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Yixing hatte sich erneut in seinem Wandschrank verschanzt. „Wieso bist du nicht in deinem Atelier?"
„Zu faul um rüberzugehen", kam die Antwort vom Boden aus. Yixing hatte sich auf seiner Plane ausgebreitet und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, als würde er Sterne beobachten.
„Das war der Sinn des Ateliers – dass du mal rauskommst und dich bewegst."
„Ich bewege mich auch so genug." Yixing gähnte.
„Wo? Zwischen Bett und Badezimmer und zurück?"
„Du kennst mich viel zu gut, Soo – es ist erschreckend."
Kyungsoo verdrehte die Augen und setzte sich neben Yixing auf die Plane, vorsichtig, um nicht mit irgendwelchen Farbpfützen zu kollidieren. Das war ihm schon mehrfach versehentlich passiert und Leinwandfarbe ging nur schwer aus der Kleidung heraus. „Ist alles in Ordnung bei dir?"
„Hm?"
„Wieso liegst du hier herum?"
„Ich wollte eigentlich malen", er deutete mit dem Fuß in die allgemeine Richtung seiner Staffelei. „Aber ich komme nicht weiter. Ich dachte hier unten finde ich vielleicht etwas Inspiration?"
„Und?"
Yixing schüttelte den Kopf. „Noch nicht."
„Wann hast du zuletzt etwas gegessen?"
Yixing dachte kurz nach, dann zuckte er die Achseln. „Wann bist du zuletzt da gewesen?"
„Yixing", seufzte Kyungsoo.
„Nur Spaß. Vorhin, ich weiß nicht genau wann."
Kyungsoo konnte sich gut vorstellen, dass er eben keinen Spaß gemacht hatte. „Worauf hast du Lust?"
„Eigentlich will ich nur mein Bild zu Ende malen..."
„Das kannst du auch danach. Also?"
„Hühnchen?"
Kyungsoo schüttelte lächelnd den Kopf. Er klang wie ein hungriger Idol in den Variety Shows, die er sich so gerne ansah. „Geht in Ordnung."
Ihre Lieferung kam eine gute halbe Stunde später an. Kyungsoo bezahlte und bedankte sich bei dem Lieferanten – ein Student mit hübschen braunen Locken und geraden, weißen Zähnen.
„Lass uns ins Wohnzimmer gehen."
Yixing verzog das Gesicht. „Können wir nicht im Wandschrank bleiben? Ich will mir das Bild ansehen, während ich esse, vielleicht fällt mir ja doch noch etwas ein."
Kyungsoo gab nach - Yixing könnte er ohnehin nichts ausschlagen - wozu sich die Mühe geben?
Kyungsoo holte Teller und Servietten aus der Küche und verteilte den warmen Inhalt aus den Styroporboxen auf einen großen Teller. Dazu hatte er sechs Dosen Bier bestellt, weil Hühnchen und Bier die beste Kombination war – so wie Soju am besten mit Ddeokbokki ging.
Yixing erwachte zum Leben, als ihn der Geruch lockte. Er richtete sich auf und atmete tief ein. „Genau das, was ich gerade gebraucht habe."
„Vorhin klangst du aber noch ganz anders", lachte Kyungsoo und öffnete eine der Bierdosen und reichte sie Yixing.
„Vorhin war ich auch noch im Standby-Modus."
Sie prosteten einander zu, bevor Yixing zulangte. Kyungsoo konnte sich gut vorstellen, dass sein bester Freund seit Tagen nichts Vernünftiges mehr gegessen hatte. Yixing verlor sich oft in seiner Arbeit und das hoffnungslos. Normalerweise hatte Kyungsoo immer ein Auge auf ihn, doch die letzten Tage hatte er sich kaum mehr blicken lassen, weil Jongdae's Projekt so viel seiner Zeit in Anspruch nahm.
„Wie läuft es mit Jongdae?", fragte Yixing prompt, als hätte er Kyungsoos Gedanken gelesen.
„Gut, ich bereite gerade sein Debut vor."
„Welche Galerie hat du dafür vorgesehen?"
