~Zayn~

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~Zayn~

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Das war der Spruch, der diesmal auf dem Untersetzer stand.

Zayn verstand ihn nicht ganz.

Erst sagten ihm alle immer, dass jeder seine Meinung sagen sollte, sich wehren müsse und seinen Standpunkt vertreten sollte, aber warum war dann Schweigen besser als Reden? War nicht Reden eines der wichtigsten Dinge, die man im Leben brauchte?

Babys brauchten Worte. Man musste mit ihnen reden, sonst starben sie. Das hatte ihm seine Mutter einmal erklärt und er wusste nicht, warum es ihm genau jetzt einfiel. Vielleicht wegen diesem Spruch, vielleicht auch wegen der Dame, die ein paar Tische weiter saß. Sie hatte einen großen Hut auf, ein knallrotes Kleid und eine grüne Strumpfhose mit gelben Schuhen an – alles in allem kein Stück wie seine Mutter, aber was ihn an sie erinnerte, war die Aura, die diese Frau umgab.

Seine Mutter hatte immer gesagt, er sollte sich nicht darum kümmern, was andere über seine Kleidung sagten, sie wollte ihn so erziehen, dass er sich nicht auf das Äußere konzentrieren sollte. Und er hatte es doch getan. Man konnte es einfach nicht verhindern – äußerlich sympathisch aussehende Menschen wurden öfters angesprochen, das war einfach so. Trotzdem bewunderte er Leute, die sich keine Gedanken darüber machten, was andere über sie dachten und er wünschte sich manchmal, er könnte genau so denken.

Doch er konnte es nicht.

Es fühlte sich an, als würden ihn andauernd verurteilende Blicke treffen, ihn bewerten und abfällig ansehen, genau wie in seiner Kindheit.

Er wollte sich nicht daran erinnern.

Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an dem Korb hängen, in dem ein paar bunte Regenschirme steckten. Seit letzter Nacht war kein einziger Tropfen mehr gefallen und doch trugen die meisten Regenmäntel und Gummistiefel – nur zur Sicherheit. Zayn verstand sie.

Sicherheit war gut. Vertraut. Behaglich.

Ein neuer Regenschirm wurde in den Behälter geworfen und ein junger Mann betrat das Café. Er sah sich um, streifte seinen Regenmantel ab und hängte ihn an den Haken, der sich neben der zufallenden Tür befand. Zayn runzelte die Stirn. Dieser Mann kam eindeutig nicht aus dieser Stadt – jeder Einwohner wusste, dass die Haken nicht zum Aufhängen der Kleidungsstücke da war, sondern einfach nur als Zierde. Das war doch klar.

Wohl aber nicht für den Mann, denn er stand nur mehr in einem weinroten Pulli da, die teure, goldene Uhr an seinem Handgelenk sichtbar und musterte den Raum. Zayn zuckte zusammen, als der strenge Blick durch die Brillengläser auf ihn fiel und er erschrak, als der Mann zielstrebig auf ihn zukam. Direkt vor ihm machte er halt und stellte sich aufrecht hin, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

Zayn mochte ihn nicht.

„Wäre es möglich, wenn ich den Platz neben Ihnen annektiere?"

Verwirrt verzog er die Stirn und antwortete nicht. Der Mann verwendete komische Wörter. Er verstand ihn nicht. Sein Gegenüber räusperte sich und schob seine Brille, wenn möglich, noch weiter nach oben.

„Ich sagte, Würde es Sie stören, wenn ich den Platz Ihnen gegenüber okkupiere?"

Zayn blinzelte nur.

Langsam wurde sein Gegenüber nervös und lehnte sich vor, die Stimme erhebend.

„Sir – ich würde gerne meinen Platz Ihnen gegenüber einnehmen."

Nein.

Das durfte er nicht.

Er durfte die Routine nicht stören! Der Platz gegenüber war immer frei. Immer. Er durfte die Routine nicht zerstören!

Routines ➳ z.m #Wattys2016Where stories live. Discover now