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Zwei Wochen später

Befreit lachend schloss ich die Saaltür und umarmte meine beste Freundin. Das Semester war abgeschlossen, es fehlten nur noch die letzten Prüfungen und ich hatte meinen Bachelor in der Tasche. Drei anstrengende, aber auch wunderschöne Jahre würden zu Ende gehen und ich musste entscheiden, wie es mit mir weitergehen sollte. Ganz ehrlich - ich war 21 und hatte keine Ahnung. Mit 18 hatte ich direkt nach der Schule das Studium angefangen, auf Anraten meiner Mutter und schon recht bald festgestellt, dass die meisten Berufe, die man mit einem Bachelor oder Master in Germanistik ergreifen konnte, nicht wirklich zu meinen Traumberufen zählten. Mein Verlobter - ich konnte mich immer noch nur schwer an dieses Wort gewöhnen - Eric studierte BWL, uns gemeinsam hatte mein Vater den Verlag versprochen, mir letztendlich als leitende Lektorin, Eric sollte die Rolle des Buchhalters und Managers übernehmen. Wirklich überzeugt war ich davon nicht, aber es war eine Konstante, die seit dem Heiratsantrag von Eric vor zwei Jahren seine Sicherheit mit sich brachte. Ich verabschiedete mich von Emilia, die noch zum Essen mit Alissa und Marvin verabredet war, da ich Eric von seiner Vorlesung abholen wollte. Er hatte eine Stunde später als ich Schluss und so saß ich bereits eine halbe Stunde auf dem Boden vor seinem Saal und spielte Best Fiends auf meinem Handy, als auf einmal ein Anruf mir meinen besten Zug versaute.

„Ja, bitte?"

„Ist da Kayla van Raas?"

Eine tiefe, mir unbekannte Männerstimme, die meinen Namen kannte? Ich war verunsichert - und verwirrt. „Ähm, ja das bin ich."

„Sehr gut, Unteroffizier Jack Golp, tätig im Bewerbungszentrum der Bundeswehr am Apparat. Sie hatten vor zwei Wochen eine Online-Bewerbung zum Offiziersdienst eingereicht?"

Was? Ich? Vor zwei Wochen?

„Ähm-,"

„Herzlichen Glückwunsch, hiermit teile ich Ihnen mit, dass Sie die erste Runde bestanden haben und zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Alle Details finden Sie in den Anlagen der E-Mail, die ich soeben abgeschickt habe."

War ich vorher verwirrt gewesen, war ich jetzt vollkommen am Ende meines Wissens. Was war das? „Danke, hören Sie, ich-"

„Bei Fragen oder falls Sie an dem Termin nicht können, rufen Sie einfach unter der Nummer an."

„Ja, sicher, aber-"

„Dann sehen wir uns beim Bewerbungsgespräch. Schönen Tag noch!"

Und damit war ich alleine in der Leitung.

„Ihnen auch."

Kopfschüttelnd versuchte ich das gerade Geschehene einzuordnen. Als die Türen des Saales aufgingen und ich Eric zur Begrüßung küsste, merkte er nicht, dass ich, tief in Gedanken versunken, seinen Erzählungen nicht so wirklich folgen konnte, sondern mich danach sehnte, in meinem Mailfach die geheimnisvolle Mail zu öffnen und herauszufinden, wer mich heimlich angemeldet hatte. Wir waren eingehakt auf dem Weg ins Café, als mir einiges klar wurde.

„...und deshalb können wir ja nicht-"

„Oh, nein!"

„Was ist los, Schatz?"

Ich konnte Eric nichts von der Bewerbung sagen, er würde es lächerlich finden, schließlich brachte es mir ja eh nichts für meine Zukunft.

„Nix, nix, alles gut."

„Achso, na dann. Also, was ich damit meinte..."

Eric schien es gar nicht aufzufallen, dass ich ihm wirklich nicht zuhörte. Aber das war mir egal - mir war währenddessen nämlich eingefallen, wann ich die Bewerbung abgeschickt hatte. An unser Clubbing von vor zwei Wochen, konnte ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern, trotzdem war das die einzige Möglichkeit, wo ich etwas hätte abschicken können, an das ich mich heute nicht mehr erinnerte. Ich wollte vor Ärger aufstampfen und in ein Kissen brüllen - Eric mochte es nicht, wenn wir lauter wurden, er meinte die Nachbarn könnten sonst denken, wir würden uns streiten - aber andererseits... Ich wusste doch nicht, was ich machen wollte, würde mir nicht auch so etwas helfen?

Dann aber stellte ich mir die Sache vor; ich bei der Bundeswehr? Ich konnte mir die Reaktionen meiner Familie und Freunde lebhaft vorstellen. Eric schien überhaupt nicht zu bemerken, dass ich tief in Gedanken versunken war. Im Café angekommen bemerkte nur Emilia meine Unruhe, aber ich wimmelte sie ab. Ich musste selber erstmal klarkommen.

So wurde es ein Nachmittag der sich zog und gerade dann als ich überlegte, wie ich dem Ganzen entfliehen konnte, um endlich meinen Mailaccount zu kontrollieren, drängten alle zum Aufbruch, weil sie auf einmal so viel zu tun hatten. An mir hatte es nicht gelegen, dass wir uns verquatscht hatten. Eric konnte sich nicht von Marvin trennen und schließlich überzeugte ich ihn, unseren gemeinsamen Abend ausfallen zu lassen und zu seinem besten Freund zu gehen. Meine einzige Bedingung, der Alissa augenrollend zustimmte, war, dass die Jungs sich bei Marvin und Alissa Zuhause treffen sollten. Somit hatte ich meine Ruhe. Ich war gerade in der Wohnung angekommen und hatte mich kaum ausgezogen, als ich schon meinen Laptop hochfuhr und einen Anruf von Emilia wegdrückte. Ich konnte mir denken, was sie wollte und musste mir zunächst selber ein Bild machen. Mit zitternden Händen öffnete ich mein Postfach und tatsächlich; da war eine Mail mit dem Absender der Bundeswehr, der Anruf war kein schlechter Scherz gewesen.

In der Mail selber stand letztendlich nichts wirklich Aufregendes drin, nur der genaue Termin - in einer Woche - wurde genannt, sowie ein paar organisatorische Dinge. Wollte ich wirklich absagen? Ich war mir unsicher, ob das Studium und die damit verbundene Zukunft mir wirklich so sehr gefielen und war dies nicht eine Möglichkeit? Eine Möglichkeit die mein betrunkenes Ich mir geschenkt hatte? Betrunkene und Kinder sagten die Wahrheit, doch galt dies auch für Taten? Hatte mein betrunkenes Ich mir gesagt, wie ich fühlte? Ich war überfordert, definitiv.

Da ich nicht wusste, an wen ich mich wenden sollte, machte ich mir eine heiße Schokolade, die mir schon immer beim Nachdenken geholfen hatte. Emilia würde ich die Geschichte vermutlich als Erstes beichten, Alissa eher weniger, da sie mit Marvin zusammen war und ihm alles erzählen würde, der aber als Eric's bester Freund diesem sofort alles weiter tratschen würde. Ich seufzte auf. Mit meiner Mutter hatte ich noch nie ein wirklich gutes Verhältnis, nicht dass wir uns häufig stritten oder keinen Kontakt hatten, aber sie hatte mir schon früh klar gemacht, was sie von mir erwartete: Ein perfektes Leben vor allem gegenüber der Öffentlichkeit. Ich konnte mit ihr über nichts Privates reden. Mein Vater war da anders: Häufig hatten wir über meine Probleme und Anderes diskutiert und geredet, doch auch er erwartete, dass ich den Verlag übernehmen würde.

Da ich in Buchhaltung ganz klar kein Talent gezeigt hatte, im Gegensatz zu Eric, kam meinen Eltern die Verlobung recht gelegen, hatte ich manchmal das Gefühl. Aber nichtsdestotrotz änderte nichts von diesen Feststellungen die Tatsache, dass ich mit mir ganz alleine in meinem scheinbar perfekten Leben war. Als Eric nach Hause kam lag ich schon im Bett. Ich dachte darüber nach, wann wir das letzte Mal Sex gehabt hatten und konnte mich nicht daran erinnern. Seufzend drehte ich mich auf die Seite und stellte mich schlafend, als Eric mir einen Kuss auf die Wange drückte.

Dann schlief ich ein.

7 Monate in der Hölle?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt