4. Ankunft

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Der Weg zum Schloss war ungemütlich. Holpernd fuhren die Kutschen durch Pfützen, während die verlassenen Läden von Hogsmeade an uns vorbeizogen. Der kalte Wind peitschte immer wieder Regen ins Innere der Kutsche.
Schweigend fuhren wir über nasse Straßen, während mir das Bild von Oliver Wood, der starr und mit ausdrucksloser Miene im kalten Regen stand, nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Metallwand der Kutsche und versuchte, durch das Fenster den Umriss des Schlosses auszumachen, doch durch den Regen war nichts zu erkennen.
Wir rollten weiter bergauf, bis sich schließlich aus dem undurchdringlichen Grau die im Regen glänzenden Silhouetten der beiden geflügelten Eber zu beiden Seiten des schweren Eisentores lösten. Als wir die mächtigen steinernen Säulen passierten, spürte ich, wie sich erneut Kälte über mich legte und wandte mich auf der Holzbank um. Dort, die Torflügel zu beiden Seiten flankierend, standen zwei Dementoren Wache.
Ich erschauderte unwillkürlich und Sylvia warf mit einen düsteren, vielsagenden Blick zu.
Endlich kam das Schloss in Sicht und die Kutschen kamen schließlich ruckelnd vor der langen Steintreppe zum Stehen. Wir stiegen aus und machten uns auf den Weg die Schlosstreppe empor. Als wir durch das schwere Eichenportal ins Innere des Schlosses traten, empfing uns die vertraute Wärme der großen Eingangshalle. Ich nahm die Kapuze ab und sah mich um. Die Fackeln tauchten die Halle in ein warmes, flackerndes Licht, das sich in den leeren Stundengläsern spiegelte, die im Laufe des Schuljahres den Punktestand der jeweiligen Häuser anzeigen würden.
Die Tür zu unserer Rechten schwang auf. Wir schlossen uns der Schülerschar an, die nun in die Große Halle strömte, und nahmen unsere Stammplätze am hinteren Drittel des Ravenclaw-Tisches ein. Zu unserer Linken und Rechten nahmen die Hufflepuffs und Gryffindors an ihren jeweiligen Haustischen Platz. Der Lärm in der Halle schwoll an. Ich blickte nach oben zu der verzauberten Decke, die einen dunklen, fast schwarzen Ton angenommen hatte und von dichten Wolken verhangen war.
Tara stieß mich leicht in die Seite.
»Au«, sagte ich vorwurfsvoll, mehr aus Gewohnheit, als aus Schmerz. »Was?«
Sie nickte zum Lehrertisch. Ich folgte ihrem Blick und erkannte dort ein unbekanntes Gesicht. Es gehörte zu einem müde aussehenden Mann mit hellbraunen Haaren, die, obwohl sein Gesicht recht jung wirkte, vereinzelt von grauen Strähnen durchzogen waren. Er ließ seinen Blick mit einem leisen Lächeln auf den Lippen durch die Halle schweifen.
»Also ich bewundere Dumbledore ja dafür, wie er jedes Jahr wieder einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Künste auftreibt«, bemerkte ich. »Nach dem, was mit unseren letzten beiden Lehrern passiert ist, glaube ich nicht, dass irgendjemand scharf auf den Job ist.«
»Außer Snape«, warf Sylvia mit Blick auf den Zaubertrank-Lehrer ein.
»Außer Snape«, bestätigte ich.
»Was meint ihr wie sein Unterricht wird?«, fragte Tara, den Blick nach wie vor auf den neuen Lehrer geheftet.
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Aber schlimmer als Lockhart kann er nicht werden.«
»Schlimmer geht immer«, meinte Vivien gelassen.
»Schlimmer als Lockhart? Na viel Spaß uns«, bemerkte Sylvia. »Lockhart hat es letztes Jahr ernsthaft hinbekommen, sein eigenes Gedächtnis zu löschen. Wenn unser neuer Lehrer noch unfähiger ist, streike ich.«
»Ich mach mit«, stimmte ich ihr zu.
»Ich glaub nicht, dass er so unfähig ist«, meinte Tara. »Sieht doch ziemlich seriös aus.«
»Neben Lockhart wirkt auch Luna Lovegood seriös«, erwiderte Sylvia.
»Nicht so laut«, sagte ich warnend und sah an unserem Tisch entlang, auf der Suche nach der Zweitklässlerin.
»Ich hab ja nichts gegen sie«, entgegnete Sylvia, die keine Anstalten machte ihre Stimme auch nur im Geringsten zu senken. »Ich finde nur, dass sie eben ein bisschen ... nun ja ... anders ist.«
»Verrückt?«, half Tara nach.
»Das hast jetzt du gesagt«, meinte Sylvia unschuldig grinsend. »Aber wenn man ›verrückt‹ als negative Eigenschaft sieht, dann solltest du dich auf jeden Fall genauso beleidigt fühlen.«
»Hey-«
Die Tür der Großen Halle schwang auf und herein kam Professor McGonagall, gefolgt von einer Schar verängstigt wirkender Erstklässler. Die Gespräche in der Halle verstummten. Nur noch vereinzelt waren gedämpfte Stimmen zu hören. Unzählige Augenpaare folgten den Neuankömmlingen, die mit eingeschüchterten Mienen an den Haustischen vorbeiliefen. Vor dem Lehrertisch angekommen stellten sie sich, die Gesichter den anderen Schülern zugewandt, in einer Reihe auf, während Professor McGonagall den alten, dreibeinigen Stuhl mit dem Sprechenden Hut herbeitrug und vor die Erstklässler stellte. Für einen Moment herrschte Stille in der Halle. Alle Augen waren auf den zerschlissenen Hut gerichtet. Dann öffnete sich ein Riss knapp oberhalb der Krempe und der Hut begann zu singen.
Nachdem der Sprechende Hut sein Lied beendet hatte, brandete Beifall auf. Professor McGonagall rollte ein langes Pergament auf und jäh senkte sich Stille über die Halle. Doch im Vergleich zu vorhin gab es kein vereinzeltes Getuschel. Ausnahmslos alle Schüler blicken gespannt nach vorne und warteten darauf, dass Professor McGonagall den ersten Namen vorlas. Ich beugte mich gebannt vor.
»Acett, Emilia!« Ein kleines Mädchen mit langen, blonden Haaren und sehr hellen Augen trat zögernd vor. Sie nahm auf dem Stuhl Platz und Professor McGonagall setzte ihr den Sprechenden Hut auf den Kopf. Sogleich rutschte er ihr über die Augen. Für einige Sekunden herrschte Stille.
»SLYTHERIN!«, rief der Hut aus und der Tisch ganz rechts brach in Jubelschreie aus.
Während Emilia hastig zum Slytherin-Tisch hinüberging, fragte ich mich, ob sie wohl wusste, was sie in diesem Haus erwartete. Ob sie wohl wusste, wie sich ihr Charakter verändern würde?
»Albert, Merena!« Ein zierlich wirkendes dunkelhäutiges Mädchen trat vor setzte sich auf den Stuhl. Der Hut rutschte ihr über die Augen und-
»HUFFLEPUFF!«
Die Huffelpuffs vom Tisch nebenan applaudierten und empfingen die erleichtert wirkende Merena freundlich.
»Bahden, Thomas!«
»HUFFLEPUFF!«
»Wird Zeit, dass mal jemand zu uns kommt, oder?«, raunte Tara mir zu, während »Chavel, Sarah« zu einer Gryffindor gekürt wurde.
»Drees, Philip!«
»RAVENCLAW!«
Ich stimmte in den begeisterten Applaus ein, als Philip sich zu uns an den Tisch setzte.
