Vielleicht konnte ich mich unbemerkt in mein Zimmer schleichen und behaupten ich wäre schon länger da gewesen, er hatte es bloß nicht bemerkt. Oder Überstunden bei den Duncans. Eigentlich wusste ich bereits, dass er mir nichts davon glauben würde. Aber einen winzigen Funken Hoffnung gab es doch immer, oder? Auf Zehenspitzen machte ich mich auf. Bevor ich zu meinem Zimmer kam, musste ich am Wohnzimmer und an der Küche vorbei, in der sich Cornell so gut wie immer befand. Ich hatte es fast geschafft. Nur noch drei lautlose Schritte trennten mich von meiner offenen Zimmertür... hieß das er hatte schon nach mir geschaut? „Madlyn!“ Scheiße. Schnell ließ ich das Bündel mit Georges Klamotten hinter mich fallen und kickte es zu meiner Tür. „Ja?“, fragte ich vorsichtig und lief mit Knien aus Gummi Richtung Küche. „Komm her!“ Seine Stimme war ungewöhnlich ruhig, ich deutete das als schlechtes Zeichen. Wahrscheinlich hatte er schon einen Plan. Lass sie sich erst in Sicherheit wiegen und dann geh auf sie los. Ich holte noch einmal tief Luft und trat dann durch die Küchentür.
„Das ist Madlyn, meine Adoptivtochter!“ Cornell saß auf einem der klapprigen Klappstühle, die sonst immer ich benutzte und ihm gegenüber, auf dem einzig intakten Stuhl in der ganzen Wohnung, thronte eine Frau. Ihr platinblond gefärbtes Haar mit sichtbarem grauen Ansatz hing ihr spröde über die abgemagerten Schultern und ihr, offensichtlich vom Drogenkonsum gezeichnetes Gesicht, entblößte riesige gelbe Zähne, als sie mich angrinste. „Hi, schön dich kennenzulernen. Ich bin Felicia.“ Perplex nickte ich und schüttelte ihre ausgestreckte Knochenhand. Ich hätte alles erwartet, nur das nicht. Trotz ihrer seltsamen Erscheinung, schien sie eigentlich ganz nett und mein sonst selbstsüchtiger Adoptivvater war wie ausgewechselt. „Hast du Hunger? Wir haben noch Pizza übrig. Oder hast du schon bei den Duncans gegessen? Ich habe Liz erzählt, dass du freiwillig in deiner Freizeit arbeiten gehst“ Er grinste sie stolz an, doch in seiner Stimme schwang ein warnender Unterton mit. „Danke, ich habe schon gegessen und ich muss noch lernen“, log ich. Unsicher lächelte ich Felicia zu und eilte dann, ohne einen weiteren Blick zu Cornell, aus der Küche.
Nachdem ich mich versichert hatte, dass meine Tür verschlossen und Georges Klamotten verstaut waren, ließ ich mich erschöpft aufs Bett fallen und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen. Verwirrende Tage machten definitiv müde.
Der nächste Morgen verlief wie geschmiert. Mein Vater und seine seltsame Freundin hatten das Haus schon vor mir verlassen, ich hatte zwar keine Ahnung ob sie die Nacht über geblieben war, doch ehrlich gesagt, war es mir mehr als egal, solange er mich nur in Ruhe ließ. Ich war extra früh aufgestanden, obwohl wir erst zur vierten Stunde Unterricht hatten, um mir noch vor der Schule neue Klamotten zu kaufen. Dazu musste ich zwar die Lebensmittelkasse plündern, doch ich hoffte, dass Felicia meinen Vater soweit gebändigt hatte, dass er es übersah.
Um Punkt halb Zehn stand ich also, mit einer zerknitterten Primarktüte im Rucksack und komplett neu eingekleidet, vor der Einfahrt meiner Arbeitgeber, als mir auch schon die altbekannte schwarze Stretch Limousine entgegen kam. Mit quietschenden Reifen hielt sie ungefähr zehn Meter von mir entfernt am Straßenrand, eine getönte Glasscheibe am Rücksitz fuhr herunter und Francescas Gesicht, wieder topgestylt wie zuvor, kam dahinter zum Vorschein. Sie hatte ein breites Lächeln aufgesetzt und winkte mit ihrer manikürten Hand. „Beeil dich, Schatz!“, rief sie. Schatz? So gute Freunde waren wir doch noch nicht? Ich lächelte unsicher zurück und machte einen Schritt auf das Auto zu, doch jemand anders war schneller. George hielt sich mit einer Hand den Kopf, um seine haselnussbraunen Wellen am Verrutschen zu hindern, als er zum Wagen joggte. „Hey!“ Er beugte sich ans Fenster und gab Francesca einen schmatzenden Kuss auf den Mund, bevor diese zur Seite rutschte, um ihrem Freund Platz zu machen. Ohne mich auch nur anzusehen, öffnete er die Tür und setzte sich neben sie. Die Scheibe fuhr wieder hoch und die Limousine startete mit einem leisen Schnurren und brauste dann davon. Was war das denn?
„Mund zu, Süße!“ Erschrocken fuhr ich herum. Josh stand lächelnd hinter mir und musterte meinen verdutzten Gesichtsausdruck „Du musst offensichtlich noch ein bisschen lernen, ich erklär dir alles auf dem Weg zur Schule“ Ich nickte nur und folgte ihm, als er in Richtung U-Bahn loslief. „Chess hat dich eingestellt, weil sie neugierig war. Das heißt nicht, dass sie nicht wirklich mit dir befreundet sein will oder so, aber das Experiment muss privat bleiben, also in der Öffentlichkeit muss ihr Image bewahrt werden, verstehst du?“ Wieder nickte ich. Was hatte ich auch erwartet? Dass mich jemand wie Francesca Duncan in ihrer Limousine zur Schule mitnehmen würde? „Wieso fährt George mit und nicht du?“
Josh sah mich von der Seite an, als müsste er sich einen Lachanfall verkneifen. „ Ohh Maddy, du bist so süß“
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Widmung wie davor an den letzten Voter vom letzten Kapitel ♥