Kapitel 9 - Seestadt

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Ich war noch Minutenlang in meiner Trance und dachte über den Brief nach. Ich wiegte meinen Körper langsam vor und zurück und meine Augen starrten emotionslos ins Leere, während ich mit den Stimmen in meinem Kopf eine rege Diskussion darüber führte, wie oder was das Inside war.

Das Innenleben meines Kopfs muss man sich so vorstellen:

Ich stehe in einem schwarzen Raum mit vielen, vielen Ecken und kaum Licht. Aus jeder dieser Ecken kommt eine Stimme. Ich sehe keine Körper dazu. Und jedes Mal wenn eine dieser Stimmchen etwas sagt, drehe ich mich um sie ansehen zu können, was ich natürlich nicht kann. Der Raum ist ziemlich unsymmetrisch und nimmt nach oben kein Ende. In der Ecke, die am weitesten von mir entfernt ist sitzt die kleine, schüchterne, naive und meist positive Stimme. Wenn die Stimmen etwas sagen, an das ich mich erinnern kann, wird es auf einer der schwarzen Wände eingeblendet, sodass ich es noch einmal sehen kann.

Während ich also so vor mich hin starrte und nach außen hin recht ruhig wirkte, tobte in mir ein Sturm aus Stimmen und Bildern. Jede Stimme warf ihre Ideen auf mich und von überall her blinkten die Wände mit den Erinnerungen. Und ich drehte mich im Kreis um die Antwort zu finden oder zumindest einen Hinweis. Wie eine Katze die ihren eigenen Schwanz jagt - hektisch und ohne Ende.

Ich dachte schon ich würde wohl nie Erlösung bekommen und aus diesem Chaos erlöst werden, als Aaron mich antippte. Und Schwups, sehnte ich mir meine Stimmendiskussion wieder herbei. Ich hatte jetzt überhaupt keinen Nerv für sein anstrengendes Geschwätz. Ich hasste seine ganzen Anspielungen. Wozu waren die überhaupt gut? Ich meine jeder weiß was er meint. Soll er es doch einfach gerade heraus sagen.

„Na Dummerchen? Hör zu du musst noch kurz mitkommen. Es gibt da noch eine winzig kleine Sache zu klären, bevor wir zwei mit unserem Schläfchen beginnen können." Beim Wort 'Schläfchen' zwinkerte er mir auf eine Weise zu, die wahrscheinlich verführerisch aussehen sollte. Allerdings wirkte er eher, als hätte er Chili im Auge, so sehr verzog er sein Gesicht. Und das Wort 'Schläfchen' war auch nicht unbedingt seine Parade-Anspielung gewesen.

Aber anstatt mich zu beschweren nickte ich ihm nur kurz zu und ließ mich von ihm auf eine eher beknackte Art und Weise hochziehen. Er umgriff meine Hände, während ich noch immer auf dem Boden saß, sodass er einen Buckel machte. Dann richtete er sich ruckartig auf und ich flog – im wahrsten Sinne des Wortes – direkt in seine Arme.

„Ich hab dir doch gerade gesagt, dass wir damit noch einen klitzekleinen Moment warten müssen." raunte er mir ins Ohr.

„Entschuldige bitte. Ich war von deinem anbetungswürdigen Körper abgelenkt." Meine Stimme war so genervt und sarkastisch, dass ich wirklich überrascht von mir war. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das so gut hinbekommen würde. Um meine neu gewonnene Stärke nicht gleich wieder zu verlieren, ließ ich meine Augen einmal im Kreis kullern und stieß ihn von mir weg.

Alles was er für mein Schauspiel übrig hatte, war ein müdes Lächeln, bevor er mich mit sich durch den knarzenden und ächzenden Flur schob. Diese Art von Haus war mir definitiv nicht ganz geheuer. Man hatte sogar das Gefühl, dass alles wie auf einem Boot schaukelte, was hoffentlich nur Einbildung war. Im krassen Gegensatz zu mir bewegte sich Aaron weniger taumelnd fort als ich. Ihn schien es auch nicht wirklich zu stören, dass man bei jedem Schritt dachte, dass das morsche Dielenholz durchbricht und man sich im kalten See wiederfindet.

Der Flur war wahnsinnig lang. Vielleicht war das aber auch nur meine Einbildung. Ich hatte schließlich keine Ahnung was mich erwarten würde. Oder wer. Und vor allem wann? Alles fühlte sich verlangsamt an, wie in Zeitlupe. Ich glaube so müssen sich Schnecken fühlen. Sie sind total langsam und kommen scheinbar nie ans Ziel, wobei aber alles um sie herum in ganz normaler Geschwindigkeit abspielt. Die sind schon echt arm dran.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 27, 2016 ⏰

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