Keine Spur

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Michi, Toni, Andreas und Tobias hüpften in den Helikopter. „Wo geht's hin?", fragte Michi. Andreas saß neben ihm und sagte: „Auf den Stoderzinken zur Steilwand" „Alles klar", rief Michi. „Kommt Jessica nicht mit?", fragte Toni. „Nein, sie schaut ins Krankenhaus nach dem Mädchen. Vielleicht ist so schon aufgewacht", meinte Andreas. Toni nickte und hielt sich am Griff seines Sitzes fest, als Michi abhob. Tobias grinste ihn an. „Was ist, wenn dort gar niemand ist?", fragte Tobias. Andreas zuckte mit den Schultern: „Dann haben wir es wenigstens probiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Mädchen alleine war." Tobias nickte und schaute nach vorne. Die vier Bergretter umflogen den Stoderzinken und landeten schließlich bei der Steilwand. Toni stieg als erster aus und schnappte sich die Puppe. Er verfrachtete sie gleich in den Heli, damit er sie nachher nicht wieder vergaß. Alle vier kletterten auf den kleinen Steinhügel, der direkt unter der Steilwand. Sie standen an der Stelle, an der sie das Mädchen gefunden hatte. „Wonach suchen wir eigentlich?", fragte Michael. „Nach allem was darauf hindeutet, dass hier jemand war", sagte Andreas und schaute sich um. „Meinst du etwa sowas wie eine Jacke?", fragte Toni. Andreas nickte. Er schaute in die Richtung, in die Toni sah und entdeckte eine gelbe Jacke, etwas abseits des Hügels. Tobias und Andreas rannten sofort zu der Stelle und schauten sich die Jacke genauer an. „Denkst du die Jacke gehört dem Mädchen?", fragte Tobias nachdenklich. Andreas zuckte mit den Schultern und schaute sich die Jacke genauer an. Er drehte sie um und bemerkte, dass Blut daran klebte. Michi und Toni liefen zu den beiden. Andreas drückte Michi die Jacke in die Hand. „Leg die in den Heli. Wir müssen im Krankenhaus testen lassen, ob das das Blut von dem Mädchen ist." Michi nickte. „Okay, also ich schlage vor, dass Tobias und ich die Steilwand hinaufklettern." „Wieso denn hinauf? Wenn hier jemand war und das Mädchen gefunden hat, dann wir er doch bestimmt ins Tal runter sein, oder?", fragte Toni. „Oder hinauf. Hier ist kein Handyempfang und oben gibt es Empfang", meinte Tobias. Andreas und Tobias machten sich bereit für den Aufstieg. „Ihr beide sucht den Weg ins Tal ab", sagte Andreas. „Mit dem Heli oder zu Fuß?", fragte Michi. „Zu Fuß!", rief Toni sofort. Andreas lachte: „Das könnt ihr euch aussuchen, aber ich denke, dass es zu Fuß mehr bringen wird, weil hier sehr viele Bäume sind." Michi nickte und ging mit Toni zum Heli um sich die Rucksäcke zu holen. „Auf geht's", sagte Tobias und schwang sich als erster ins Vergnügen.

Jessica machte eine Vollbremsung vor dem Krankenhaus. Sie hatte ihr Handy zwischen Schulter und Ohr klemmen. „Nein, ich komme heute nicht zum Essen", sagte sie. Sie stieg aus und versperrte das Auto. „Ich bin gerade im Krankenhaus", rief sie ins Handy. „Was? Nein! Mir ist nichts passiert. Wir hatten heute einen Einsatz und haben ein Mädchen gefunden. Ich wollte nur nach ihr sehen. Emilie, ich melde mich später, ja?", sagte sie und legte auf. Sie lief zum Eingang und ging in die große Eingangshalle. Der Duft von Desinfektionsmittel stieg ihr sofort in die Nase. Als sie mitten in der Halle stand, drehte sie sich einmal im Kreis. Sie kam sich ziemlich verloren vor ohne Andreas oder den anderen. Sie war noch nicht sehr lange in Ramsau und kannte sich im Klinikum Schladming noch nicht wirklich aus. Sie suchte nach Verena oder irgendjemand anderen der ihr helfen konnte. Als sie niemanden entdeckte ging sie zum Aufzug. Sie fuhr in den zweiten Stock in die Kinderstation. Sie stieg aus dem Aufzug und schaute sich genauso verzweifelt wie in der Halle eben um. Eine Stationsschwester kam auf sie zu grüßte sie ganz freundlich. „Entschuldigung?", fragte Jessica. Die Schwester lächelte sie freundlich an. „Heute Morgen ist ein junges Mädchen mit dem Helikopter hier eingeliefert worden. Wissen Sie zufällig wo sie gerade ist?" Die Schwester überlegte kurz, dann schien sie sich zu erinnern. „Ja, das Mädchen aus dem Berg. Sie befindet sich noch auf der Intensivstation." „Kann ich zu ihr?", fragte Jessica. „Sind Sie die Mutter?", fragte die Schwester hoffnungsvoll. Jessica schüttelte den Kopf: „Nein, ich bin sozusagen ihre Retterin." Sie deutete auf das Schild „Bergrettungsdienst Österreich" das an ihrer roten Jacke angebracht war. „Tut mir Leid, da müssen sie mit ihrer behandelnden Ärztin sprechen", sagte die Schwester. „Und wer ist das?", fragte Jessica schon leicht genervt. Die Schwester zuckte mit den Schultern: „Tut mir Leid, das weiß ich leider nicht. Ich bin nur auf dieser Station tätig. Plötzlich ging eine der Türen der Zimmer auf und ein kleiner Junge mit kahlem Kopf, schob sich mit seinem Rollstuhl heraus. Ihm folgte eine junge Frau, welche wohl seine Mutter war. Jessica starrte den Jungen nachdenklich an und fasste sich automatisch auf ihren Bauch. „Geht es Ihnen nicht gut?", fragte die Schwester. Jessica erschrak und sagte schnell: „Nein, nein. Alles bestens." „Sind Sie sicher? Sie sind ziemlich blass", fragte die Schwester freundlich. Sie schaute in die Richtung, in die Jessica schaute. Sie drehte sich wieder zu Jessica um und senkte ihr Stimme: „Das ist Raphael. Er hat Krebs." Jessica schluckte und nickte. Sie stellte sich gerade vor, wie es sich anfühlen würde, wenn sie ein Kind hätte und es Krebs hätte. Ihr tat die Frau plötzlich so unendlich leid. Sie riss sich aus ihren Gedanken und sagte: „Danke für Ihre Hilfe. Ich muss jetzt gehen." Die Schwester nickte. Jessica verabschiedete sich und ging schnell zum Aufzug.

„Ich wusste gar nicht mehr, dass Klettern so anstrengend sein kann", sagte Tobias keuchend. Andreas stand schon oben und feuerte seinen Freund an. „Du bist einfach aus der Übung. Emilie tut dir nicht gut, sie fesselt dich a nur ans Bett." Wenn Tobias könnte, hätte er Andreas jetzt einen freundschaftlichen Schlaf verpasst. Er hing noch immer in der Steilwand. „Komm jetzt! Oder willst du den ganzen Tag hier rumhängen?", fragte Andreas. Tobias kletterte die letzten Meter nach oben und nahm dann Andreas' Hand. Andreas stopfte gerade das Sicherungsseil des Mädchens in seinen Rucksack. „Gehörte ihr das?", fragte Tobias. Andreas nickte: „Das nehme ich an. Aber weißt du was mir aufgefallen ist? Das Mädchen ist die Steilwand hinunter und nicht hoch. Es war hier an einem Stein befestigt." Tobias schaute nachdenklich die Wand hinunter und dann wieder zu Andreas. „Das heißt sie müsste eigentlich von wo anders gekommen sie. Der einzige Weg hier rauf wäre dann eigentlich nur der über die Kreisachtalhütte." Andreas nickte: „Ja, da hast du Recht. Lass uns den Weg mal absuchen. Vielleicht finden wir weiter unten am Parkplatz mehr." Tobias nickte und setzte sich in Bewegung.

„Wonach suchen wir eigentlich?", fragte Toni. Michi zuckte mit den Schultern. „Eigentlich machen wir das ja nur weil Andreas mal wieder so eine Ahnung hat", murrte Toni. „Ja, aber Andreas hat schon Recht. Das Ganze passt nicht zusammen. Und am Ende hat Andreas einfach zu oft Recht." Toni nickte: „ Das stimmt allerdings. Er hat irgendwie so ein Gefühl für das Ganze." Die beiden liefen den Weg entlang.

„Dürfen wir mitfahren?", fragte plötzlich eine junge Stimme. Bevor sich die Tür des Aufzuges schließen konnte, stellte Jessica ihren Fuß hinein. Die Tür öffnete sich wieder und der Junge mit dem Rollstuhl und seine Mutter kamen in den Aufzug. Jessica schluckte und machte Platz. „In welchen Stock möchten Sie denn?" fragte sie. „Ins Erdgeschoss", sagte die junge Frau freundlich. Jessica drückte den Knopf. Der Junge im Rollstuhl schaute sie bewundernd an. „Bist du bei der Bergrettung?", fragte er. Jessica lächelte ihn an: „Ja, bin ich." „Kannst du Hubschrauber fliegen?", fragte er. Jessica schüttelte den Kopf: „Nein, aber ein Freund von mir kann das. Magst du Hubschrauber?" Der Junge nickte heftig. Die Mutter lachte: „Ja, Raphael hat einen ganzen Schrank voll mit Hubschrauber zu Hause." „Ich will mal Pilot werden", sagte Raphael zuversichtlich. Jessica lächelte. Sie schaute seine Mutter, die plötzlich ihren Sohn ganz traurig anschaute. Jessica wusste woran sie jetzt dachte. Plötzlich machte es Pling und der Aufzug blieb im Erdgeschoss stehen. Jessica war so vertieft in ihre Gedanken und an das Gespräch mit dem Jungen, dass sie vergessen hatte, auszusteigen. Der Junge verabschiedete sich und er und seine Mutter stiegen aus. Jessica drückte schnell auf die 3 und fuhr wieder hinauf. Sie musste unbedingt Verena finden. Sie stieg im dritten Stock aus und ging zur Station, auf der Verena arbeitete. Sie fragte eine Schwester. „Doktor Auerbach ist gerade im OP, aber sie müsste bald zurück kommen", sagte die Schwester. „Gut danke. Dann warte ich hier." Jessica ging zum Kaffeeautomaten und drückte sich eine heiße Schokolade herunter. Sie setzte sich auf einen der Stühle im Aufenthaltsraum.

„Hast du was?", rief Tobias Andreas zu. Dieser schüttelte den Kopf. „Das gibt's doch nicht! Hier muss doch irgendjemand sein!" Andreas lief zu seinem Freund: „Die einzige Hoffnung ist jetzt noch der Parkplatz. Vielleicht finden wir dort ein Auto oder irgendetwas, was auf den Unfall hindeutet." „Michael für Andreas", sagte Andreas in sein Funkgerät. „Michi hört!", sagte Michi am anderen Ende. „Habt ihr schon irgendetwas gefunden?" „Negativ. Wir laufen gerade den Weg ins Tal hinunter. Wir haben gar nichts gefunden. Wie schaut's bei euch aus?" „Auch nichts. Wir suchen jetzt noch den Parkplatz ab." Tobias konnte den Parkplatz schon von Weitem sehen. „Also wenn du auf diesem Parkplatz einen Hinweis findest, dann bist du echt gut." Es standen gut 20 Autos nebeneinander. Andreas hörte gar nicht auf Tobias sondern steuerte zielstrebig auf das erste Auto zu. „Das hat doch keinen Sinn!", rief Tobias. Andreas schaute in die winzigen Fenster der Autos und versuchte etwas zu erkennen. Als er alles abgesucht hatte, war er immer noch nicht schlauer. „Vielleicht hat sich schon jemand im Krankenhaus gemeldet und Hilfe angefordert. Oder vielleicht war das Mädchen wirklich alleine unterwegs. Das hat keinen Sinn mehr. Wir wissen nicht mal wen wir suchen." Andreas begann es einzusehen und nickte: „Also gut. Ich sage Michael er soll uns hier abholen."

Die Bergretter - Verschollen und VergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt