~Zayn~

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Es war Dienstag.


Am Dienstag ging er einkaufen.


Immer.


Es war so.


Er stand auf, wusch sich, frühstückte, las, goss die weißen Blumen, die auf seinem Fensterbrett standen, las und ging einkaufen, bevor er wieder nach Hause ging, sich das kochte, was er immer am Dienstag zu Mittag aß und wieder las.


Ein Zirkel, der sich jeden Dienstag wiederholte und Zayn hatte nichts dagegen, jeden Dienstag Reis mit Huhn zu essen. Er mochte dieses Essen und er mochte es, diese Routine weiterzuführen. Denn die Routine war gut. Man musste nicht nachdenken. Nachdenken, über Sachen, über die er nicht nachdenken wollte.


Die Routine gab ihm Sicherheit, stütze ihn und gab ihm das Gefühl, zufrieden zu sein. Doch er wusste, dass er es nicht war. Zufrieden. Er wollte es nur nicht wahrhaben.


Also ging er los, wie jeden Dienstag, mit dem Geld in der Tasche, das er immer an einem Dienstag mit hatte und nichts anderem sonst als seiner Kleidung. Er brauchte nichts anderes, denn er würde dort nur die Tüte nehmen, die er immer nahm und die Lebensmittel hineinpacken, die er immer kaufte und dann damit nach Hause gehen. Die Tüte würde nicht reißen, das war sie noch nie und so würde es auchbleiben.


Der Wind fuhr durch Zayns Haar während er durch die wenig bevölkerten Straßen ging und seine Augen über seine Umgebung wandern ließ. Die Sonne war manchmal durch ein paar Wolken verdeckt und strahlte so ein dumpfes Licht aus, das den Kirchturm, der bald vor ihm auftauchte in ein leicht goldenes Licht tauchte und das Dach noch röter erscheinen ließ. Es erinnerte ihn an eine Kirsche, eine volle, reife Kirsche, wie die, die er immer von den Nachbarn gestohlen hatte.


Als er klein war.


Unwillkürlich fragte er sich, ob es jemanden gab, der genau diesen Moment festhielt– entweder mit einem Foto oder mit einem Bild, gemalt von kräftigen und sanften Pinselstrichen, wie er es getan hätte. Er hätte sich die Farben zusammengesucht, seine Pinsel geschnappt und sich dort hingesetzt um zu malen. Um diesen Anblick zu verewigen – den azurblauen Himmel, die goldgelben Blätter der Bäume rings um die Kirche, das kirschrote Dach mit dem goldweißen Turm und die Leute, die vielen Leute, die teils hektisch herumliefen und teils entspannt über die Straße spazierten.


Er hätte die Frau gemalt, die mit ihren vier Kindern neben dem Brunnen saß, jedes einzelne mit einem Eis in der Hand außer eines, dessen Erdbeereis den Boden zierte und aus dessen Augen Tränen der Verzweiflung strömten. Er hätte den alten Mann auf das Papier gebracht, der auf seinen Stock gestützt dastand und die Leute um sich beobachtete, breit lächelnd, sein Gebiss mit den fehlendenZähnen zeigend und seine runzlige Haut in noch mehr Falten legend. Wer weiß – vielleicht hätte er sogar den Pfarrer in seinem Bild verewigt, der vor der Kirche stand, Flyer in der Hand haltend und mit einer alten Frau tratschend, die mit ihrem Einkaufskorb dastand, den im Wind flatternden geblümten Rock ignorierend.


Zayn hätte auch die Frau am Marktstand gezeichnet, die ihre roten, prallen Äpfel und ihre saftigen Birnen verkaufte, doch er tat es nicht. Er malte weder den Kirchturm mit dem azurblauen Himmel im Hintergrund, noch die Frau mit ihren Kindern, den alten Mann oder den Pfarrer. Nicht einmal die Frau mit dem Einkaufkorb malte er, denn er konnte nicht. Wollte nicht. Er stand einfach nur da, sah sich um und wendete sich dann dem Supermarkt zu, der neben der Schneiderei und dem Süßigkeitenladen seinen Platz hatte, die Szene hinter sich lassend.

Routines ➳ z.m #Wattys2016Where stories live. Discover now