Amber mochte Herbstwetter. Es war genau die Zeit, in der der Wind angenehm kühl, die Sonne nicht zu heiß und der Schatten nicht zu kalt war. Man konnte Pullover tragen, doch es war noch nicht zu kalt um in einem Kleid herumzulaufen. Außerdem liebte sie die Farben, die die Blätter in den Bäumen annahmen. Tiefrot, gelb, manche noch grün und viele auch orange – die Farbenpracht war überwältigend.
Es fühlte sich an, als würde sie durch einen duftenden Märchenwald gehen, als sie aufbrach und sich auf den Weg in die Stadt machte. Da ihr Haus eher am Stadtrand lag, musste sie meistens über zehn Minuten gehen, um die ersten Geschäfte zu erreichen, doch das störte sie nicht. Sie mochte es, draußen zu sein, besonders zu dieser Zeit.
Vor ihr lag eine Reihe an Bäume, die nur gelbe Blätter zierten und die Morgensonne warf ihr goldenes Licht durch die Baumkrone, sodass sie dem ganzen einen goldigen Glanz verlieh. Genau so hatte sich Amber immer die Wälder in den Märchen vorgestellt – mit silbernen Stämmen und goldenen Blättern, in denen bunte Vögel hockten und die lieblichsten Melodien pfiffen. Sie hatte immer die Augen geschlossen, den Vögeln in ihrem Garten gelauscht und sich in diese Welt geträumt. Dort hatte sie viele Freunde gehabt – die Zwerge, die vielen sprechenden Tiere, alle waren da gewesen und sie war manchmal fast in Tränen ausgebrochen als sich ihre Kinderaugen geöffnet hatten und sie wieder zurück gewesen war. Zurück in der Realität.
Jetzt war sie froh, nicht in dieser Märchenwelt zu leben, denn sie hatte mit der Zeit gelernt, dass es auch dort das Böse gab, das hinter all den Ecken lauerte und dass es in dieser anderen Welt zwar viel mehr Schönes, doch auch viel mehr Böses gab als auf der Erde. Also hatte sie ihre Fantasien zusammengeworfen, eine Geschichte geschrieben und so damit abgeschlossen. Viele Seiten waren bedeckt worden von ihrer ordentlichen Handschrift und sie wusste genau, wenn sie zurückkehren wollte, musste sie nur das dicke, blaue Buch mit dem kleinen Schloss öffnen, die erste Seite aufschlagen und in der Geschichte versinken.
Doch das hatte sie schon lange nicht mehr getan. Sie war zufrieden, mit ihrem Leben und ihrer Umgebung, weshalb sie nie das Bedürfnis verspürt hatte, sich weg zu träumen. Das lag an solch kleinen Momenten wie diesen, als sie an den Bäumen vorbei spazierte, durch das taufeuchte Gras, und in der Ferne ein paar Vögel singen hörte. Solche Momente füllten sie mit Glück und Zufriedenheit und es zauberte ihr immerwieder ein Lächeln auf die Lippen.
Amber hatte schon immer gerne gelächelt. In der Schule wurde sie manchmal liebevoll 'Grinsekatze' genannt, doch ihr hatte der Name nie wirklichgefallen. Sie wollte nicht, dass ihr Lächeln mit dem der Katze aus Alice in Wonderland verglichen wurde, denn ihres war ehrlich und warm, während das des Tieres einfach nur breit und leicht gruselig war. Ihr nächster Spitzname war 'Little Miss Sunshine', was ihr schon besser gefiel, da sie die Vorstellung schön fand, dass sie Licht in das Leben anderer bringen konnte.
Der Name war von ihrer Großmutter gewesen. Sie hatte Amber immer mit ihren kräftigen Händen hochgehoben, auf ihren Schoß gesetzt und ihr übers Haar gestrichen, während sie ihr Geschichten erzählt hatte, die ihr durch den Kopf schossen. Geschichten über die kleine Miss Sunshine, die Sonne in das Leben anderer brachte und immer ein Lächeln auf dem Gesicht trug. Ein Ehrliches. Dann hatte sie ihr immer einen Kuss auf den Scheitel gedrückt und ihr das Versprechen abgenommen, sich nie zu ändern.
Bleib die kleine Sonne,die du jetzt bist, hatte sie immer gesagt, es gibt schon genug Regenwolken auf dieserErde.
Und sie hatte nicht vor, dieses Versprechen zu brechen. Ihre Großmutter wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn sie gehört hätte, wie traurig und wie verzweifelt Amber am Tag zuvor gewesen war, nach dem Anruf ihres Bruders. Sie hatte sich dann selbst geschämt so undankbar geschmollt und es Josh übel genommen zu haben, erst in ein paar Tagen zukommen. Er hatte einen guten Grund, wie er ihr dann liebenswerter Weise geschrieben hatte. Amber hatte sich sehr geschämt als sie dann von den Problemen in seiner Arbeit gehört hatte und wie er seine Patienten nicht allein lassen konnte.
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Routines ➳ z.m #Wattys2016
FanfictionEs gibt einen Grund, warum er nicht lächelt. Nicht redet. Immer schweigt. Es gibt einen Grund, warum er keine Gedanken zulässt. Nichts als Leere in ihm spürt. Es gibt für alles einen Grund. Amber ist entschlossen, ihn herauszufinden. ~"In...