11. Mai

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Ankunft in Camp 8 - New York

Erik Lehnsherr

Sie hatten mich geholt, mitten in der Nacht, ohne Vorwarnung. Ich erinnere mich nur daran, wie jemand die Tür zu meinem Schlafzimmer eintrat. Bevor ich etwas tun oder sagen konnte, explodierten grelle Lichter vor meinen Augen und ich fiel in eine bodenlose Schwärze.
Einige Stunden später stand ich im Büro eines Generals und konnte mir eine Predigt darüber anhören, wie scheiße Mutanten waren und dass man am Besten alle töten sollte. Das diese Camps, wie es hier eines war, vollkommen überflüssig waren (wie ich diese mickrigen Menschen hasste). Dabei schlich er immer wieder um mich herum. Er glaubte wirklich, dass würde mich einschüchtern oder mir Angst einjagen. Lächerlich. Das würde vielleicht beeindruckend wirken, wenn der Mann etwas bedrohlicher ausgesehen hätte. Aber dieser Möchtegerngeneral war fast zwei Köpfe kleiner als ich, war nicht gerade der dünnste und durchtrainierteste im Raum und die paar Haare, welche er noch hatte, hingen ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht. Insofern hatte ich eher Mühe nicht in lautes Gelächter auszubrechen, anstatt vor Angst zu zittern. Doch meine Erfahrung sagte mir, dass ich diesen Mann nicht unterschätzen durfte.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dagestanden und den Blick stur nach vorn gerichtet hatte. Ich hörte zwar jedes Wort des Generals, aber ich interessierte mich nicht dafür. Es war einfach nur belustigend, wie er versuchte mich zu provozieren. Probeweise bewegte ich meine Hände, musste aber feststellen, dass man sie mit einem dicken Strick zusammengebunden hatte und das so fest, dass sie mittlerweile unangenehm kribbelten. Lange würde das nicht mehr so sein. Ich war schneller wieder aus dem Camp verschwunden, als dieser General sich in seinen Ledersessel quetschen konnte.
„So, jetzt sag mir aber Mal, was für eine beschissene Mutation du hast, Insasse 34268?", meinte der General plötzlich.
Nun knirschte ich mit den Zähnen, was im Übrigen die erste Gefühlsregung meinerseits war, seit ich das Büro betreten hatte. Mein Blick wanderte zu dem General und ich wusste genau, was er gerade dachte. Er freute sich, weil er etwas gefunden hatte, mit dem er mich reizen konnte. Verdammt, ich musste meine Gefühle besser in den Griff bekommen. Im Normalfall ließ ich mich nicht so schnell aus der Reserve locken. Aber man hatte mir schon einmal eine Nummer gegen und damit meinen Name ersetzt. Die Erinnerung daran trug ich für alle Zeit auf meinem linken Unterarm. Das würde ich nicht noch einmal zulassen.
„So, du willst also nicht antworten? Dann erklär ich dir nochmal die Regeln hier, 34268", fuhr der General fort, der meinen Stimmungsumschlag ganz genau bemerkt hatte. „Mit den Wärtern redest du nur, wenn du gefragt wirst. Du gibst auf jede Frage eine Antwort und wenn es nur Ja, Sir oder Nein, Sir ist. Wenn ein Wärter mit dir redet, schaust du ihn nicht an. Du tust alles, was man dir befielt, egal was! Verstanden, 34268?"
Ich schwieg und sah weiter die Wand gegenüber an. Dieser kleine Penner spielte mit seinem Leben, ob ihm das bewusst war?
„Rede endlich!"
Ein Schlag warf meinen Kopf in den Nacken und ließ ein weiteres Mal Lichter vor meinen Augen und Schmerzen in meinem Kopf explodieren. Aber kein Laut kam über meine Lippen. Ich war Schmerzen gewohnt. Da musste schon mehr kommen, als diese Ohrfeige. Mit geschlossenen Augen ließ ich mein Genick knacken und sah dann den General eiskalt an.
„Bist wohl ein ganz harter, was?", meinte dieser. „Ich muss dir wohl noch Gehorsam beibringen, 34268."
Schon wieder die Nummer. Na schön, er wollte wissen, welche Mutation ich hatte? Dann wollte ich ihn mal nicht enttäuschen.
„Du willst wissen, welche Mutation ich habe?", fragte ich und meine Stimme war so kalt, wie mein Blick.
Ein böses Grinsen legte sich auf meine Züge, als ich das sachte vibrieren von zwei Messingrohren spürte, die hinter dem General an der Wand angebracht waren. Im nächsten Moment lösten sie sich davon und schlangen sich um den Hals des Fettsacks. Dieser schnappte augenblicklich vergeblich nach Luft. Die Rohre zogen sich zusammen und ich hatte nicht vor sie einfach so freizugeben.
„Das ist meine Mutation, du Arsch. Ich beherrsche jede Art von Metall."
Im nächsten Moment zog ein stechender Schmerz durch mein rechtes Bein. Ich fiel auf die Knie, wieder ohne einen Schmerzenslaut und warf dem Wärter hinter mir einen herablassenden Blick zu. Hatte er nicht mehr drauf? Das würde die Lage seines Vorgesetzten nicht verbessern. Doch der Wärter stand, mit einem Teleskopschlagstock hinter mir und hob ihn gerade ein weiteres Mal. Der nächste Schlag traf mich in den Nacken und raubte mir kurzzeitig die Sinne. So hatte der General Zeit, sich von den Rohren zu befreien. Kaum dass ich die Augen wieder geöffnet hatte, traf mich ein Stiefel an der linken Gesichtshälfte und kurz darauf auch im Magen. Das war das erste Mal, dass ich ein Keuchen von mir gab.
„Du Wichser", knurrte ich und wollte mich wieder aufrichten.
Doch ein weiterer Tritt warf mich wieder zu Boden. Keine zwei Sekunden später wurde mein Kopf an den Haaren in den Nacken und zur linken Seite gezogen. Dann spürte ich ein Stechen am Hals und meine Sicht begann zu verschwimmen. Krampfartig zog sich mein Körper zusammen und ein Zucken ging durch meine Gliedmaßen. Ich fühlte mich, als würde flüssiges Eisen durch meine Adern laufen. Stockend rang ich nach Luft. Doch genauso schnell wie es angefangen hatte, war das Ganze auch wieder vorbei und ich warf dem General, der über mir stand einen finsteren Blick zu. Diesmal würde ich ihn nicht am Leben lassen. Ich gab den Rohren ein weiteres Mal den Befehl, sich um den Hals des Generals zu schlingen. Doch es passierte nichts. Verwirrt sah ich die Rohre an. Sie bewegten sich keinen Millimeter weit. Das Lachen des Generals ließ mich unmerklich zusammen zucken.
„Was hast du mit mir gemacht?", flüsterte ich bedrohlich und stemmte mich auf Hände und Knie hoch.
„Dir deine Mutation geraubt oder sie zum Stillstand gebracht, wenn man es so will. Es ist leider kein Dauerzustand, kann aber zu einem werden, wenn du dich nicht zu benehmen weißt", erklärte der General abfällig.
Ein Knurren drang aus meiner Kehle und ich sprang so blitzschnell auf, dass weder die anwesenden Wärter, noch der General rechtzeitig darauf reagieren konnten. Ich warf mich auf den General und rammte ihm mein Knie zwischen die Beine. Ein erstickter Schrei kam ihm über die Lippen, als er auf die Knie brach, nur um meines gleich darauf im Gesicht zu spüren. Mit blutender Nase, kippte er hinten über und blieb einen Moment reglos liegen.
Wütend funkelte ich die drei Wärter an, die mich jetzt umstellten. Meine Chancen standen schlecht. Die drei kämpften mit ihren Schlagstöcken und das konnte ich nicht gegen sie nutzen, nicht solange ich gefesselt war. Aber einem von ihnen konnte ich noch eine gebrochene Nase verschaffen, da war ich mir sicher. Ich suchte mir den kräftigsten der drei aus, rannte auf ihn zu und rammte ihm, bevor dieser etwas tun konnte, den Kopf gegen die Nase. Ein widerliches Knacken erklang und gleichzeitig legte sich ein Grinsen auf meine Lippen. Eine Sekunde später, lag ich neben dem blutenden Wärter auf dem Boden. Ein Fuß, zwischen meinen Schulterblättern hielt mich erfolgreich dort fest und ein weiteres Mal, traf mich ein Tritt in den Magen und gegen die Schläfe. Letzterer raubte mir, zum zweiten Mal an diesem Tag, die Sinne.

Mutant CampWo Geschichten leben. Entdecke jetzt