„Micheal für Andreas!", sagte Andreas. „Ja, hier ist Michi", meldete sich Michi sofort. „Könnt ihr uns von der Kreisachtalhütte abholen? Tobias und ich gehen rauf und schauen, ob da jemand ist. Es kann ja sein, dass jemand verletzt ist." „Alles klar. Den restlichen Weg ins Tal kann man mit dem Heli auch abfliegen", sagte Michi. Er warf Toni das Funkgerät hin und sagte: „Du hast es gehört. Den ganzen Weg wieder hinauf." Toni verdrehte die Augen und drehte auf der Stelle um. „Hab ich das richtig verstanden? Wir suchen irgendjemanden, irgendwo wegen irgendwas." Michi überlegte kurz und sagte: „Besser hätte ich das jetzt auch nicht formulieren können." Toni schüttelte den Kopf. Manchmal wunderte er sich wirklich, wie sie die Leute immer aus dem Berg bekommen bei diesen Informationen. Da sah man mal wieder was für ein tolles Team sie waren.
Jessica saß noch immer im Aufenthaltsraum. Nachdenklich starrte sie in ihre Heiße Schokoladen, die natürlich schon längst kalt war. Es kam ihr so vor, als würde sie schon eine Ewigkeit hier sitzen. Sie war so in Gedanke, dass sie nicht einmal mehr wusste, warum sie eigentlich hier war. Der Anblick des kleinen Jungen hat sie geschockt, dass sie alles vergessen hatte. Sie ließ sich zurück in den Stuhl fallen und legte schützend eine Hand auf ihren Bauch. Mit leerem Blick starrte sie in die Ferne und dachte die ganze Zeit darüber nach, wo sie jetzt stehen würde, wenn das damals nicht passiert wäre. Sie kniff ihre Augen zusammen und versuchte die Tränen, die sich in ihrem Augenwinkel anbahnten, zurückzuhalten. Sie schaffte es aber nicht ganz und eine Träne kullerte ihre Wange hinunter. Sie bemerkte gar nicht, dass Verena auf sie zu kam. „Jessica?", fragte sie. Jessica zuckte zusammen und ließ ihren Kakaobecher fallen. Sie riss die Augen auf und starrte Verena erschrocken an. Verena lachte und sagte: „Schmeckt der Kakao hier wirklich so schrecklich?" Jessica sagte nichts darauf. Als Verena ihren Gesichtsausdruck sah, schaute sie sie ernst an und fragte: „Alles in Ordnung? Ist was passiert?" Jessica schüttelte den Kopf und räusperte sich: „Nein, alles gut." Ihre Stimme zitterte ein bisschen und sie hatte noch immer ihre Hand auf ihrem Bauch. „Bist du dir sicher? Du siehst blass aus", sagte Verena. Jessica nickte: „Ja ganz sicher. Ich war nur eben in Gedanken." Verena gab sich mit dieser Antwort zufrieden. „Die Schwester hat mir gesagt, dass du mich suchst", sagte sie. Jessica nickte und plötzlich fiel ihr wieder ein, warum sie überhaupt hier war. „Ja, stimmt. Es geht um das Mädchen von heute Morgen." Verena nickte: „Tut mir leid, ich kann dir leider nichts Neues sagen. Sie ist noch nicht aufgewacht." Jessica stand auf und folgte Verena. Sie gingen durch die ganze Station und bogen schließlich rechts in die Intensivstation ab. „Okay, kannst du uns vielleicht Bescheid sagen, wenn sie aufwacht?", fragte Jessica. Verena nickte: „Klar, aber warum wollt ihr das eigentlich wissen? Normalerweise liefert ihr die Patienten nur hier ab." „Bei diesem Mädchen ist das etwas komplizierter. Die Jungs vermuten, dass sie nicht alleine im Berg war. Hat sich denn schon irgendjemand gemeldet?", fragte Jessica. Verena schüttelte den Kopf: „Nein, aber der Unfall ist auch erst heute Morgen passiert." Die beiden hielten vor einem Krankenzimmer mit Fenster an. Das Mädchen lag ganz ruhig in ihrem Bett und rührte sich nicht. Sie war an hunderte von Geräten angeschlossen.
Andreas und Tobias konnten die Hütte schon von Weitem sehen. „Sieht ziemlich verlassen aus", sagte Tobias. Andreas nickte: „Das muss aber nichts heißen. Komm, wir schauen uns die Hütte erst mal genauer an." Tobias nickte und lief Andreas hinterher. „Hallo?!", rief Andreas schon von weitem. „Ist da jemand?!", rief jetzt auch Tobias. Andreas lief zu einem der Fenster der Hütte und starrte hinein. Die Hütte war komplett verlassen. Tobias lief zur Tür und versuchte sie irgendwie aufzumachen. Er ruckelte an der Türschnalle, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Andreas warf einen Blick und die Fußmatte und entdeckte den Schlüssel. Er hielt ihn Tobias und die Nase und sagte: „Bevor du hier noch was beschädigst, probier's mal damit." Tobias nahm den Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Er drehte zweimal um und sperrte die Tür auf. Die Hütte war ziemlich klein. Als die beiden hineingingen, stieg ihnen ein Mief in die Nase. „Hier war auch schon länger niemand", stellte Andreas fest. Tobias nickte und hielt sich die Nase zu. Sie schauten in alle Zimmer, fanden aber niemanden. „Lass uns gehen. Hier ist niemand", sagte Andreas und ging nach draußen.
„Alles einsteigen bitte", sagte Michi und setzte sich in seinen Heli. Toni setzte sich neben ihn und atmete tief durch. Michi startete den Helikopter und hob ab.
Verena und Jessica standen noch immer vor dem Zimmer des Mädchens und unterhielten sich. „Was ist denn so besonders an dem Mädchen?", fragte Verena. Jessica zuckte mit den Schulter: „Es ist nur so, dass das Mädchen keine Sachen bei sich hatte. Sie wird wohl kaum ohne Ausrüstung klettern gegangen sein. Sie hatte weder einen Rucksack, noch ein zweites Sicherungsseil bei sich. Es musste noch jemand bei ihr gewesen sein." Verena begann das Ganze zu begreifen und sagte: „Und jetzt wollt ihr sie fragen, ob noch jemand dabei war?" Jessica nickte. „Ihr könnt froh sein, wenn sie sich an den Tag des Unfalls erinnern kann. Sie hat ein starkes Schädelhirntrauma", sagte Verena. Jessica nickte: „Mich wundert es, dass sie den Sturz überhaupt überlebt hat. Sie ist aus einer sehr großen Höhe gefallen." „Sie hatte wohl einige Schutzengel bei sich", meinte Verena. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und sagte: „Ich hab gleich wieder eine OP. Tut mir leid." Jessica winkte ab: „Nicht so schlimm. Ich muss ohnehin wieder in die Zentrale. Ciao." Jessicas und Verenas Wege trennten sich. Jessica versuchte sich im Krankenhaus zurecht zu finden. Sie fand aber ziemlich schnell den Ausgang, stieg in ihr Auto und fuhr zurück nach Ramsau in die Zentrale.
Michi hatte Andreas und Tobias aufgegabelt. Gemeinsam suchten sie jetzt von der Luft den Weg ab. Sie flogen circa eine Stunde den ganzen Stoderzinken ab, fanden aber nichts. „Das hat keinen Sinn. Wir brauchen mehr Informationen. Flieg zurück zum Heliport", sagte Andreas. Michi nickte: „Endlich mal jemand, der meine Meinung teilt." Er flog auf kürzesten Weg zurück zum Heliport. Dort angekommen wartete Rudi schon. „Na endlich! Ich dachte schon es wäre etwas passiert!", rief Rudi. „Seit wann machst du dir denn Sorgen um mich?", fragte Michi. „Wer redet denn von dir? Ich mach mir Sorgen um den Helikopter!", rief Rudi. Michi schüttelte den Kopf. „Was machen wir jetzt?", fragte Toni. „Zurück in die Zentrale. Ich will mir erst einmal anhören, was Jessica zu sagen hat und dann müssen wir uns irgendetwas einfallen lassen." Die Vier sprangen in das Auto der Bergrettung und fuhren zurück in die Zentrale. Jessica saß am Schreibtisch und starrte ins Leere. Als Andreas zur Tür herein kam, zuckte sie zusammen. Er lächelte sie an und küsste sie. „Alles klar?", fragte er. Jessica nickte nur. Die Vier setzten sich an den Tisch der Zentrale. Jessica erhob sich von ihrem Stuhl und ging zu den Männern hinüber. „Gibt's was Neues von dem Mädchen?", fragte Toni. Jessica schüttelte den Kopf: „Nein. Sie ist noch nicht aufgewacht und Verena meinte, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie sich an den Tag des Unfalls erinnern kann. Sie ruft uns an, wenn sie etwas Neues weiß." „Scheiße", sagten Andreas und Michi gleichzeitig. „Was sollen wir denn jetzt tun? Ohne einen neuen Anhaltspunkt bringt uns das Ganze nichts. Außerdem wissen wir doch nicht einmal ob wirklich jemand vermisst wird." Plötzlich fiel Andreas etwas ein: „Die Jacke! Michi, liegt die noch bei dir im Heli?" Michi nickte: „Ja, die hab ich ganz vergessen." Andreas schaute Tobias triumphierend an: „Wenn das Blut auf der Jacke nicht von dem Mädchen stammt, dann haben wir einen Beweis, dass sie nicht alleine war." Tobias nickte: „Okay, dann sollte das aber so schnell wie möglich passieren. Heute haben wir nicht mehr viel Zeit. In 3 Stunden geht die Sonne untern." „Gut, dann werde ich gleich die Jacke ins Krankenhaus bringen. Wenn ich Verena nett frage, dann wird sie das schon erledigen", sagte Andreas und grinste. „Das kann ich aber auch für dich erledigen", unterbrach ihn Michi. Toni grinste Michi an, sagte aber nichts. Als Michi auffiel, dass ihn alle anstarrten, fügte er noch hinzu: „Ich meine, wenn du noch was zu tun hast. Nicht das du dich überanstrengst." Andreas grinste: „Ja, ist klar." Michi wurde rot.
Plötzlich stürmte ein Mann in die Zentrale der Bergrettung. „Ich brauche Hilfe!", rief er. Jessica war sofort zu Stelle. „Was ist denn passiert?", fragte sie. Der Mann war ganz außer Atem. Andreas sprang von einem Stuhl auf und rannte zu dem Mann. „Wie können wir Ihnen helfen?", fragte er. „Ich... ich möchte jemand als vermisst melden!"

DU LIEST GERADE
Die Bergretter - Verschollen und Vergessen
PertualanganÜbungstag bei den Bergrettern. Toni Stössl hängt am Seil und muss eine Puppe bergen. Beim Rückflug entdecken die Bergretter ein Mädchen unterhalb einer gefährlichen Steilwand. Sie scheint abgestürzt zu sein. Ohne Gedächtnis wacht sie im Krankenhaus...