17. Mai

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17. Mai - Schuldgefühle

Erik Lehnsherr

Das erste, was ich spürte, als ich wieder zu mir kam, war Schmerz. Mein ganzer Körper brannte wie Feuer. Mit geschlossenen Augen kämpfte ich darum, diesen zu verdrängen oder ihn zumindest so weit in den Hintergrund zu schieben, dass ich richtig nachdenken konnte. Was war passiert? Grey und McTailor hatten mich verprügelt...meine Schulter...Charles hatte danach mit mir geredet...und dann die erlösende Ohnmacht, welche ich unbedingt hatte verhindern wollen. Letzteres war mir nicht gelungen. Sie hatten mich draußen an dem Pfosten hängen lassen. Umso verwunderter war ich, als ich feststellte, dass ich in meinem Bett lag und sogar zugedeckt war. Keuchend zog ich mich auf die Ellenbogen hoch und ließ den Blick durch den Raum wandern.

„Charles?", fragte ich in die Stille und erschrak vor meiner eigenen Stimme.

Sie hörte sich an, als hätte ich einen Eimer Scherben geschluckt. Hatte ich etwa so geschrien? Ich erinnerte mich nicht.

„Charles?"

Wieder bekam ich keine Antwort. Ob er schlief? Aber mein Zeitgefühl, auf das ich mich immer verlassen konnte, sagte mir, dass noch nicht einmal Sperrstunde war. Ich war wohl kürzer ohnmächtig gewesen, als gedacht.

Langsam stemmte ich mich aus meinem Bett und musste mich sofort an dem Gitter von Charles' festhalten, als ein beunruhigend starkes Schwindelgefühl mich ergriff. Kurz schloss ich die Augen, damit mein Kopf aufhören konnte Karussell zu spielen. Als ich sie wieder öffnete, fiel mein Blick auf mein Bett und ich zuckte zusammen.

Da wo ich gelegen hatte, war das Laken mit Blut verschmiert. Einer Ahnung folgend ließ ich meine Hand, so gut es eben ging, über meinen Rücken wandern. Sie hatten also wieder Peitschen benutzt...Ich hatte es nicht gespürt. Dann stockte ich. Ich konnte den Arm bewegen. Er war also nicht gebrochen, sondern nur ausgerenkt gewesen. Aber wer hatte ihn wieder eingerenkt? Und wer hatte mich hier hergebracht? Die Wärter bestimmt nicht. Also blieb nur Charles...Aber wo war er? Ich beschloss ihn zu suchen. Ich musste ihm doch danken, dass er mich vor dem Pfahl losgemacht hatte. Als ich die Tür öffnete, strich kalte Luft über meinen Oberkörper...Erst da bemerkte ich, dass ich kein Oberteil mehr anhatte. Vermutlich war es den Peitschen zum Opfer gefallen. Es war mir egal. Ich war zwar überall grün und blau und hatte mit aller Wahrscheinlichkeit nicht nur rote, sondern auch aufgeplatzte Striemen auf dem Rücken, aber ich schämte mich nicht dafür.

So lief ich durch das Gebäude und suchte nach Charles. Immerhin konnte er sich nicht mehr im Hof verstecken, was er zweifellos getan hatte, als ich ihn einigeStunden zuvor gesucht hatte. Wir hatten nämlich Ausgangssperre.

Zu meiner Beunruhigung fand ich ihn aber nicht, noch nicht einmal in der Toilette schien er sich versteckt zu haben. Ich fand allerdings jemand anderen, der mir besser nicht über den Weg gelaufen wäre: Lars.

Es grenzte fast an ein Wunder, dass ich ihn ohne seine Gefolgschaft traf. Er kam gerade zur Toilette herein, als ich rausgehen wollte. Bevor er reagieren konnte hatte ich ihn am Kragen gepackt und in eine der Kabinen gezogen, wo ich ihn kurzerhand gegen die Tür knallte. Nur mühsam konnte ich mich davon abhalten meine Faust in seinem Magen zu vergraben.

„Was willst du?", knurrte Lars und wandte sich in meinem Griff.

„Wissen warum du Charles so schikanierst. Was hat er dir getan, dass du ihn so bloßstellen musst?"

Meine Worte waren ein drohendes Knurren, welches das von Lars zuvor, wie das von einem kleinen Hündchen erscheinen ließ.

„Er ist eine verdammte, kleine Hure! Das ist der Grund..."

Meine Faust krachte neben seinem Kopf gegen die Tür und ließ ihn zusammenzucken. Wie gerne hätte ich sie ihm ins Gesicht geschlagen! Stattdessen musste ich meine ganze Willenskraft aufbringen um nicht selbst vor Schmerzen zusammenzuzucken. Verdammt, ich hatte schon einiges an Prügel eingesteckt, aber das war selbst für mich fast zu viel. Ich musste mich von dem Schmerz ablenken.

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