~Amber~

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Routine.


Dieses Wort spukte schon seit Tagen in ihrem Kopf herum und sie verstand immer noch nicht, warum er es auf den Untersetzer geschrieben hatte. Nicht am Samstag, nicht am Sonntag und auch nicht am Montag, während sie Marcs Schicht übernahm. Sie verstand es immer noch nicht.


Erst freute sie sich so unglaublich, da er das erste Mal eine wirkliche Reaktion gezeigt hatte und sie dachte dass er sich über den Stift freuen würde, dass er ihn haben wollte. Er hatte ihn doch so sehnsuchtsvoll angesehen und für einen Moment dachte sie dass ein Lächeln auf seinem Gesicht auftauchen würde, als er den Bleistift in der Hand hielt, doch anscheinend hatte sie sich getäuscht.


Der Stift wurde zurückgelassen und lag jetzt in ihrem Fach im hinteren Teil des Cafés, eingepackt in das dünne Papier, das ihr der Verkäufer im Zeichenladen mitgegeben hatte. Er hatte ihr erklärt, dass sie gut achtgeben musste, dass der Stift auf keinem weißen Stoff liegen blieb, da er sehr weich war.

War ja klar, 5B Bleistifte waren natürlich weich.


Sie war sich sicher, dass Zayn das wusste. Dass er genau erkannt hatte, welche Stärke die Miene hatte und sie hätte schwören können, dass er sogar die Marke erkannt hätte, wenn er genauer hingesehen hätte. Ersah einfach aus, wie ein Typ, der so etwas wusste.


Aber vielleicht irrte sie sich ja. Mal wieder. Wie immer bei Zayn.


Er war so unberechenbar und doch waren seine Aktionen vorhersehbar. Nur er selbst konnte entscheiden ob er lächeln wollte, ob er ihr antwortete oder ob er sie ignorierte. Anscheinend war sie nicht gut genug, um ein Lächeln zu bekommen. Vielleicht sollte sie auch aufgeben, was konnte sie schon tun? Rein gar nichts.


Seufzend wischte sie sich die Hände an der Schürze ab und setzte sich auf einen Stuhl neben der Kaffeemaschine. Es war nicht viel los. Wie jeden Montag. Niemand hatte Zeit, sich in einem Café hinzusetzen, alle wollten ihr Getränk nur zum Mitnehmen. Niemand, außer einer.


Zayn war zur selben Uhrzeit, wie immer gekommen und hatte denselben Kaffee wie immer bestellt. Er hatte sie nicht angesehen. Hatte keine Reaktion gezeigt nur auf den Kaffee gewartet, ihn getrunken und war wieder gegangen. So wie immer. Warum sollte sie sich noch die Mühe machen - er würde ihr ja doch nicht antworten, er würde ihr ja doch nicht das Lächeln schenken, dass sie so gerne sehen wollte.

Kopfschüttelnd dachte sie an den schwarzhaarigen Jungen und wie seine braunen Augen ins Leere gestarrt hatten, so ohne Leben, ohne Freude. Da war nichts. Keine Andeutung, dass er lächeln konnte, kein Zeichen, dass sich seine Lippen zu einem Lächeln verziehen konnten. Nichts.


Sie hatte sich nicht getraut zu ihm zu gehen. Hatte Amelie erklärt, was er wollte und hatte dann zugeschaut, wie die kleine rothaarige Kellnerin den Kaffee serviert hatte. Ohne ihn anzusprechen, ohne ihn wirklich anzusehen, sie hatte nur kurz gelächelt und war dann wieder gegangen.


Warum hatte sie nicht genau so reagieren können? Warum hatte sie sich gefragt, was hinter dieser Traurigkeit in seinen braunen Augen lag und warum war es ihr so wichtig, ihn lächeln zu sehen? Sie wusste es nicht. Doch sie wünschte fast, sie wäre an diesem stürmischen Tag nicht in dem kleinen Café gewesen. Hätte ihn nicht gesehen, wie er seinen Kaffee bestellte und wie er auf den Untersetzer starrte. Sie wünschte, sie würde vergessen, wie seine Augen kurz gefunkelt hatten und wie er fast gelächelt hatte. Fast.


Nur fast.


Doch schon die Andeutung seines Lächelns hatte sie mit Glück gefüllt und sie wusste, dass es einen Teil in ihr gab, der einfach nicht ruhen konnte, ohne seine Mundwinkel oben gesehen zu haben. Und es verwirrte sie. Zutiefst.


Ihre hellbraunen Augen wanderten zur Tür und weiteten sich kurz als die Tür des Cafés aufgestoßen wurde und ein großer, schwarzhaariger Junge hereingestürmt kam. Ein schwarzhaariger Junge, mit großen, braunen Augen und dichten, langen Wimpern. Der Junge, um den sich ihre Gedanken ununterbrochen drehten und den sie hier als letztes erwartet hätte. Er kam sonst nie noch einmal. Nur einmal, einmal pro Tag, betrat er diesen Raum, immer still und leise, keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollend.


Doch an diesem Tag kam er noch einmal. Er stürmte einfach so hinein und diesmal war die Aufmerksamkeit auf ihm. Auf seiner schlanken Figur, auf seinem Gesicht, das sich hin und her drehte, als würde er etwas suchen, bis seine Augen auf ihr landeten. Wie sie dastand, mit einem Muffin in der einen und einer Kaffeekanne in der anderen Hand, mit ihrer weißen Schürze und den dichten, lockigen Haaren.


Genau wie sie dastand, da sah er sie an. Mit seinen braunen, fast goldenen Augen, die in der Sonne leuchteten, sodass man fast dachte, dass er selbst dieses Leuchten in seine Pupillen brachte. Doch es war nur eine Täuschung. Ein Trick, ein Streich, der ihr gespielt wurde, denn sie wusste, dass seine Augen so ausdruckslos und dumpf wie immer waren. Egal ob er sie ansah. Egal ob er seine Augen nicht von ihr abwendete.


Die Stille, die sich kurz ausgebreitet hatte, verwandelte sich langsam wieder in die mit leisen Stimmen gefüllte Atmosphäre und bald lagen nur mehr Ambers Augen auf dem Jungen, der in der Tür stand und sie ansah. Einfach nur ansah. Bis die Tür aufgestoßen wurde und jemand das Café betrat, an ihm vorbeiging und ihn aus der Trance riss, in der er sich befunden hatte.


Etwas veränderte sich in seinem Gesicht und plötzlich weiteten sich seine Augen, als würde er etwas realisieren und Sekunden später war dort nur mehr die leise zuschnappende Tür, die hinter ihm zufiel und nichts von ihm hinterließ, als die Erinnerung. Die Erinnerung an seinen Blick.


Sie dachte an sein Gesicht, an seine tiefschwarzen Haare, seine große Figur und plötzlich wusste sie wieder, warum sie ihn angesprochen hatte. Warum sie ihm etwas in den Kaffee gezeichnet und ihm den Stift gebracht hatte. Der Grund, warum sie ihn so unbedingt lächeln sehen wollte. Warum sie Licht in seine Augen bringen wollte.


Er erinnerte sie an sich selbst.


Wie sie einmal gewesen war, all die Jahre nachdem ihre Mutter sie verlassen hatte und wie sie sich gefühlt hatte. Sie kannte diesen dumpfen Blick, diesen Blick der Gleichgültigkeit, der so viel Schmerz verbarg und der Ausdruck purer Verzweiflung. Er brauchte eine Person, der ihm heraushalf, aus welcher Lage auch immer. Zayn hatte keine Person, wie ihren Bruder, der ihr in den Hintern getreten hatte und sie wieder zum Lachen gebracht hatte. Durch ihn hatte sie wieder lächeln können, durch ihn war sie wieder zu der Person geworden, die sie jetzt war.


Und sie war stolz darauf, es geschafft zu haben.


Genau wie er es schaffen würde. Das war ein Versprechen und sie würde es halten.


Sie würde ihn lächeln sehen.


Koste es, was es wolle.


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Ich habe zwei neue Geschichten (den Prolog) hochgeladen, vielleicht habt ihr Lust, hineinzuschauen :)

Routines ➳ z.m #Wattys2016Where stories live. Discover now