3. Dunkelheit

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Nach etwa einer halben Stunde Fahrt hörte man auf dem Gang einen kleinen Tumult, dann tauchte Viviens blonder Haarschopf in der Abteiltür auf. Sie grinste uns zu, dann wandte sie den Kopf um. »Sie sind hier. Sylvia?«
Hinter ihr kämpfte sich Sylvia durch eine Gruppe von Erstklässlern. Vivien hielt ihr die Tür auf.
»Diese kleinen Kinder machen mich noch fertig«, stöhnte Sylvia und zerrte ihren Koffer und den leeren Eulenkäfig ins Abteil. Gemeinsam hoben wir das Gepäck auf die Ablage, während Vivien die Abteiltür hinter sich schloss und sich mit ihrem Waldkauz auf der Schulter auf einen der Sitze am Fenster niederließ. Tara und ich blickten uns einen Moment lang an - dann stürzen wir beide zu dem verbliebenen Fensterplatz. Nach einem kurzen Gerangel fand ich mich halb unter Tara begraben, aber triumphierend auf dem Platz am Fenster wieder.
»Leute, ihr sollt euch doch nicht umbringen, bevor wir überhaupt in Hogwarts angekommen sind«, sagte Sylvia. »Jetzt wird Pflege magischer Geschöpfe doch erst richtig spannend. Allein die Bücher sind ja schon genial.«
»Welche Bücher?«, wollte Tara wissen. Sie hatte Pflege magischer Geschöpfe letztes Jahr abgewählt.
Ich schob meine beste Freundin von meinem Schoß, ehe ich ihr antwortete: »Diese Monsterbücher, die sich bei Flourish und Blotts in ihrem riesigen Käfig gegenseitig zerfetzt haben.«
»Cool«, meinte Tara.
»Glaubst du auch nur, bis sie versuchen, dir die Finger abzureißen, sobald du sie öffnest«, entgegnete ich.
»Also wenn ihr mich fragt dreht der gute alte Kesselbrand langsam ein bisschen durch«, sagte Vivien gelassen und sah aus dem Fenster.
»Wo ist Gwenog?«, fragte ich mit einem Blick auf Sylvias leeren Eulenkäfig. Normalerweise saß darin ein dunkelbrauner Sperlingskauz.
»Sie ist unruhig geworden, also hab ich sie rausgelassen.«
»Eigentlich keine schlechte Idee.« Ich öffnete Sams Käfig und schob das Fenster auf. Er blickte mich einen Moment lang mit leicht schräg gelegtem Kopf an, ehe er mir auf die Hand hüpfte und dann aus dem Fenster flog. Viviens Eule jedoch blieb ruhig auf ihrer Schulter sitzen und blinzelte lediglich schläfrig.
Silver war, wie Vivien selbst, die Ruhe in Person. Ich hatte selten eine so gutmütige wie faule Eule erlebt.
Um eins kam der Imbisswagen an unserem Abteil vorbei. Inzwischen ziemlich hungrig, kauften wir uns eine Menge Kürbispasteten und deckten uns zusätzlich mit Süßigkeiten ein.
Einen Berg von Schokofröschen um mich herum verstreut, erzählte ich meinen Freundinnen begeistert von dem Quidditch-Spiel der Appleby Arrows gegen die Wigtown Wanderers, das ich in den Ferien gesehen hatte. Wie zu erwarten, waren Sylvia und ich bald in ein hitziges Gespräch über Quidditch vertieft. Sylvia war leidenschaftlicher Fan der Holyhead Harpies, während ich für die Arrows schwärmte. Unsere Diskussion wurde abrupt von Tara unterbrochen, die hustend eine Bertie Botts Bohne hervorwürgte und anschließend in einen heiseren Lachanfall ausbrach. Erst nach Minuten war sie im Stande, uns mitteilen, die Bohne habe nach ›verbranntem Besen‹ geschmeckt. Woher Tara wusste, wie ein verbrannter Besen schmeckte, wollte ich lieber nicht wissen und es fragte auch keiner nach.
Vivien erzählte von ihren Ferien, die sie bei ihren Großeltern in Schweden verbracht hatte und unterhielt uns prächtig mit Anekdoten ihres Großvaters, der ihnen jedes Jahr von seinem legendären Trip mit den Drachenjägern von Ljusdal erzählte - nur hatte es in dieser Gegend noch nie Drachen gegeben, wie Vivien herausgefunden hatte.
Wir gingen dazu über, alte Urlaubsgeschichten zum Besten zu geben, und es war sehr unterhaltsam. Sylvia erzählte von einem ihrer Brüder, der beim Camping in Alaska seinen Besen angezündet hatte (Tara brach in einen stummen Kicheranfall aus), da er kein Brennholz gefunden hatte - warum er keinen Aufrufezauber benutzt hatte, war der Familie bis heute ein Rätsel.
Vivien hatte sich träge in ihren Sitz zurückgelehnt und folgte schweigend Taras Erzählung über ihren diesjährigen Ungarn-Urlaub. Irgendwann schloss sie die Augen.
Auch ich hatte es mir gemütlich gemacht. Die Kapuze über die Haare gezogen lehnte ich am Fenster. Mit der Zeit beteiligte ich mich immer weniger an dem Gespräch und lauschte schließlich nur noch aus dem Fenster blickend meinen beiden Freundinnen, die inzwischen darüber diskutierten, wie man einen Ungarischen Hornschwanz am unauffälligsten ins Land einschmuggeln könnte.
Das Wetter wurde schlechter. Dunkle, tief hängende Wolken ließen die Außenwelt trostlos und düster erscheinen. Irgendwann begann es zu regnen. Wassertropfen rannen die kühle Glasscheibe hinab, gegen die ich meinen Kopf gelehnt hatte. Die grauen Schlieren, die über das Land zogen, schienen sich mit meinen Geist vermischen und langsam sank ich in eine graue Welt voller dunkler Schwaden und trostloser Düsterheit.

Flying high means falling farWo Geschichten leben. Entdecke jetzt