»Fields, Marik!«
Es dauerte einige Sekunden, bis ein Junge mit dunklen Haaren und verwirrtem Gesichtsausdruck aus der Reihe stolperte und sich auf den Stuhl setzte.
»Was schätzt ihr? In welches Haus kommt er?«, flüsterte Sylvia.
Tara musterte den Jungen abschätzend. »Hufflepuff.«
»Würde ich auch sagen«, stimmte Sylvia zu.
»GRYFFINDOR!«
»Was?!«, rief Sylvia ungläubig und erntete dafür einige schiefe Blicke von den anderen Ravenclaws. Als der nächste Name vorgelesen wurde, lachte ich immer noch über Sylvia, die weiterhin halblaut vor sich hinmurmelnd behauptete, Marik hätte viel besser nach Hufflepuff gepasst.
Weitere Schüler wurden aufgerufen und ihren Häusern zugeteilt, während wir Vermutungen über ebendiese Häuserzuteilungen anstellten.
»Oyen, Mark!«
Ein sehr kleiner Junge mit verwuschelten, rotblonden Haaren trat vor und setzte sich auf den Stuhl. Seine Beine baumelten leicht in der Luft, während ihm der Hut, den ihm Professor McGonagall aufsetzte, sogleich über die Augen rutschte.
»Nicht Slytherin«, bemerkte Vivien.
»Nein, der gehört zu uns«, stimmte ich zu.
»Jaah und außerdem passt rein farblich gesehen Blau am besten zu seinen Haaren«, meinte Tara.
Ich hatte keine Zeit, etwas zu erwidern, denn in diesem Moment rief der Hut:
»RAVENCLAW!«
»Ja!«, rief Tara und wir stimmten alle in den Applaus ein, der Mark empfing, als er mit leuchtenden Augen und zu unserem Tisch herüberlief. Glücklich setzte er sich auf die Bank und ein unbeschwertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Als schließlich der letzte Schüler, »Whides, Rufus«, dem Haus Slytherin zugeteilt worden war, wurde der Sprechende Hut aus der Halle getragen und Stimmengewirr hob an.
Dann erhob sich Dumbledore und die Schüler verstummen und warteten darauf, dass der Schulleiter seine übliche Begrüßungsrede begann.
»Willkommen!«, sagte Dumbledore und breitete strahlend die Arme aus. »Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Ich habe euch allen einige Dinge mitzuteilen, und da etwas sehr Ernstes darunter ist, halte ich es für das Beste, wenn ich gleich damit herausrücke, denn nach unserem herrlichen Festmahl werdet ihr sicher ein wenig bedröppelt sein ...«
Er räusperte sich und ließ seine Augen hinter der Halbmondbrille durch die Halle schweifen, ehe er fortfuhr:
»Wie ihr mitbekommen habt, ist der Hogwarts-Express durchsucht worden, und ihr wisst inzwischen, dass unsere Schule gegenwärtig einige der Dementoren von Askaban beherbergt, die im Auftrag des Zaubereiministeriums hier sind.«
Also waren es wirklich Dementoren, und sie würden länger bleiben. Ich wechselte einen düsteren Blick mit Tara, ehe ich meinen Blick wieder auf Dumbledore richtete.
»Sie sind an allen Eingängen postiert«, fuhr er fort, »und ich muss euch klar sagen, dass niemand ohne Erlaubnis die Schule verlassen darf, während sie hier sind. Dementoren dürfen nicht mit Tricks oder Verkleidungen zum Narren gehalten werden - nicht einmal mit Tarnumhängen.«
»Als ob irgendjemand auf dieser Schule einen Tarnumhang hätte«, sagte Sylvia.
»Es liegt nicht in der Natur eines Dementors, Bitten oder Ausreden zu verstehen. Ich mahne daher jeden Einzelnen von euch: Gebt ihnen keinen Grund, euch Leid zuzufügen. Ich erwarte von unseren Vertrauensschülern und von unserem Schulsprecherpaar, dass sie dafür sorgen, dass kein Schüler und keine Schülerin den Dementoren in die Quere kommt.«
Dumbledore blickte mit ernstem Gesichtsausdruck in die Runde, dann fuhr er mit fröhlicherer Stimme fort:
»Und nun zu etwas Angenehmeren: Ich freue mich, dieses Jahr zwei neue Lehrer in unseren Reihen begrüßen zu können. Zunächst Professor Lupin, der sich freundlicherweise dazu bereit erklärt hat, die Stelle des Lehrers für Verteidigung gegen die dunklen Künste zu übernehmen.«
Es gab vereinzelt halbherzigen Applaus, ich stimmte der Höflichkeit halber zögernd mit ein, den Blick auf Professor Lupin geheftet.
»Zu unserer zweiten Neuernennung«, fuhr Dumbledore mit etwas lauterer Stimme fort, und der Beifall erstarb. »Nun, es tut mir Leid, euch sagen zu müssen, dass Professor Kesselbrand, unser Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe, Ende letzten Jahres in den Ruhestand getreten ist, um sich noch ein wenig seiner verbliebenen Gliedmaßen zu erfreuen. Jedoch bin ich froh sagen zu können, dass sein Platz von keinem anderen als Rubeus Hagrid eingenommen wird, der sich bereit erklärt hat, diese Lehrtätigkeit zusätzlich zu seinen Pflichten als Wildhüter zu übernehmen.«
Ich wechselte überraschte Blicke mit meinen Freundinnen und stimmte nur zögerlich in den Beifall ein, während vom Gryffindortisch lauter Applaus und Jubelschreie ertönten. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Hagrid war weithin für seine Zuneigung zu gefährlichen Geschöpfen bekannt. Jetzt wurde mir auch die Sache mit dem beißenden Buch klar und ein leicht unwohles Gefühl machte sich in mir breit.
»Abwarten«, sagte Sylvia, die die Bedenken, die auf meinem Gesicht standen, bemerkt hatte. »Erfahrung hat er auf jeden Fall, mal sehen was der Unterricht bringt.«
Das Festmahl war wie immer herrlich. Nach dem Essen machten wir uns auf den vieltreppigen Weg hoch zum Ravenclawturm an der Westseite des Schlosses. Als wir die lange Wendeltreppe erklommen hatten, sahen wir vor uns eine Gruppe von Erstklässlern an der Tür zu unserem Gemeinschaftsraum stehen. Wir mussten warten, denn einer der Vertrauensschüler erklärte den Neulingen gerade, dass sie jedes Mal ein Rätsel lösen mussten, wenn sie den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum betreten wollten. Als die Vertrauensschüler den Erstklässlern voran durch die alte Holztür traten, drängten wir uns nach ihnen durch die Öffnung in unseren Gemeinschaftsraum.
Als wir den runden Raum betraten, spürte ich, wie sich eine vertraute Wärme in mir breit machte und sofort fühlte ich mich geborgen. Es war, als wäre ich nach einer langen Reise zu Hause angekommen. Die bläulichen Flammen in den Kaminen ringsum tauchten die Bücherregale und die Wände, an denen blaue und bronzene Banner herabhingen, in flackerndes, warmes Licht. Als ich den Kopf hob, sah ich die mit Sternen bemalte, kuppelförmige Decke. Obwohl durch die hohen Bogenfenster, die normalerweise einen atemberaubenden Blick auf Hogwarts' Ländereien boten, keinerlei Licht hereinfiel, schienen die Sterne an der Decke zu leuchten.
Wir machten uns auf den Weg zu den Treppen, die zu unseren Schlafsälen hinaufführten. Als wir schließlich dort ankamen, ließ ich mich erleichtert in die blauen Kissen meines Himmelbettes fallen. Ich schloss die Augen und ein breites Grinsen bildete sich auf meinem Gesicht. Ich hatte Hogwarts vermisst.

Flying high means falling farWo Geschichten leben. Entdecke jetzt