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Eine Woche war seit dem Anruf des Bewerbungscenters vergangen und ich immer unruhiger geworden. Was ich tun sollte, wusste ich auch heute, am großen Tag selber nicht.

Emilia hatte mich anfangs noch komisch angeguckt, aber jetzt ließ sie gar nicht mehr mit sich reden, sie ignorierte mich. Meine beste Freundin konnte sich nicht vorstellen, dass ich mit ihr über das, was mich beschäftigte, momentan nicht reden konnte und war dementsprechend beleidigt.

Ich hatte die Woche über nicht reden können.

Heute jedoch war meine Aufregung groß – und ich brauchte Rat. Meine Eltern fielen aus offensichtlichen Gründen weg, auch Alissa würde es Marvin erzählen und der nun mal als Erics bester Freund meinem Freund, der ja auch noch nichts von der Bewerbung wissen sollte und sich nur unnötig aufregen würde.

Geschwister hatte ich auch keine und meine Großeltern waren entweder gestorben oder ich hatte noch nie Kontakt zu ihnen gehabt.

So blieb mir nur Emilia, wie mir schmerzlich bewusst wurde, obwohl ich ansonsten mit meinem Leben sehr zufrieden war.

Lange hatte ich an sich nicht überlegt, ob ich die Bewerbung weiterführen wollte, meine Antwort hieß ganz klar nein, aber da ich Jack Golp nicht mehr erreicht hatte, wollte ich persönlich meine Bewerbung zurückziehen und zum Karrierecenter fahren.

Und das war das Problem: Einhundertprozentig sicher war ich mir dann doch nicht.

So stand ich verlegen und zerknirscht vor Emilias Haustür, noch normal angezogen, hatte aber Bewerbungsklamotten und meine Bewerbungsmappe in meiner Tasche, falls ich mich im letzten Moment doch noch anders entscheiden sollte.

Als Emilia die Tür öffnete merkte ich ihr ihre Überraschung an: „Kayla, was machst du hier?"

„Meine beste Freundin endlich in etwas einweihen, dass sie schon seit einer Woche wissen wollte."

Erleichtert grinste mich Emilia an: „Puhh, gut, dass du kommst. Ich hätte nicht den Arsch in der Hose gehabt, zu dir zu kommen und ganz ehrlich, ich hab' dich vermisst!"

Ich grinste zurück. „Hab' dich doch auch vermisst, du kleine Chillischote."

Emilia boxte mich in den Oberarm, Chillischote nannte ihre Großmutter sie immer, bedingt durch ihre roten Haare, die sie sich mit 16 spontan gefärbt hatte und die, unabsichtlich natürlich, sehr den Farbton einer Chillischote gehabt hatten. Wie auch immer, der Spitzname erinnerte sie an diese unglückliche Geschichte.

Wir schmissen uns auf die gemütliche und uralte Couch und ich fing an, von dem Anruf und der Mail zu erzählen. In der Tat hatte ich die Online-Bewerbung betrunken abgeschickt, denn Emilia konnte sich noch in Bruchstücken an eine trotzige, betrunkene Kayla erinnern, die nicht klein bei geben wollte und bestätigte somit meine Theorie.

Als ich an dem Punkt angelangt war, dass weder Eric noch meine Eltern die Geschichte wüssten, klappte ihr der Kinnladen herunter:

„Kayla, du lebst mit dem Typen zusammen, bist mit ihm verlobt und willst ihn heiraten! Denkst du nicht, dass er ein Recht darauf hat, so etwas Wichtiges wie eine Bewerbung zu erfahren? Es geht schließlich auch um seine Zukunft!"

Schmerzlich nickte ich. „Ich weiß ja selber, dass es besser wäre, ihm davon zu erzählen, aber er war die ganze Zeit unterwegs und ich hab' keine Gelegenheit dazu gefunden..."

Prüfend sah mich Emilia an: „Sicher, dass du nicht eher jede Gelegenheit vermieden hast?"

Sie kannte mich lange genug, um zu erkennen, wann ich mich ertappt fühlte. Sie seufzte: „Glaub' mir Kayla, je länger du wartest, desto schwieriger wird es, ihm alles zu erzählen und desto wütender wird er sein, wenn du es ihm erzählst. Und das gilt auch für deine Eltern."

„Ja, aber ich will doch eigentlich meine Bewerbung zurückziehen und deshalb wäre es unsinnig gewesen, ihnen etwas wegen nichts zu erzählen.

Mitleidig sah mich Emilia an: „Willst du wirklich die Bewerbung zurückziehen? Oder warum kreuzt du hier mit ordentlichen Sachen und deiner Bewerbungsmappe auf?"

Ich war in die Ecke gedrängt und so erwiderte ich kleinlaut: „Vielleicht bin ich mir ja doch noch nicht komplett sicher?"

„Probier's doch einfach. Jetzt bist du noch jung, ich glaube du willst dich nicht in zehn Jahren ärgern und dich fragen, was gewesen wäre wenn..."

Ich ließ ihre Worte auf mich wirken. Warum hatte ich mich innerlich auf ein Bewerbungsgespräch vorbereitet?

Ich nickte langsam: „Ich kann es ja echt mal probieren! Warte hier, ich zieh' nur kurz die anderen Sachen an."

Mit Bluse und schwarzer Jeans bekleidet erschien ich wieder aus dem Bad. Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir, dass es Zeit war mich auf den Weg zu machen um pünktlich meinen Termin um wahrnehmen zu können.

Emilia begleitete mich noch bis zur Tür. „Vielleicht wirst du ja nicht genommen und dann war es vielleicht wirklich nicht nötig, deinen Eltern und Eric von allem zu erzählen", sie hielt kurz inne, „Aber Kayla, versprich mir eins..."

„Hmm?"

„Wenn du genommen wirst, dann überwind' dich und erzähl' zu mindestens Eric so schnell wie möglich davon!"

Ich wand mich, doch dann stimmte ich zu. Auf dem Weg zum Auto rief sie mir noch etwas hinterher: „Und so schlimm war dein Geheimnis nicht, komm' doch das nächste Mal einfach bitte früher zu mir! Und ruf mich unbedingt an und erzähl, wie es gelaufen ist, okay?"

„Alles klar!"

Ich winkte ihr noch einmal zu, dann brauste ich Richtung Karriereberatung.

*

Ich nahm zwei Treppenstufen auf einmal und sah mich nervös um, als ich die Eingangstür im zweiten Stock erreichte. Ich hatte in den letzten zwei Stunden meinen gesamten Plan für diesen Tag über Bord geworfen. Nachdem ich geklingelt hatte, hörte ich schwere Schritte.

Jack Golp begrüßte mich per Handschlag. Er war ein unscheinbarer Mann in den Mittvierzigern, der aber sehr nett mit mir sprach.

Nervös spielte ich mit meinen Fingern, als er sich kurz meinen Lebenslauf ansah, dann stellte er Fragen, nicht nur bezüglich meines Lebenslaufs, sondern auch warum ich zur Bundeswehr wollte oder wie ich mir meine Zeit vorstellte.

Am Ende stellte er vor, wie er sich meine Karriere bei der Bundewehr vorstellte: Da ich mit meinem Studium die entsprechenden Voraussetzungen hatte, empfahl er mir ein mehrtägiges Bewerbungsverfahren für Offiziersanwärter in Köln, dem dann sieben Monate freiwilliger Wehrdienst folgen würde. Dieser sei keine Pflicht, wie er mir erklärte, sondern sollte dazu dienen, mich in meiner Entscheidung für die Bundeswehr zu festigen, ich könne danach gleich mit der Offiziersausbildung weitermachen.

Erleichtert erkannte ich, dass ich mich auch jetzt noch nicht festlegen musste, ob ich letztendlich wirklich bei der Bundeswehr anfangen wollte.

Spontan sagte ich in einem Anflug von Wahnsinn, bedingt durch ein anhaltendes Hochgefühl, zu allem zu, dass er vorschlug zu.

Die Zeit verging wie im Fluge und so trat ich gefühlt zehn Minuten später beladen mit allerhand Flyern und Infozetteln, sowie weiteren Bewerbungenszetteln wieder auf die Straße. Im Auto rief ich wie versprochen als erstes Emilia an.

„Und?", atemlos nahm sie den Anruf entgegen und ich konnte erkennen, wie aufgeregt sie war.

Meine Antwort war, was am Ende des Tages auch das Ergebnis des Bewerbungsgesprächs war:

Ich war von der Bundeswehr angenommen worden.

7 Monate in der Hölle?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt