~Zayn~

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~Zayn~

Es war kalt.

Der ganze Tag schon war kalt und eine Mischung aus feucht und nebelig gewesen – grauenhaft. Grauenhaft, um draußen zu sein, wundervoll um mit einem Buch vor dem Ofen zu sitzen und zu lesen. Denn das würde er tun, nachdem er das Café besucht hatte. Lesen. Von dieser Welt verschwinden. Wie jeden Mittwoch.

Früher hatte er sich immer den Kopf darüber zerbrochen, warum der Mittwoch Mittwoch hieß, wo doch Donnerstag genau in der Mitte der Woche lag. Er war zu seinem Vater gelaufen und hatte ihn gefragt, die Stirn in Falten gelegt. Nach einem Kommentar seiner Mutter, dass er noch Falten kriegen würde, von dem ganzen Stirnrunzeln, hatte es sein Vater ihm erklärt. Warum es so war. Und es war logisch gewesen.

Von da an begann er noch mehr solcher logischen Sachen zu finden – es faszinierte ihn, wie es für alles eine logische und einfach zu erklärende Lösung gab, was wohl der Grund war, warum er Mathematik liebte. Die ganzen Gleichungen, die alle eindeutige Ergebnisse, Regeln und Strukturen hatten. Es war alles so klar und beruhigend, dass er sich fast wünschte, dass das Leben wie die Mathematik wäre. Strukturiert und lösbar durch ein paar kleine Regeln.

Wie viele Probleme ließen sich dadurch wohl lösen?

Er wusste es nicht. Weder damals, noch an diesem einen Mittwoch, als er das Café betrat, zur selben Uhrzeit wie immer und auf seinen Tisch zusteuerte. Sonst waren seine Augen immer auf den Boden gerichtet, oder auf den Tisch vor ihm, überall, nur nicht zu den starrenden Leuten. Es war immer so gewesen, außer an diesem Mittwoch. Sein Blick wanderte herum, unbemerkt auf der Suche nach schwarzen Locken und einem leicht hopsenden Gang.

Bei seinem Stuhl angekommen, hatte er sie immer noch nicht ausmachen können und seine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen. Gerade wollte er beginnen, sich Gedanken zu machen, wo sie war, als er sich stoppte. Solche Gedanken waren nicht erlaubt – sie gehörten nicht in seinen Kopf. Er sollte nicht so viel nachdenken, das brachte nur Schmerz. Kopfschmerzen.

Außerdem war jetzt nur eines wichtig. Die Speisekarte nehmen.

Schon schlossen sich seine langen Finger um die zusammengehefteten Kartonpapiere, als sein Blick auf den Untersetzer fiel. Er legte die Karte beiseite und begutachtete den Spruch, der auf dem weißen, harten Papier stand.

-Wozu leben, wenn man sterben kann?- Wozu sterben, wenn man leben kann?

Der erste Satz war durchgestrichen und es machte Zayn nachdenklich. Falten bildeten sich auf seiner Stirn und er rieb sich über das raue Kinn. Diese Sprüche waren das Einzige, das sich an seinem Alltag veränderte. Das einzig Neue, das er zuließ und auf das er sich freute. Doch an diesem Mittwoch machte es ihn nachdenklich. Es ließ ihn nachdenken und das machte ihm Angst, doch er konnte es nicht stoppen.

Es hatte eine erschreckende Wahrheit in sich und für eine Sekunde überlegte er, ob es nicht eine bessere Art zu leben wäre, wenn man permanent anderes ausprobierte und tat was man will. Doch er verdrängte diesen Gedanken schnell. Neue Sachen würden verloren gehen, zerstört werden und dann ein Loch hinterlassen, das er sich nicht leisten konnte. Er brauchte nicht noch eines. Hastig schob er den Untersetzer von sich weg, als könnte er damit den falschen Gedanken vertreiben, der eben noch in seinem Kopf herumgespukt hatte.

Zayn wollte nicht so denken, er wollte sich selbst nicht anzweifeln. Das durfte er nicht.

Seufzend rieb er sich über die Stirn.

Dieser Tag war anstrengend für ihn gewesen. Außerdem war die Kellnerin nicht da. Nicht dass es ihn störte. Sie gehörte nicht zur Routine. Zur Routine gehörte hier nur der Tisch, die Stühle, die Speisekarte, der Kaffee und die gleiche Summe, dieselbe Rechnung. Wie immer. Und das war gut so.

Routines ➳ z.m #Wattys2016Where stories live. Discover now