Kapitel 8 - Inside

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Der zwölften Januar


Meine geliebte Ella,

Du hast mich gleichzeitig zum glücklichsten und traurigsten Menschen der ganzen Welt gemacht.

Die Nachricht, dass Du ein Kind erwartest, erreichte mich erst vor einigen Tagen und erfüllte mich mit der größten Freude und riesigem Stolz. Nichts hätte unser Glück perfekter machen können, so laufe ich seit Tagen mit einem beflügelten Herzen umher. Ich hoffe, unser Ungeborenes wird Deine zimtbraunen Augen haben und dein herzliches Lachen. Was ich nicht alles geben würde, um dieses Lachen noch einmal hören zu dürfen...

Stell Dir vor, ich wäre bei dir in Kampen. Mittlerweile muss Dein Bauch schon deutlich zu sehen sein, und ich lege meine Hände darauf. Sie ruhen sanft auf Deiner weichen Haut und ich spüre das Leben darunter. Unser Baby nimmt unsere Stimmen wahr und wird genauso gespannt und von Vorfreude erfüllt sein, wie wir beide. Du legst deine Hände auf meine und wir sind eine Familie.

Ella, Du wirst eine wundervolle Mutter sein. Liebevoll, aufrichtig und aus tiefstem Herzen wirst Du unser gemeinsames Fleisch und Blut auf sein Leben und den Rest der Welt vorbereiten.

Ich wünschte nur, ich dürfte daran teilhaben... Jedoch fürchte ich, meine Vaterrolle nie wahrnehmen zu können.

Vor vier Monaten, als die Kämpfe beendet waren und die hundert Sieger feststanden, begann für mich eine schreckliche Zeit, die bis heute anhält. Wir alle wurden nach einigen Tagen aus Jätte abgeholt und in kleinen Gruppen ins Inside gebracht. Rund um die Uhr wurden wir von Wächtern auf Schritt und Tritt verfolgt und beobachtet, sodass sich mir, egal wie aufmerksam ich danach spähte, keine Möglichkeit zur Flucht bot.

Über eine lange Handelspassage, auf der hauptsächlich Outlander ihre Waren anboten, die ein weites Spektrum von einfachen Broten über Pferdegeschirr, bis hin zu wertvollen Edelsteinen umfassten, gelangten wir ins Inside. Auf beiden Seiten erstreckten sich die blutroten Rosenfelder bis zum Horizont, was aber der fröhlichen Stimmung der Händler und Käufer keinen Abbruch tat.

Selbst von weitem war das Inside das Prächtigste, was mir je zu Gesicht gekommen ist. Hinter einer elfenbeinfarbenen, soliden Mauer, die weit über unsere Köpfe ragte, wachte ein riesiges Schloss aus Glas, mit hunderten kleinen Türmchen und limettengrünen Fähnchen.

Kannst Du Dich noch an das Märchen erinnern, dass allen Kindern in Kampen erzählt wird? In dem ein ärmliches Mädchen heimlich einen Ball in einem wunderschönen Schloss besucht und mit dem Prinzen tanzt, ihren gläsernen Schuh verliert und schließlich den Prinzen heiratet? Deine Vorstellung von dem Schloss dieser Geschichte wird von dem echten Märchenschloss, das da vor mir aufragte, von weitem übertroffen.

Von Nahem wurde alles noch viel schöner. Als wir die zahlreichen, zermürbenden Kontrollen passiert hatten, gelangten wir durch ein eisernes Tor ins scheinbare Paradies. Auch wenn ich mir in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, als bei dir zu sein, bei unserer Familie, kam ich nicht umhin die Schönheit dieses Ortes, wenn auch durch einen Schleier aus Schmerzen und Angst, wahrzunehmen.

Alles glänzte, war wie von Götterhand geplant und gebaut, die prächtigen Häuser wechselten sich in perfekter Komposition mit gepflegten Grünanlagen ab, die Pflanzen beherbergten, so bunt wie Regenbögen und so vielfältig wie die Erde selbst. Hättest du das sehen können, meine Liebste, du wärst nie wieder aus diesen Gärten verschwunden.

Doch die Menschen an diesem Ort waren seltsam. Sie schienen glücklich zu sein, doch ich weiß nicht ob es an meinem Hass auf sie lag, aber sie strahlten eine eisige Kälte aus, die jeden hätte erfrieren lassen können. Obwohl ich sie nur einige sehr kurz zu Gesicht bekam, konnte ich mir ein recht genaues Bild von ihnen verschaffen. Sie wirkten kalt, oberflächlich, falsch und aufgesetzt. Ihre Berge an Schmuck änderten nichts an dem Streben nach noch mehr unnützem Gold, sodass sie wie besessen konsumierten.

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