlaub sind, ist es ja auch kein Wunder. Auch jetzt waren sie für einen ganzen Monat im Ausland. Schon früh habe ich lernen müssen auf mich selbst aufzupassen. Ich lebte praktisch schon allein. Leider. Ich war allein, wirklich einsam...

„Guten Morgen, wir haben eine neue Schülerin. Der ein oder andere kennt sie vielleicht schon. Aber könntest du dich trotzdem nochmal vorstellen?" unterbrach Herr Müller meine Gedanken. „Ja klar. Ich bin Jamie Lee Kriewitz, komme aus Hannover und bin jetzt hier für ein halbes Jahr, also bis zum Ende der zehnten Klasse. Einfach aus den Gründen, dass ich hier viel mehr Ruhe habe, als in der Nähe einer Großstadt."

Ich spürte den Anstupser von Tobias hinter mir. Nein bitte nicht. Verdammt, warum müssen die wissen, dass ich Jamie mochte. Zum Glück kannten sie meine Fanpage nicht. Da fiel mir ein, neben mir war der einzige freie Platz. Mein Herz fing plötzlich an zu rasen und das noch mehr, als Jamie sich tatsächlich neben mich setzte.

„Hey." kam es freundlich von ihr, was ich mit einem einfachen „Hi" erwiderte.

Innerlich hatte sich meine Stimmung nun erhellt. Aber das wurde innerhalb der Stunde wieder zunichte gemacht. Vor allem, als Herr Müller zehn Minuten eher gehen musste und uns mit Aufgaben allein ließ. Natürlich machte von den anderen keiner die Aufgabe. Ich wurde wieder zum Ziel. Sie wussten, dass ich bi war und auch dass meine Eltern christlich waren und es damit eigentlich nicht vereinbar war. Aber meine Eltern akzeptierten es und das wussten sie nicht. Sie bezeichneten mich als „Lesbenschlampe" und „Christensau". Fünf Minuten vor Schluss hielt ich es nicht mehr aus und rannte mit meinen Sachen einfach aus dem Raum nach draußen, zur Pause.

Einsam saß ich auf „meiner" Bank. Wenn ich nicht hier war, lag ich verprügelt und wimmernd am Boden. Ja soweit gingen sie. Dabei gab es immer einen der es filmte, aber nie einer der Eingriff. Heute blieb ich zum Glück verschont. Ich las einen meiner Lieblingsmangas, als plötzlich jemand vor mir stand. Ich erschrak im ersten Moment und war erleichtert als es nur Jamie war.

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