Kyungsoo spürte das schlechte Gewissen in sich aufsteigen. „Mh, ‚Implicit Galerie' um ehrlich zu sein."
Yixing sah ihn mit großen Augen an. „Echt? Du bist wirklich genial Kyungsoo", er lachte erheitert. „Wie hast du das bloß hinbekommen?"
Kyungsoo wollte nicht sagen, dass es allein Jongdae's Können zu verdanken war, weil er Angst hatte seinen Freund damit zu kränken. Bei Yixing hatte es damals nicht für ‚Implicit' gereicht, obwohl Kyungsoo lange versucht hatte, die Aufmerksamkeit des Galerie-Leiters zu bekommen.
„Wahrscheinlich hatten wir Glück." Eine wahnsinnig blöde Aussage, aber Kyungsoo war auf die Schnelle nichts anderes eingefallen.
Yixing antwortete darauf nicht, nahm nur ein paar lange Schlucke aus seiner Bierdose. „Hast du etwas Neues von Luhan gehört?"
„Ja, er hat gestern angerufen. Er war ziemlich wütend."
Yixing legte den Kopf schräg. „Weshalb?"
„Sein Direktor hat ihn anscheinend vor allen Leuten bloßgestellt." Kyungsoo dachte kurz nach. „Er hat mir nicht einmal erzählt, für was er gedreht hat."
„Eine Werbung", lächelte Yixing. „Das würdest du wissen wenn du öfter mal auf Kakao wärst, oder ihm auf Weibo, Twitter, Instagram, Facebook oder Snapchat folgen würdest. Luhan schreibt ganze Romane in seinen Chats. Er überbrückt damit die langen Wartezeiten zwischen seinen Dreharbeiten oder was auch immer."
„Was für eine Werbung?"
„Puma war es glaube ich. Auf jeden Fall eine Modemarke."
„Oh." Kyungsoo konnte sich gut vorstellen, wie bald wieder unendlich viele Plakate und Werbespots die Straßen von Seoul überfluten würden. Überall Luhan. Nur die Kirschblütensaison fand Kyungsoo schlimmer.
„Was hat der Direktor zu ihm gesagt?"
„Worüber würde sich Luhan denn am meisten aufregen? Er hat gesagt, Luhan hätte mehr aussehen als Talent – etwas in diese Richtung."
Yixing verzog das Gesicht. „Luhan hat es wirklich nicht leicht." Er bewegte die Bierdose gedankenverloren hin und her. „Wenn...wenn Luhan damals nicht das gleiche von ‚SM Entertainment' gehört hätte, dann hätte Luhan wahrscheinlich in Südkorea debütiert, nicht wahr?"
Kyungsoo nickte langsam, es war die Version die Yixing kannte. Aber letztlich war es ja wahr, wenn Luhan nicht von ‚SM Entertainment' abgelehnt worden wäre, er wäre wahrscheinlich geblieben - bis heute noch hier. Er hatte oft darüber nachgedacht und die Möglichkeit hatte ihm lange, schlaflose Nächte beschert.
„Wir wären dann wahrscheinlich heute noch alle drei zusammen." Yixing blickte auf seine Hände hinunter. „Wenn die von SM ihn nicht einfach aufgegeben hätten..."
Yixing sah so traurig aus, Kyungsoo fühlte sich schrecklich. „Es bringt nichts, sich darüber Gedanken zu machen. Luhan hat es auch so geschafft und ist etwas Großes in China und ganz Asien geworden."
„Natürlich und so weit wäre er hier, wahrscheinlich nie gekommen, aber dennoch...Luhan ist nach dir mein bester Freund."
„Ich weiß", Kyungsoo seufzte. „Warte nur darauf bis er wieder hier ist. Nach einer Woche wirst du ihn wieder verjagen wollen."
„Wahrscheinlich." Yixing lächelte still in sich hinein. Ein Lächeln, das Kyungsoo ungeheure Angst eingejagt hatte, als sie drei noch gemeinsam zur Uni gegangen waren.

Blüten so kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt