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"Schneller, Gefreite van Raas! Sie müssen sich noch deutlich steigern!"

Keuchend versuchte ich die eindringende Stimme des Obersts auszublenden und nicht unter der Last meiner Ausrüstung zusammenzubrechen. Im flotten Laufschritt liefen wir zehn Kilometer samt 20 Kilo auf dem Rücken und es war härter als alles was ich je zuvor in meinem Leben gemacht hatte. Der Lauf war der Höhepunkt eines vorbereitenden Tests zum Abschluss und obwohl ich nie schlecht gewesen war, schaffte ich es nicht mehr, mit den anderen mitzuhalten. Beim Nahkampf besiegte mich selbst die früher Schwächste, beim Zielschießen verfehlte ich meistens das Ziel und bei dem 40-Kilometer-Lauf wurden mir schon früh die Beine schwer. Nur Leon konnte mich davon abhalten, den Lauf abzubrechen.

Ich hatte Ronjas Worten nicht weiter Beachtung geschenkt und obwohl ich anfangs manchmal auf Leons Verhalten geachtet hatte. Wie erwartet waren wir nichts mehr als gute Freunde.

Mit Blasen und einiger Überwindungskraft schleppte ich mich gemeinsam mit ihm über die Ziellinie. Als ich völlig erledigt abends in meinem Bett lag, spürte ich deutlich jede einzelne Faser meines Körpers und zum ersten Mal, kamen mir Zweifel an meinem Vorhaben. Ich liebte die Herausforderung, sowohl physisch als auch psychisch, der heutige Tag allerdings hatte mich endgültig weit über meine Grenzen getrieben.

So kam es, dass ich mich am nächsten Tag an meine beste Freundin wandte: "Hallo? Kayla, alles in Ordnung?"

Ich hörte deutlich ihre Besorgnis. Seufzend antwortete ich: "Nimm, wie du es willst. Ich kann nicht mehr, Em."

"Wie meinst du das?", antwortete sie irritiert.

Ronja lief über den Flur und nickte mir zu. Unwillkürlich senkte ich meine Stimme: "Ich kann nicht mehr mithalten. Ich weiß nicht mehr, ob ich das schaffe."

In der darauffolgenden Stille spürte ich Emilias ungläubigen Blick praktisch durch das Telefon. Dann räusperte sie sich und fand ihre Stimme wieder.

"Also, ich weiß echt nicht, was ihr da macht, aber wer bist du und was hast du mit der Kayla gemacht, die immer so ehrgeizig auf ihre Ziele hingearbeitet hat?" , ich schwieg, was Em zum Anlass nahm, um einfach weiterzureden. "Ich möchte dir nicht zu nahetreten, aber es sind nur noch anderthalb Monate und später müsstest du dich auch für viele Jahre verpflichten. Gebe jetzt nicht wegen Kleinigkeiten auf! Du findest immer deinen Weg!"

Im Hintergrund rief jemand etwas und gleich darauf antwortete Emilia vernuschelt, bis sie wieder ins Mikrofon sprach: "Du Kayla, ich muss los, wenn nicht telefonieren wir heute Abend noch einmal."

Noch ehe ich ihr antworten geschweige denn mich bedanken konnte, war die Verbindung tot. Kopfschüttelnd dachte ich über ihre Worte nach. Ganz unrecht hatte sich nicht. Seufzend ging ich zurück in die Stube, wo Lynn und Jill begonnen hatten Skat mit Karl und Oli zu spielen. Paolo und Ronja hatten sich um die Spieler gesetzt und beobachteten das Geschehen mal mehr, mal weniger interessiert. Neugierig setzte ich mich zu ihnen. Nur Augenblicke nachdem ich mich gesetzt hatte, erschien Leon: "Und wie sieht's aus?"

Ich zuckte mit den Schultern: "Da muss ich passen. Ich bin auch erst eben hinzugekommen!"

Unbekümmert lächelte Leon und fuhr sich durch die Haare. Auch egal. Es ist schon Donnerstag, fährst du morgen nach Hause?"

"Ich denke mal, bis jetzt ist eigentlich nichts abgesprochen."

Er zog die Schultern hoch und musterte mich einen Moment abschätzend, dann spuckte er die nächsten Worte förmlich aus: "Du könntest ja auch mal mich in Hamburg besuchen."

Über den Tisch hinweg starrte mich Ronja eindringlich an, offensichtlich hatte sie seine Worte mitbekommen.

Ich räusperte mich und konnte nicht glaube, was Leon eben angeboten hatte: "Also, dieses Wochenende ist mit zu spontan, vielleicht nächste Woche oder wir-"

Noch ehe ich meinen Satz beenden konnte schrie Oli triumphierend auf, die anderen stönten entsetzt. "Das kann doch nicht wahr sein!", empörte sich Lynn. "Du hattest schon so gut wie verloren!"

Verschmitzt entgegnete Oli: "Tja!", dann schlug er lachend mit Paolo ein. Auch Leon wurde in die Feierlichkeiten eingebunden, sodass wir keine Möglichkeit hatten, uns weiter zu unterhalten. Unmittelbar nachdem wir uns wieder zerstreut hatten, ging es zum Mittagessen, dem eine Pause und ein Nahkampftraining folgten.

Über das Wochenende sorgten verschiedene Gespräche mit Emilia, aber auch meinem Vater und Eric für erneuerten Ehrgeiz. Letzterer hatten sogar erstaunlich entgegenkommend und umsichtig gehandelt.

Getrieben von meinem Ehrgeiz und purer Willenskraft legte ich extra Trainingsstunden mit Leon ein und als wir die Übung einige Wochen später wiederholten, war ich wieder im guten Durchschnitt.

Vor allem das Extra-Training brachte mich voran, da Leon einige gute Handgriffe konnte, die sich als außerordentlich nützlich erwiesen.

Er und ich kamen nicht erneut auf das Thema 'in-Hamburg-Leon-besuchen' zu sprechen, was mir nicht ganz unrecht war, immerhin hatte ich keine Ahnung welche Antwort ich ihm hätte geben sollen.

Trotzdem wurden wir vertrauter im Umgang miteinander, was wohl auch unsere Ausbilder merkten, die anfingen darauf zu achten, dass wir nicht in einem Team waren. Doch natürlich gab es auch Ausnahmen...

7 Monate in der Hölle?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt