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Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen. Die zwei Wochen bei Emilia waren schnell vergangen und ich war bereits bei der Bundeswehr.

Nach einem stressigen Ankunftstag, der gleich mit einigen Herausforderungen aufgewartet hatte – wie sollte man sich zum Beispiel richtig anmelden? – und nachdem ich meine Sachen vom Lager gemeinsam mit den anderen aus meiner Truppe abgeholt hatte, war endlich Ruhe eingekehrt.

Wir waren gerade vom Abendbrot wiedergekehrt. In meinem Raum schliefen neben mir noch drei weitere Mädchen, das andere Zimmer in unserer Stube war leer. Wir waren insgesamt nur vier Mädels, auf die circa 30 Männer kamen. Lynn, Jill und Ronja waren nett und ich hoffte, dass ich mich mit ihnen verstehen würde. Auch die Männer waren – soweit ich es bis jetzt beurteilen konnte – alle aufgeschlossen und freundlich.

Unsere direkten Vorgesetzten – grundsätzlich ein Mann und eine Frau, die von weiteren Leuten in speziellen Bereichen unterstützt wurden, wie wir erfuhren – waren wie erwartet streng aber fair.

Ich kuschelte mich tiefer in die Decke und versuchte zu schlafen; morgen würde es anstrengend werden.

*

Am nächsten Morgen wurde es nach dem Frühsport und dem Frühstück erneut aufregend: Die Arzt- und Sportprüfungen standen an. Am Ende des Tages hatte ich sie ohne größere, nennenswerte Probleme bestanden, manche allerdings hatten ihre Probleme und ich erkannte mit Respekt an, mit wieviel reiner Willenskraft sie die Mindestpunktanzahl erfüllten.

„Nur die Mindestpunktanzahl reicht aber nicht! Als Soldat müssen Sie in Bestform sein – und dass nicht nur körperlich! Auch die Psyche ist nicht zu unterschätzen! Ich erwarte, dass Sie sich auch außerhalb unseres Trainings fit halten. Ist das verstanden worden?"

Ein kräftiges „Jawohl!" ertönte aus unseren Kehlen. Ich sollte diesen Satz noch öfter hören in den nächsten Monaten.

*

Als wir nach unserer zweiten Woche nach dem alltäglichen Training am Abend zurück Richtung Haupthaus gingen, in dem wir wohnten, ließen sich die Mädels, mit denen ich bereits überraschend eng zusammen gewachsen war, etwas zurückfallen und so stapfte ich alleine den Weg entlang.

Ich hatte Bekanntschaften gemacht; da war Karl, der bullige Typ mit den roten Haaren, der sich nur schwer von seinem Bart hatte trennen können, Oli, ein schmächtiger Kerl, der aber ausdauer- und taktikmäßig ordentlich was drauf hatte, sowie Jan, Dennis und Paolo, mit denen ich mich mehr oder weniger häufig unterhielt.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn.

Es war recht warm und die typische Kleidung der Bundeswehr, die ich trug, war schwer und dick. Die zusätzliche Ausrüstung vom Gewicht her war ebenfalls nicht zu unterschätzen. Jeder hatte einen Spind bekommen, in dem alles genauestens geordnet werden sollte – nur die Anordnung war schwer zu merken und wurde regelmäßig kontrolliert, ebenfalls wie das richtige Bett machen das sogenannte ‚Böcke bauen' oder das Nicht-Vergessen unseres Namensschilds, das wir auf den Anzug kleben sollten, den wir jeweils anhatten. So sehr wir uns bemühten, mindestens einmal bekam jeder etwas bemängelt.

„Hallo, du läufst hier ganz alleine?"

Ich schaute überrascht auf. Links neben mir war einer aufgetaucht, den ich zuvor noch nie gesehen hatte.

„Hey."

„Hab' gehört wir machen morgen früher Schluss, um die erste Nachtwanderung zu machen..." Verhängnisvoll blickte er mich an.

„Wird schon nicht so schlimm werden!", ich zögerte. „Gehörst du zu unserem Zug?"

Er lächelte und zwinkerte mir zu: „Jawohl!"

Ich musste unwillkürlich grinsen: „Ich hab' dich hier ehrlich gesagt noch nie gesehen!"

„Macht nix, jetzt siehst du mich ja. Ich bin Leon."

Er war verschmitzt, etwas was ihn attraktiv machte.

„Ich heiße Kayla."

Verdammt, er sah auch noch gut aus, wie ich bei näherer Betrachtung bemerkte.

„Also, woher kommst du Kayla?"

Mein Herz schlug schneller.

„Ich komme aus Berlin, und du?"

„Ich komme aus Hamburg!"

Hamburg war gar nicht so weit von Berlin entfernt.

Bisher hatte ich meine zwei freien Wochenenden beide bei Emilia verbracht, Eric hatte ich nur kurz einmal gesehen, als ich frische Sachen aus unserer Wohnung holte. Ein richtiges ‚Wir' gab es nicht mehr, doch offiziell waren wir noch verlobt. Ich wusste zwar nicht, wie es weitergehen würde, aber trotzdem durfte ich mir keine Hoffnungen machen.

„Hey, heute Abend machen wir eine Skatrunde in Stube 4b. Kommst du? Du kannst ja noch die anderen mitnehmen..."

Ich zögerte kurz, doch dann schalt ich mich. Meine Güte, es war ein Spielabend, mehr nicht. Lachend sagte ich zu.

*

Der Abend war nett geworden. Leon war gerade 24 geworden und somit drei Jahre älter als ich. Wir hatten festgestellt, dass wir beide eine Schwäche für gute Musik und Schokolade hatten und ich hatte so viel Spaß gehabt, wie schon lange nicht mehr. Obwohl ich mich mit allen aus meiner Einheit gut verstand, stach er heraus. Mit ihm konnte ich lachen und weinen und einfach ich selbst sein. Wir hatten Telefonnummern getauscht und er hatte mir versprochen, dass ich ihn in Hamburg einmal besuchen kommen könnte.

Doch heute war Freitag und das hieß für mich eine Rückkehr nach Berlin. Schweren Herzens zwang ich mich in Berlin angekommen den Weg Richtung gemeinsame Wohnung von mir und Eric einzuschlagen.

Es war genug Zeit vergangen, um mit ihm über unsere Beziehung zu sprechen. Ich hatte ehrlich gesagt Angst, denn obwohl ich in den nächsten sieben Monaten zu mindestens keine Wohnung brauchen würde, würde ich nicht wissen wohin. Emis Ein-Zimmer-Wohnung hatte ich genug in Anspruch genommen, zumal ich auch nach der Bundeswehr irgendeinen Ort mein Zuhause nennen wollte.

Je näher die U-Bahn sich der Station näherte, an der ich die letzten drei Jahre ausgestiegen war, desto unruhiger wurde ich. Wie würde das Gespräch verlaufen? Wollte ich überhaupt, dass es gut verlief?

Als ich die Treppen unserer Wohnung emporstieg spürt ich eine Wehmut in mir aufsteigen. Mein Leben war an einem Wendepunkt und ich hatte nur noch zur Hälfte die Macht über die sich anschließende Richtung. Eric bestimmte die andere Hälfte und nicht nur vor seiner Entscheidung hatte ich Angst, sondern auch davor, mich selbst entscheiden zu müssen.

Wieder einmal kramte ich in meiner Tasche nach meinem Schlüssel und musste mich an den Tag erinnern, an dem Eric herausgefunden hatte, dass ich mich bei der Bundeswehr beworben hatte. War meine Bewerbung wirklich Schuld an unserer momentanen Situation? Oder hatten wir uns unbemerkt so sehr verändert, dass es jetzt auf einmal auffiel?

Ich seufzte und schloss die Tür leise auf.

Das Erste was ich sah, war der fremde Mantel, dann die High-Heels, auf denen ich niemals hätte laufen können. Mir wurde übel. Was hatte er getan?

7 Monate in der Hölle?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt