Versagt

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Während ich in meiner Vergangenheit wühlte und sie niederschrieb, bewegte ich mich von meinem Ziel gesund zu werden minütlich weiter weg. Recovery. Großes Wort.

Ich war zwar zu der Zeit, wie zu Beginn erwähnt, im Normalgewicht, mein Essverhalten allerdings ganz und gar nicht, ebenso meine Gedanken nicht.

Ich scheiterte täglich bei dem Versuch normal zu essen, hungerte den halben Tag und stopfte dann halb unter Tränen alles in mich rein, um es anschließend zu bereuen.

Meine Probleme häuften sich, psychisch, physisch und familiär. All diese Gedanken und Situationen führten mich zu dem Entschluss, den ich gefasst hatte: ich konnte und würde zu der Zeit nicht recovern.

Ich hatte versagte und Ana hatte mich überredet, mit all ihrem wutentbrannten Geschrei und mit all ihren liebevollen, überzeugenden Worten. Und verdammt sie hatte recht! Sie gefährdete mich zu dem Zeitpunkt am wenigsten von allem Unheil in meinem Kopf, dazu gab es Wichtigeres, worum ich mich da gerade kümmern sollte.

Mein Abitur stand kurz bevor, meine Depressionen wurden schlimmer und familiär sah es gar nicht gut aus.

Alles lief wieder aus der Bahn, die Panikattacken überfluteten mich mitten in der Schule, mitten in der Stadt, zuhause, überall und auch mein Körper spielte mir Streiche. Ana versprach mir Kontrolle, Freude und Erfolge, die sonst nicht in Aussicht waren. Natürlich wollte ich mich nicht weiter auf sie einlassen und ich hatte mir fest vorgenommen, es sobald ich anderes überwunden habe, nochmal zu versuchen und sie endgültig hinter mir zu lassen. Aber gerade konnte ich es nicht. Ich war noch nicht bereit.

An dem Tag wurde sie wieder meine beste Freundin. Summte mir beruhigende Lieder, als ich wieder Angst hatte. Umarmte mich lobend, wenn mein Magen knurrte und hielt beschützend meine Hand, als ich, anstatt im Unterricht, mit Übelkeit, Schwindel und Panik auf der Schultoilette saß. Sie redete mir gut zu. Wir stellten gemeinsam Wochenpläne zusammen. So gut hat sie mir selten getan. Und so lang ich mich an die Kalorienvorgabe hielt, schrie sie nicht. Sie schüttelte zwar verständnislos und vorwurfsvoll den Kopf, aber schwieg, so als sei sie froh, dass ich überhaupt zur Einsicht gekommen war, dass ich sie brauchte.

Zart wie eine Feder - Ana oder Recovery (Reload)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt