TJ
Obwohl ich null Motivation habe und Douglas mir im Jungsklo noch den Rest gegeben hat, überstehe ich irgendwie den Schultag. Zu Hause angekommen verbarrikadiere ich mich in meinem Zimmer und drehe laut Musik auf. Natürlich versteht Mom nicht, dass ich lieber nichts von ihr oder sonstwem wissen würde, und kommt trotzdem rein. In ihrer Hand – ein Brief. Ich beiße mir nervös auf die Lippe, denn ich weiß ganz genau, von wem dieser Brief ist. „Ich dachte, es wäre nichts gewesen in der Schule." Sie versucht nicht, vorwurfsvoll zu klingen. Sie klingt einfach nur wahnsinnig enttäuscht, und das ist noch viel schlimmer. „Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst. Oder rede doch wenigstens mit Grandma darüber." Sie hat mich aus ihrer Wohnung geschmissen, schießt es mir durch den Kopf. Und das vollkommen zu Recht.
Mom öffnet den Brief und tut so, als würde sie ihn lesen. Dabei weiß ich ganz genau, dass sie ihn schon hundertmal gelesen hat und wahrscheinlich längst auswendig kann. „Hier steht, du hättest dich erst geweigert, dich neben einen Jungen zu setzen. Warum, TJ? So haben wir dich ganz bestimmt nicht erzogen." Sie durchlöchert mich mit ihrem Blick. Ich schweige. „Rede mit mir! Welches Problem hast du mit diesem Jungen?", brüllt sie schon fast. „Er ist schwul", antworte ich so leise wie möglich nach einem kurzen Zögern. Mom seufzt. „Ja, und? Er wird nicht im Unterricht über dich herfallen." Ich finde wieder etwas mehr Mut um ihr zu widersprechen. „Hoffentlich! Trotzdem stört es mich wahnsinnig, wenn er einfach so... Jungs küsst oder anfässt oder so." Der Gedanke an Sean und den anderen Typen an meinem ersten Schultag macht mich wütend. „Gut... wenn dich dieser Junge so sehr stört, warum wechselst du dann nicht einfach den Kurs? Ihr habt doch sicher mehr Naturwissenschaften-Kurse", schlägt Mom vor. Ich widerspreche ihr sofort. „Auf keinen Fall. Das haut nicht hin. Er ist in fast allen meinen Kursen. Das ist viel zu viel Aufwand für die Schulleitung, die ziehen das bestimmt nicht durch." Mom schweigt kurz. „Aber wenn es wegen Mobbing-" - „Nein", unterbreche ich sie. „Außerdem werde ich nicht gemobbt. In ein, zwei Wochen ist das vorbei." Ich zwinge mich zu einem schiefen Lächeln. Ich weiß nicht, ob Mom es mir abgenommen hat, weil sie kurz darauf verschwindet.
Douglas
Es ist Freitag, erste Pause und ich sitze im Flur und lerne Spanischvokabeln. TJ ist im letzten Block wie immer gewesen, gut, zumindest gibt er das vor. Die Lehrer nehmen ihm das ab, unsere Mitschüler interessieren sich eh nicht für ihn. Mir ist das natürlich aufgefallen, kleine Zeichen, die wohl nur ich verstehe. Das Kritzeln in sein Heft während dem Unterricht. Die ständigen Blicke auf die Uhr. Der Biss auf die Unterlippe nach einer falschen Antwort. Umso froher bin ich jetzt, dass ich die nächsten beiden Stunden erst einmal nichts mit ihm zu tun habe. „Hey", ertönt es auf einmal neben mir. „Kann ich vielleicht in dein Buch mit reinschauen?" Es ist Sean. Er trägt ein Jeanshemd, das etwas zu weit aufgeknöpft ist, braune Shorts und weiße Chucks. „Ja klar, setz dich", sage ich und rutsche ein Stück zur Seite. Es ist mir unangenehm, neben Sean zu sitzen. „Weißt du, Sean...", setze ich an und schaue ihm in die Augen. Blau. Ist mir wegen seiner Brille noch nie aufgefallen. Auch er löst sich von den Vokabeln und er sieht mich an. „Ja, Douglas?" Ich stocke kurz. „Also... es tut mir leid, wie mein Bruder dich behandelt. Er... er mag ein homophober Arsch sein, aber er meint es nicht so. Er hat vielleicht Probleme mit Schwulen, aber die größten hat er mit sich selbst." Verdammt, Douglas, was redest du denn da? Wieso verteidigst du ihn? Sean nickt langsam. „Danke. Denke ich. Aber mach dir keinen Kopf, ich hab schon schlimmere Typen erlebt als deinen Bruder. Außerdem scheint er ja sonst ein guter Kerl zu sein." - „Ja...", sage ich mehr zu mir selbst als zu ihm. „Ja, das ist er." - „Hola, señores!", ruft uns plötzlich ein Mann mit haufenweise Büchern unter dem Arm zu. „Das ist Mr. Reynolds, er gibt Spanisch... wie man merkt", flüstert Sean mir zu. Ich klappe das Spanischbuch zu und stopfe es zurück in meinen Schulrucksack. Der Unterricht vergeht schneller als erwartet, und nach der Stunde erscheint Sean an meinem Tisch. „Danke nochmal", sagt er und deutet auf mein Buch. „Und sag deinem Bruder, dass ich es ihm nicht übel nehme." Er gibt mir noch einen Klaps auf die Schulter und verlässt dann das Klassenzimmer.
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through glass
Teen FictionTJ und Douglas sind Zwillinge, die sich durch den typischen High-School-Alltag schlagen. Gelingt es Douglas, sein Geheimnis geheim zu halten, und schafft die Person hinter den rätselhaften Botschaften, TJs tragische Vergangenheit in Vergessenheit ge...