Kapitel 7 - Stimmen

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Die Nacht war bitterkalt. Eine, mir wohl bekannte Kälte kroch durch den Wald und meine Knochen. Ich fühlte mich schon seit Tagen nicht mehr wie ein richtiger Mensch. Der Hunger hatte tief an mir genagt und ich roch wie ein Stinktier. Aber es war einfach zu kalt um Baden zu gehen und gestern hatte ich wichtigeres zu tun gehabt, als zu essen. Eigentlich sollten Briefe nicht der Grund sein um sich auszuhungern, aber sie waren so spannend und in mir schrien die Stimmen, ich solle weiterlesen. Aber noch war es dunkel. In dieser Nacht war ich wie ein totes, frierendes Gerippe, mit verrückten Stimmen im Kopf, die nur noch an fremde Briefe dachten. Ums kurz zu sagen, ich fühlte mich allein, kalt, hungrig und tot.

Ich zog mir die Decke über den Kopf. Ich hatte ein Emotionstief. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ein Mensch zu solch pessimistischen und trübseligen Gedanken veranlagt war. Stundenlang starrte ich ins Dunkle und spürte wie die Kälte meine Fingerspitzen und meine Nase langsam in sich einwebte.

Endlich hörte ich die ersten Vögel und wusste, dass es zu dämmern begann. Erleichterung machte sich in mir breit und ich merkte wie die pessimistischen Stimmchen in meinem Kopf ihre Nachtschicht beendeten und der Optimistischen Platz machten. Verrückt - anders konnte man mich nicht mehr beschreiben. Dieser Wald machte mich verrückt. Er war wie eine Seuche, die dein Hirn vergiftete und dich zu einem Menschen machte, der du nicht sein wolltest.

Langsam setzte ich mich auf. Meine steifen Knochen und eingefrorenen Muskeln schmerzten unglaublich. Der Reihe nach knackte ich mit allen Gelenken um sie wieder bewegen zu können. Als ich meinen Rücken streckte, knackte jeder einzelne Wirbel meiner Wirbelsäule. Es war ein ekliges Geräusch, das mir sofort eine Gänsehaut bescherte.

Eigentlich wollte ich sofort wissen, was mit Arvid geschehen war. Meine Finger juckten regelrecht darauf den nächsten Brief aufzureißen, aber ich verkniff es mir. Oder besser gesagt: die verantwortungsbewusste Stimme, aus welcher Ecke meines Hirns sie auch immer gekrochen war, verbot es mir. Sie lenkte meine gesamte Aufmerksamkeit auf meinen Magen. Beziehungsweise auf das kleine etwas in Form einer vertrockneten Rosine, die einmal mein Magen gewesen sein könnte.

Also band ich meine Decken zu einem Knäuel zusammen in dem sich die Briefe befanden. Und ich weiß nicht woher auch immer diese Assoziation kam, aber mein Magen schien auf einmal in diesem bematschten Deckenknäuel eine riesige gefüllte Nudel zu sehen. Wie die Tortellini, die es vor ein paar Tagen im Camp gegeben hatte. Und da knurrte mein Magen plötzlich so laut, dass ich mir einbildete die Vögel hätten für einen Moment ihre Schnäbel gehalten. Aber seit die Stimmen in meinem Kopf hausten, traute nicht einmal ich mir noch über den Weg.

Ich trug das Knäuel vor meiner Brust, während ich über jeden noch so kleinen Ast stolperte. Es sah bestimmt lustig aus, wie die Spinnerin vom Dienst dreckige Decken schleppte und sie behandelte als wären sie aus Glas. Aber meine Briefe waren mir zu wichtig. Meine Schätze, die ich auf gar keinen Fall verlieren wollte.

Es knackte hinter mir. „Ein Hase" wisperte das kleine Naivchen in meinem Kopf. Also lief ich weiter.

Kurz darauf hätte ich schwören können, dass ich hinter mir ein Husten gehört hatte. Ich brauchte ganz dringend Schlaf. Und Menschen um mich herum.

Meine Schritte beschleunigten sich. Mir rannen Schweißtropfen über die Stirn.

Abrupt blieb ich stehen. Und schrie. Zwischen den kratzigen Lauten aus meiner Kehle fanden sich die Worte „Was zum Teufel soll die scheiß Paranoia, Nova?". Ich hieb mir mit dem Handballen gegen die Stirn, um es kurz darauf den Decken gleich zu tun und auf den Boden zu sinken.

„Du gehörst definitiv in die Klapse."

„Ich weiß" schrie ich die Stimme in meinem Kopf an. „Ich weiß, dass ich nicht normal bin." Tränen liefen über meine Wangen und mein Körper zitterte im passenden Rhythmus dazu.

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