N I N E

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Die restliche Woche ging viel zu schell vorbei. One Direction gab noch ein weiteres Konzert in Tampa sowie eines in Miami, und ehe ich mich versah, war der Tag meiner Heimreise gekommen. Der Check-in sollte am späten Abend beginnen und Dad wollte mich zum Flughafen fahren.
Doch bereits am Morgen hatte ich keinen Hunger und zog damit Dads Aufmerksamkeit auf mich.
''Bist du krank, Am?''
Ich schüttelte dem Kopf, auch wenn ich mich in der Tat krank fühlte. Krank vor Sehnsucht.
''Liegt es an Harry?''
Das war wieder typisch für Dad. Die ganze Zeit über hatte er geschwiegen und Am letzten Tag stellte er mir die Frage aller Fragen. ''Ich weiß nicht, was du meinst.'', wich ich aus.
Dad setzte sein Pokerface auf und ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl herum. Es war unmöglich, ihn anzulügen. Schon als kleines Kind hatte Ich immer das Gefühl gehabt, als durchschaue er immer meine Streiche, bevor ich überhaupt anfing.
''Ich weiß, was da zwischen euch läuft, Amelia'', sagte er schließlich.
Überrascht sah ich auf. ''Hat Harry etwas gesagt?'' ''Nein, das hat er nicht. Aber ich habe im Augen im Kopf. Glaubst du wirklich, mir wäre nicht aufgefallen, wie ihr euch anseht'' ''Tun wir das?'' ''Stell mir keine Gegenfragen und tu mir einen Gefallen: Stürz dich nicht Hals über Kopf in etwas, was du nachher bereust. Harry weiß, was er will. Die Band ist momentan alles, was er braucht'' ''Hast du ihm gesagt, er soll die Finger von mir lassen?'' ''Natürlich habe ich das!'' Dad schnaubte. ''Warum?''  ''Er ist Vollblutmusiker. Für den Traum, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, tut er alles. Er wird das für niemanden aufgeben. Das solltest du respektieren'' ''Ich weiß, was ich tue.''
Dad schwieg und ich rührte unter seinem brennendem Blick in meinen Honey Loops. Sie waren bereits vollkommen aufgeweicht. Angewidert verzog ich mein Gesicht.
''Pack jetzt deine Sachen'', forderte Dad mich auf und erhob sich. ''Die Jungs erwarten uns im Studio. Ich fahre dich von dort aus zum Flughafen.''
Auf dem Weg zum Übungsraum schwiegen wir, obwohl ich Dad so viel sagen wollte. Doch meine Zunge schien gelähmt zu sein.  Er sollte wissen, dass ich mich nur bei ihm geben konnte, wie ich war. Dass ich mich aufgehoben fühlte und stark und im Einklang mit mir selbst. Dass ich in England stets eine Rolle spielen musste, um Ärger mit meiner Mutter zu verhindern. Ich hasste die Streitigkeiten, die wir miteinander austrugen. Deshalb bemühte ich mich um gute Noten, damit sie mir ein Lächeln schenkte und umgab mich mit Freundinnen, die sie für angemessen hielt. Aber ich verlor mich in all diesen Dingen und wurde erst wieder ich selbst, wenn ich bei Dad war.
In all den Monaten, die wir uns nicht sahen, vermisste ich ihn. Ich wollte, dass er das wusste. Und ja, ich wollte ihm sagen, dass ich mich in Harry verliebt hatte und das dieses Gefühl das beste war, was mir seit langem passiert war.
Stattdessen sagte ich: ''Ich freue mich, dich an Weihnachten wieder zu sehen, Dad.''
Er lächelte auf die Art und Weise, als verstehe er auch das Unausgesprochene dieses Satzes.
Dann fügte er hinzu: ''Du bist mein Leben, Am. Nicht die Musik, wie deine Mutter immer sagt.''
''Ich weiß, Dad.'' Ich griff nach seiner Hand und drückte sie. Dabei bemerkte er das Armband, das Harry mir gegeben hat. ''Er hat dir seinen Glücksbringer geschenkt.''
''Im Ernst?''
''Er hat sich das Armband zur Gründung von One Direction gekauft. Bisher hat er es bei jedem Auftritt getragen. Ich kann mich nicht erinnern, ob er es überhaupt je abgelegt hat. Er behauptet, es bringe ihm Glück.''
Mir wurde warm ums Herz. ''Das wusste ich nicht.''
Aufgewühlt von Dads Worten traf ich im Übungsraum ein, wo rege Betriebsamkeit herrschte. Die Jungs stellten die Songauswahl für ihre anstehenden Konzerte zusammen und debattierten über das Video ihrer ersten Singleauskopplung. Nichts deutete darauf hin, dass mein Abschied kurz bevor stand.
Ich ließ mich in den Sessel plumpsen, wo der Tag wie ein Stummfilm an mir vorbei zog.
Erst als Dad aufsprang und mir mit einem Kopfnicken klar machte, dass es Zeit war zu gehen, überschlugen sich die Ereignisse.
Die Jungs stürmten an ihre Instrumente und Harry hauchte ins Mikrofon: ''Das ist für dich, Am!''
Überrascht sah ich Dad an, welcher nur mit den Schultern zuckte. Ein ruhiges Pianosolo von Liam startete, das schließlich in ein Gitarrensolo von Niall überging. Ich klatschte verzückt. Die Melodie fand sich in eine etwas abgewandelte Version von Love You Goodbye zusammen. Es ging um die Zeit, die ich mit der Band verbracht hatte, was wir gemeinsam erlebt hatten und dass sich mein Fortgang wie der Verlust ihres Glücksbringers anfühlte.
Ich rang um Fassung. Dieses Mal sang Harry nur für mich. Der wuchtige Sound ließ meinen Magen vibrieren und seine Stimme ging mir durch und durch.
''Jungs, ihr seid kitschig!'', rief Dad, als One Direction einen theatralischen Schlussakkord zum Besten gaben. Es gefiel ihm, was sie sich zu meinem Abschied ausgedacht hatten. Ich sah es ihm an.
Gerührt sprang ich auf und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.
''Das war echt schnulzig!'', stimmte ich zu. ''Das ist gar nicht euer Stil.''
Die Jungs lachten und kamen auf mich zu. Als erstes warf ich Niall die Arme um den Hals und spürte, wie Liam und Louis ebenfalls heran drängten. Aus der Umarmung wurde schnell eine Rangelei und das machte es mir um einiges leichter, nicht die Fassung zu verlieren. Sie zogen mir an den Haaren, sagten mir, dass sie mich vermissen würden und dass sie mich persönlich in London abholen würden, wenn ich nicht nächstes Jahr wiederkäme. Ich ließ mich von ihnen necken und fragte mich, warum ich in England nicht so tolle Freunde hatte. Der Abschiedsschmerz überrollte mich.
''Hört jetzt auf, sonst muss ich heulen.'', wehrte ich sie ab.
Lachend zogen sich die Jungs zurück und begannen, mit Dad über Anfragen von Magazinen zu sprechen, in denen sie Interviews geben sollten.
Ich beobachtete sie und wagte nicht darüber nachzudenken, dass ich jetzt demjenigen gegenüber treten musste, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte. Harry stand abseits und sah mich mit seinem typischen Blick an. Dabei hielt er den Kopf gesenkt und fixierte mich von der Seite. Der Dreitagebart verlieh seinem Gesicht etwas Verwegenes. Ich lächelte.
''Komm her, Am.'', forderte er mich auf und streckte seine Hand nach mir aus.
Ich ergriff sie und ließ mich in seine Arme ziehen. Als er mich küsste, schloss ich die Augen und wünschte mir, Herrin über Zeit und Raum zu sein. Ich wollte alles verlangsamen, diesen Kuss einfrieren, oder noch besser, ddie Zeit vorausdrehen, damit ich nicht ein ganzes halbes Jahr warten musste, um Harry wieder zu sehen.
''Pass auf dich auf.'', murmelte er in mein Ohr. ''Du auch.'' Ich sah ihm in die Augen und fragte mich, was wir uns in Wirklichkeit sagen wollten. Hoffnungsvoll suchte ich in seinem Blick nach etwas, das meine Gefühle bestätigte,  aber es war, als hätte Harry bereits eine unsichtbare Mauer um sich herum errichtet. Ich schluckte die Enttäuschung herunter.
Er trat zurück, küsste mich aufs Haar und schob mich von sich, bevor er mit mir zu den anderen ging.
Ich war wie in Trance. Es war vorbei. Meine Zeit war abgelaufen, meine Liebe befand sich im Leerlauf und ich musste in ein Leben zurückkehren, in dem ich mich wie ein Gast fühlte.
Ich winkte den Jungs zum Abschied zu und starrte Harrys Rücken an, während Dad mich zur Tür heraus zog.
Den gesamen Weg zum Flughafen hypnotisierte ich mein Handy, doch es kam keine Nachricht von Harry. Wie kam ich auch auf diese Idee? Wir hatten uns ständig gesehen und in der Eile des Abschieds hatte ich vergessen, ihm meine Nummer zu geben. Frustriert schaltete ich mein Handy aus und mied Dads Blicke.
Schweigend liefen wir wenig später nebeneinander her zur Schalterhalle. Der Flug sollte laut der Anzeigetafel pünktlich starten und ich reihte mich am Check-in-Schalter ein. Dad leistete mir Gesellschaft, aber wir sprachen kein Wort miteinander.
Erst, als mein Gepäck aufgegeben war und ich bereit war durch den Zoll zu gehen, sahen wir uns an.
''Du fehlst mir jetzt schon, Am.'', sagte Dad gepresst, und ich sah das er traurig war.
''Du mir auch.'' Ich umarmte ihn. ''Ich hatte die besten sechs Wochen meines Lebens.''
Er seufzte gequält und hielt mich fest. ''Das lag leider nicht an mir.''
Wir ließen uns los und ich wischte die Tränen weg, die nun doch flossen. ''Du bist der beste Dad der Welt'', stammelte ich, bevor ich mich umdrehte und ging. Meine Beherrschung war aufgebraucht und es war höchste Zeit, aufzubrechen.

Timeless | H.SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt